Ballmusik

[188] Im Herzen war es stille,

Der Wahnsinn lag an Ketten;

Da regt sich böser Wille,

Vom Kerker ihn zu retten,

Den Tollen los zu machen:

Da hört man Pauken klingen,

Da bricht hervor mit Lachen

Trommeten-Klang und Krachen,

Dazwischen Flöten singen,

Und Pfeifentöne springen

Mit gellendem Geschrei

Zwischen dröhnenden tönenden Geigen

In rasender Wuth herbei,

Das wilde Gemüth zu zeigen,

Und grimmig zu morden das stille kindliche Schweigen. –
[189]

Wohin dreht sich der Reigen?

Was sucht die springende Menge

Im windenden Gedränge? –

Vorüber! Es glänzen die Lichter,

Wir tummeln uns näher und dichter,

Es jauchzt in uns das blöde Herz;

Lauter tönet

Grimmer dröhnet

Ihr Cymbeln, ihr Pfeifen! betäubet den Schmerz,

Er werde zum Scherz! –


Du winkst mir, holdes Angesicht?

Es lacht der Mund, der Augen Licht;

Herbei, daß ich dich fasse,

Im Schweben wieder lasse;

Ich weiß, die Schönheit bald zerbricht,

Der Mund verstummt, der lieblich spricht,

Dich faßt des Todes Arm.

Was winkst, du, Schädel, freundlich mir?

Kein Kummer mir, nicht Angst und Harm,[190]

Daß du so bald erbleichest hier,

Wohl heut, wohl morgen.

Was sollen die Sorgen?

Ich lebe und schwebe im Reigen vorüber vor dir. –


Heut lieb ich dich,

Jetzt meinst du mich;

Ach, Noth und Angst sie lauern

Schon hinter diesen Mauern,

Und Seufzer schwer und thränend Leid

Stehn schon bereit,

Dich zu umstricken;

Froh laß uns blicken

Vernichtung an und grausen Tod;

Was will die Angst, was will uns Noth?

Wir drücken

Im Taumel die Hand;

Mich rührt dein Gewand,

Du schwebest dahin, ich taumle zurück –

Auch Verzweiflung ist Glück.
[191]

Aus diesem Entzücken,

Und was wir heut lachten,

Entsprießt wohl Verachten

Und giftiger Neid;

O herrliche Zeit!

Wenn ich dich verhöhne,

Winkt dort mir die Schöne,

Und wird meine Braut;

Die andere schaut

Noch kühner darein;

Soll dies' es denn sein? –


So taumeln wir alle

Im Schwindel die Halle

Des Lebens hinab,

Kein Lieben, kein Leben,

Kein Sein uns gegeben,

Nur Träumen und Grab:

Da unten bedecken[192]

Wohl Blumen und Klee

Noch grimmere Schrecken,

Noch wilderes Weh;

Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang,

Noch schreiender gellender Hörnergesang!

Ermuthiget schwingt, dringt, springt ohne Ruh,

Weil Lieb uns nicht Leben

Kein Herz hat gegeben,

Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! –

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 2, Heidelberg 1967, S. 188-193.
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