Fünfte Szene

[298] Der Bürgermeister von links. Die Vorigen.


BÜRGERMEISTER. Guten Tag, meine Herren!

STELZER. Recht guten Tag!

DIE ANDEREN. S'Good, Herr Bürgermoasta –

BÜRGERMEISTER. Ich muß Ihnen nochmals meinen Dank aussprechen für gestern.


Verlegenes Schweigen. Stelzer hustet. Kiermayer schneuzt sich sehr laut.


LINDLACHER gedehnt. Ja – ja!

GSCHWENDTNER. Jaa![298]

STELZER. Bitte sehr. Keine Ursache, Herr Bürgermeister.

BÜRGERMEISTER. Es wird mir unvergeßlich bleiben.

LINDLACHER grob herausplatzend. Uns aa! Verlegene Pause.

GSCHWENDTNER. So geht's oft –

KIERMAYER. Jaa!

GRUBER zu Stelzer. No, red halt amal!

STELZER. Gewiß. Herr Bürgermeister, wir kommen eigentlich in einer bestimmten Angelegenheit

BÜRGERMEISTER verbindlich. Bitte, Herr Stelzer.

STELZER etwas stockend. Herr Bürgermeister waren – äh – so liebenswürdig, im Ministerium zu ... zu opponieren. Wir haben unserer Freud' Ausdruck gegeben, in dieser Beziehung.

BÜRGERMEISTER. In erhebender Weise, Herr Stelzer.

STELZER. Jawohl, ja. Aber in den besseren Bürgerkreisen macht sich eine gewisse Strömung bemerkbar. Die Sorge um die Familie und das Geschäft übt einen starken Einfluß aus.

LINDLACHER. Und das Interesse der Stadt.

STELZER. Ganz richtig. Auch das allgemeine Wohl. In dieser Beziehung fürchtet man, daß wir überhaupt keine Bahn erhalten.

GSCHWENDTNER. Und koa Lateinschul.

STELZER. Und daß auch die Errichtung der Lateinschule unterbleibt.

BÜRGERMEISTER. Aber warum denn, meine Herren?

GRUBER grob. Da möcht i no lang fragen!

STELZER. Es ist bloß eine Stimme in den besseren Kreisen.

BÜRGERMEISTER. Sagen Sie mir nur einen vernünftigen Grund!

GRUBER aufgeregt. Jessas! Jessas!

LINDLACHER heftig. Zwanzgi für oan!

GSCHWENDTNER. Da braucht mo do koa Brillen, daß ma dös siecht!

BÜRGERMEISTER. Meine Herren, dieser Ton! ...

STELZER unterbricht ihn. Verzeihung, Herr Bürgermeister! Herr Gruber! Meine Herren! Wir können doch mit Ruhe reden! Erlauben Sie, Herr Bürgermeister, wir sind hier sozusagen als Vertreter der öffentlichen Meinung. Wegen der Sorge um die Bahn.

LINDLACHER UND GSCHWENDTNER unisono. Und d' Lateinschul!

STELZER. Es herrscht die Ansicht, daß Herr Bürgermeister die Opposition auf die Spitze getrieben haben. In dieser Beziehung.[299]

BÜRGERMEISTER. Ich habe doch bloß Ihre Meinung vertreten!

STELZER. Ja, aber die Wahl der Worte, Herr Bürgermeister! Die Wahl der Worte!

GRUBER grob. Net gar a so aufdrah'n hätten S' sollen!

STELZER. Pst! Herr Gruber! Ich meine die Art und Weise, wie Herr Bürgermeister mit dem Minister umgegangen sind.

BÜRGERMEISTER. Sie befinden sich da in einem Irrtum, meine Herren!

LINDLACHER. Na! Na!

GSCHWENDTNER. Da gibt's koan Irrtum!

BÜRGERMEISTER. Die Sache ist aufgebauscht worden. Ich versichere Sie. Durch den dummen Artikel im Wochenblatt.

KIERMAYER. Herr Bürgermoasta, a bisserl is Eahna da Gaul durchganga; a bisserl!

GRUBER. Ja, a bisserl! Dös war scho viel!

BÜRGERMEISTER zornig. Sie trauen mir doch nicht zu, daß ich mich wie ein Flegel benehme?

GRUBER. Gar so übrig's fei müassen S' net g'wesen sei!

LINDLACHER. Für was hätten denn mir nacha an Ovation bracht?

