[193] Mit trübem Auge
In finstrer Nacht,
Geht durch das Leben
Das Kind geleitet
Vom ernsten Führer,
Den es nicht kennt.
Im Thal, am lauten Wasserfall
Stehn beide Wandrer still,
Der Führer spricht zum Horchenden:
Sieh, hier blühen alle Blumen,
Alle Wünsche, alle Freuden,
Pflücke, denn wie fließend Wasser
Rauscht das Leben dir vorüber.
[194]
Fort weicht die Gestalt,
Und tiefbekümmert
Sieht ihr mit langem Blicke
Der einsam Verlaßne schmachtend nach.
Wind säuselt in den Blumen,
Wellen murmeln so wie zum fröhlichen Tanz,
Da beugt sich der Fremdling
Und mäht mit raschen zitternden Händen
Die kleine Stelle
Auf der er steht.
Und Blumen und Gräser
Und giftiges Unkraut
Und stachlicht Gewürme
Fühlt zitternd die Hand,
Und halb erschrocken
Und halb entschlossen
Wirft Gräser und Unkraut,
Gewürme und Blumen
Das Kind mit Gewinsel
In die Fluthen des lauten abrollenden Stroms.
[195]
»Wo sind die Freuden?
Wo sind meine Wünsche?
Du hast mich betrogen
Und einsam verlassen
Zittr' ich noch einmal
Die Hand nach den täuschenden Blumen zu strecken.«
Da fließt des Mondes goldnes Licht
Durch Thal' und Wies' und über den Strom
Und räthselhaft steht rings die Gegend
Im Glanz des Abends.
»Wo find' ich die Heimath?
Wo sind die Gefährten?
Ich sehe nur Schatten,
Die dunkel und dunkler
Vom Strom herüber,
Bald hierhin, bald dorthin
Wie Wolken gehn.
Liegt alles jenseits,[196]
Was ich mir wünsche
Und herzlich suche?
Ich höre Töne,
Sind's ferne Wasser,
Sind's tönende Wälder,
Sind's Menschenstimmen?
So fremd und vertraulich,
So ernst und so freundlich,
Klingt's fern herüber.
Ach wie trotzig braust der Strom sein Lied fort,
Ziehende Vögel spotten meiner in der Ferne,
Wolken sammeln sich um den Mond und nehmen ihn mit sich,
Ach kein Wesen, das meiner sich erbarmte.«
»Ist dies das Leben,
Voll Lieb' und Freude?
Wo find' ich die schöne
Verlaßne Heimath?« –
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