Neunte Szene

[70] Die Vorigen. Der Kommerzienrat.

Alle fahren erschrocken durcheinander.


MÜHLINGK. Guten Tag, lieben Leute. Ist Ihr Sohn zugegen?

HEINECKE devot. Ja woll!

FRAU HEINECKE öffnet die Tür. Robert! Zärtlich. Liebes Jotteken, er ist auf 'n Stuhle eingeschlafen ... hat nämlich kein Auge geschlossen diese Nacht ... Robertchen, der Herr Kommerzienrat! ... Schläft janz fest.

MÜHLINGK freundlich. So? ... Um so besser! – Wecken Sie ihn nicht!

HEINECKE. Mach die Düre zu!

FRAU HEINECKE leise. Aber hat er nicht gesagt – –

HEINECKE. Wenn der junge Herr Mühlingk kommt, hat er gesagt –


Schließt leise die Tür.
[70]

AUGUSTE zu Michalski, mit der Gebärde des Geldzählens. Paß mal uf!

MÜHLINGK der sich in der Stube umgeschaut hat. Das sieht ja recht wohlhabend hier aus, lieben Leute!

HEINECKE mit Würde. Belieben der Herr Kommerzienrat Platz zu nehmen auf diesen Fotölch?

MÜHLINGK. Ei ei, lauter Seide?

FRAU HEINECKE. Ja, es is lauter Seide.

MÜHLINGK. Wohl ein liebes Geschenk?

FRAU HEINECKE zögernd. Sozusagen!

MÜHLINGK harmlos. Von meinem Sohne?

HEINECKE. Ja wohl!

FRAU HEINECKE. Pst!

MÜHLINGK beiseite. Schlingel! Laut. Beiläufig: Ihr lieber Sohn hat sich nicht gerade gebührlich gegen den meinen benommen. Offen gesagt: Ich hatte anderen Dank erwartet! Sie können ihm mitteilen, daß er entlassen ist, und daß ich bis vier Uhr nachmittags seine Abrechnung erwarte.

FRAU HEINECKE. Das wird ihm aber leid tun!

HEINECKE. Er hat den Herrn Kommerzienrat geliebt wie seinen eigenen Vater.

MÜHLINGK. So? Das freut mich. – Doch deshalb kam ich nicht, lieben Leute. Sie haben eine Tochter.

AUGUSTE sich vordrängend. Ufzuwarten!

MÜHLINGK. Womit kann ich dienen?

AUGUSTE devot. Ick bin die Dochter!

MÜHLINGK. So? – Sehr brav – sehr brav! Aber Sie mein ich nicht. Das Fräulein heißt Alma!

FRAU HEINECKE. Janz richtig. Und ohne zu lügen, sie ist ein hübsches Mächen!

HEINECKE. Und talentvoll! Wir lassen sie für den Jesang ausbilden.

MÜHLINGK. Ah! Es ist immer erhebend zu sehn, wenn Kinder ihren Eltern Freude machen. Nur eins will mir nicht gefallen: Ihre liebe Tochter hat den Aufenthalt, den[71] ich Ihnen seit siebzehn Jahren in meinem Hause gewähre, dazu benutzt, um mit meinem Sohne zarte Beziehungen anzuknüpfen. Offen gesagt: Ich hatte andern Dank erwartet.

FRAU HEINECKE. Aber Herr Kommerzienrat.

MÜHLINGK. Um jedes Verhältnis zwischen Ihrem Hause und dem meinen aus der Welt zu schaffen, biete ich Ihnen ein Abstandsgeld, das Sie, mein wackerer Herr Heinecke, mit Ihrer Tochter Alma zu teilen haben würden, dergestalt, daß die eine Hälfte ihr als Heiratsgut zufällt, sobald sich jemand findet, der – Lächelt diskret. Nun, Sie verstehn mich wohl. Bis dahin würde die Nutznießung des Ganzen Ihnen verbleiben. Sind Sie einverstanden?

AUGUSTE leise hinter ihm. Sag ja – ja.

HEINECKE. Ich – ich –

MÜHLINGK. Ich habe die Summe ungewöhnlich hoch bemessen, um ein unbedachtes Versprechen einzulösen, das Ihr lieber Sohn gestern dem meinigen abzunötigen wußte ... Sie beläuft sich auf Zögert und schluckt. fünfzigtausend Mark.

HEINECKE mit einem Aufschrei. Jesus, Herr Kommerzienrat, ist das Ihr Ernst?

FRAU HEINECKE. Mir wird schwach!


Sinkt in einen Stuhl, von Auguste unterstützt.


MÜHLINGK beiseite. Ich habe zu hoch taxiert! Laut. Ich frage Sie noch einmal, sind Sie mit vierzigtausend Mark zufrieden?

MICHALSKI. Ich denke, es waren –

AUGUSTE ihn stoßend, leise. Sag ja – rasch – sonst zieht er noch mehr ab!

HEINECKE. Ich kann's nicht glauben, Herr Kommerzienrat. Auch diese vierzig! So ville Jeld jibt's nicht ... Das ist Unsinn. Zeigen Sie mir das Jeld!

MÜHLINGK. Es liegt an der Kasse für Sie angewiesen.

HEINECKE. Und der Herr Kassierer wird nicht sagen: Setzt den alten Kerl vor die Düre – er ist übergeschnappt. – Oh,[72] er kann recht eklig sind gegen uns arme Leute, der Herr Kassierer.


Mühlingk hat ein Scheckbuch hervorgezogen, schreibt eine Ziffer und reißt das oberste Blatt ab, das er Heinecke überreicht. Alle studieren eifrig den Schein.


HEINECKE. Vierzigdausend! Immer noch furchtbar nobel ... Herr Kommerzienrat! Geben Sie mir Ihre Hand.

MÜHLINGK steckt die Hand in die Tasche. Noch eins: Morgen abend wird ein Möbelwagen vor Ihrer Türe halten, und zwei Stunden später werden Sie freundlichst meinen Grund und Boden verlassen haben. Hernach hör ich wohl nichts mehr von Ihnen. –

HEINECKE. Sagen Sie das nich, Herr Kommerzienrat! Wenn Ihnen der Besuch eines alten, braven Mannes nicht lästig fällt, so mach ich mir manchmal das Vergnügen. Ja, ein alter, braver Mann, das bin ich!

MÜHLINGK. Natürlich! Adieu, liebe Leute! Beiseite. Pfui! Ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 70-73.
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