GSCHWENDTNER grob. Mir san do net lauter Hanswurschten!

STELZER flehend. Ruhe, meine Herren! Ruhe! Wir sagen ja bloß, Herr Bürgermeister. Sie haben sich etwas hinreißen lassen durch Ihren edlen Eifer.

BÜRGERMEISTER. So glauben Sie mir doch, meine Herren! Sie sind falsch berichtet!

GRUBER wütend. Herrschaft! Jetzt kunnt i scho glei grob wer'n.

STELZER zu Gruber. Lassen Sie mich reden! Zum Bürgermeister. Herr Bürgermeister, wir haben doch nur das Wohl der Stadt im Auge. Wir machen Ihnen keine Vorwürfe; wir wollen uns nur beraten wegen dieser mißlichen Lage ...

BÜRGERMEISTER. Wie Sie immer von einer mißlichen Lage reden können.

STELZER. Oder sagen wir Dilemma. Es ist doch ein gewisses Dilemma vorhanden. Herr Bürgermeister waren in einer durchaus edlen Erregung, aber wir sind halt auch Untertanen.

KIERMAYER. Dös können S' doch net leugna, Herr Bürgermoasta!

GSCHWENDTNER. Geben S' as halt zua![300]

BÜRGERMEISTER. Ich will Ihnen was sagen, meine Herren! Das Wohl unserer Stadt liegt mir auch am Herzen.

STELZER. Das wissen wir, Herr Bürgermeister. In dieser Beziehung.

BÜRGERMEISTER. Ich habe mir die Sache überlegt. Schon bevor Sie gekommen sind, weil ich über Ihre Sorgen schon etwas unterrichtet war.

STELZER. Herr Bürgermeister ...

BÜRGERMEISTER fortfahrend. Sehr würdevoll. Und ich habe sofort meinen Entschluß gefaßt. Vollständig frei, denn ich lasse mich durchaus nicht nötigen.

STELZER. Das möchten wir nie, aber ...

BÜRGERMEISTER unterbricht. Ich werde den Minister fragen, ob ich sein Empfinden auch nur im geringsten verletzt habe. Und sollte dies der Fall sein, Kurze Pause. dann werde ich mich entschuldigen.

GSCHWENDTNER. Ja, wirkli?

KIERMAYER freudig. I sag's ja!

BÜRGERMEISTER. Ich reise bereits morgen in die Residenz.

GSCHWENDTNER UND LINDLACHER. Ah! Ah!

KIERMAYER. Unsa Bürgermoasta!

STELZER. Herr Bürgermeister, erlauben Sie mir, diese Handlungsweise, sie ist eine edle!

LINDLACHER, GSCHWENDTNER, KIERMAYER unisono. Dös is s' aber aa!

BÜRGERMEISTER. Ich betone ausdrücklich, daß ich damit durchaus nicht zugebe, was in dem taktlosen Artikel gestanden hat. Aber – unserer Stadt zuliebe zögere ich keinen Augenblick. Ich möchte nicht, daß auch nur die leiseste Verstimmung bei der Regierung herrscht.

GSCHWENDTNER. Ja! Ja!

KIERMAYER. I sag ja bloß.

STELZER. Herr Bürgermeister, Sie haben sich selbst bezwungen, sozusagen. Das ist der schönste Sieg. Alle drängen sich freudig erregt um den Bürgermeister, rufen bravo, schütteln ihm die Hand.

KIERMAYER. Das war ein Manneswort!

LINDLACHER. Respekt, sag' i!

GSCHWENDTNER. Hut ab! vor einem solchen Mann![301]

GRUBER. Nix für unguat.

STELZER. Und unsern Dank! Unsern heißen Dank!

BÜRGERMEISTER. Bitte, meine Herren! Ich bedauere nur, daß Sie mir nicht gleich Ihr Vertrauen schenkten.

KIERMAYER. Der Gruber halt!

GRUBER. I war net alloa!

STELZER. Keinen Zwist, meine Herren! Wir haben nie das Vertrauen verloren, Herr Bürgermeister.

LINDLACHER. Ma red't ja bloß!

STELZER. Es war nur die Sorge um das Gemeinwohl!

GSCHWENDTNER. Ganz richtig!

STELZER. Wir wissen alle, was wir an Herrn Bürgermeister haben. Und wir werden das auch zeigen.

LINDLACHER. Jawohl!


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 298-302.
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