Zwei und zwanzigster Brief.

Fiekchen an Ernestinchen.

[159] Bestes Ernestinchen!


Erinnerst du dich, daß ich dir geschrieben, wie mich ein vornehmer, alter Herr im Theater mit dem Sperrbäcktüfe betrachtete? Ich kenne ihn schon sehr gut, und bin sogar in genaue Konnexion mit ihm gekommen. Sein Laufer, dem mich der Herr gut beschrieben hatte, gabelte mich in der Kirche auf, und versah die Stelle des Liebesambassadeurs. Es wurde zwischen uns abgehandelt, daß ich mit Wilhelm zu einer bekannten Madame ziehen, und sein Herr Logis, Kost und Kleider für mich bezahlen, auch mir monathlich noch zwölf Thaler Stecknadelgeld geben wolle. Ich verließ also den Tanzmeister, und zog zu meiner neuen Wirthinn.[160] Sie ist noch jung, schielet aber auf beiden Fenstern, und mag mit der Kuppelei umgehen können.

Am nemlichen Tage brachte mir der Laufer ein Päckchen Wäsche von seines Herrn hochseel. Gemahlinn; weil, wie er sagte, große Herren nicht gewohnt wären, unter zerrissene Hemden zu greifen, – und des Abends bekam ich schon die erste Knallvisitte. Wilhelm wurde weggeschickt, und nun mußte ich mich in Gegenwart der Madame Listiginn (so heißt sie) auf den Rücken auf einen Tisch legen. Sie deckte mir die Röcke auf, und der alte Herr waffnete sich mit der Brille, und besichtigte mir die Artischocke mit aller Genauigkeit, maß sie auch mit dem Zollstocke; dann roch er daran: und endlich tauchte er den Finger darein, und tippte sich damit an die Zunge. Wie das vorbei war, mußte mich Madame Listiginn mit ihm allein lassen, und er befahl mir, seine Hosen aufzuknöpfen[161] und an seinem Schlauch zu spielen. Ich that mein Möglichstes, und er zog während deme ein Papierchen aus der Tasche, und kaute etwas daraus, das, wie ich nachher erfuhr, ein Extrakt von gewissen Meerfischen, Sperlingseiern, Cchokolade, Selleri, Hasenschwänzchen, und spanischen Mücken war.

Durch diese vereinte Mittel bekam endlich sein Senkel eine halbe Steife, und er fieng ein erstlicheres Spiel mit mir an; doch – er fieng's nur an, und wenigstens sah ich den guten Willen. – Er kehrte also unverrichteter Sache nach Hause; und so gieng's alle Tage.

Madame Listiginn gab indessen verschiedenen jungen Herren von meinem Daseyn Nachricht, zu denen sie mich entweder ins Haus führte, oder sie zu mir kommen ließ; das ihr denn immer etliche Thaler abwarf, wovon sie mir etwa acht Groschen zufließen ließ.[162]

Wilhelm begonnte bei den öfteren Besuchen des alten Herrn eifersüchtig zu werden. Er murrte nicht allein gegen ihn, sondern ließ sich sogar mit einigen groben Reden heraus. Der alte Herr, der nicht viel vertragen konnte, nahm ihn bei der Karthaunse, und peitschte ihn tüchtig ab; worauf er uns ohne Abschied zu nehmen verließ.

Ich dachte nicht, daß dies üble Folgen haben würde; aber er ließ sich von diesem Tage an nicht mehr sehen. Es wurde die monathliche Kostbezahlung gefällig, und erschien kein Geld. Hier muß ich dir berichten, daß ich die Madame Listiginn einige male betrogen, und mir eigene Bestellungen gemachet, von deren Abwürfe ich ihr keinen Antheil hatte nehmen lassen. Sie war daher schrecklich gegen mich aufgebracht, legte mir eine horrente Rechnung vor, und drang auf die Bezahlung.

Zum größten Glücke begegnete mir[163] der Laufer, den ich ersuchte, meine Verlegenheit seinem Herrn vorzustellen. Er versprach's. Nachmittags kam er schon mit der Nachricht, daß sein Herr Alles wieder wie vorher, thun würde; aber den naseweisen Buben, den Wilhelm müßte ich aus dem Hause schaffen. Was wollte ich thun? An Wilhelm war mir ohnedem nichts mehr gelegen; ich miethete ihm also eine Kammer in einem anderen Hause, und wußte ihn durch das Versprechen; daß ich bald unter einer andern Gestalt mit ihm leben wolle, zu trösten.

Der alte Herr setzte nun seine Besuche wieder fort; aber ich hatte mir vorgenommen, mich an ihm zu rächen, weil er mich erst wollte sitzen lassen; und ein Umstand brachte mich bald auf die Sprünge. Ich war nemlich an einem Abend auf dem Tanzsaale, und bemerkte unter den Zuschauern den Polizeikommissär verkleidet. Er gieng auf mich zu. »Nun wie steht es, Fiekchen,[164] hub er an: giebts noch nichts zu fischen?« – Gleich besann ich mich auf meinen alten Herrn; entdeckte ihm die Sache, und machte also einen Judas, und er versprach mir den dritten Theil von der Strafe. Noch mußte ich ihm die Stunde sagen, wenn er mich zu besuchen pflegte, und so schieden wir von einander.

Den folgenden Tag, als mein alter Herr bei mir war, und ich ihm eben an seinem schlappen Schacher spielen mußte, pochte man an der Thüre. Er wollte geschwind einpacken; ich hielt ihn aber so vest am Sacke, daß er alles hin und wieder Rutschens ohngeachtet, nicht los kam, und ihn der hereintretende Kommissär in dieser poßirlichen Stellung sah.

»Geniren sich Ew. Gnaden nicht.« fieng er an: – »Ich bin zwar nur hieher gekommen, diese Demoiselle abzuholen; da ich aber das Glück habe,[165] Ew. Gnaden, und zwar in einer so seltenen Beschäftigung hier anzutreffen, so muß ich bitten, daß Sie sich unsere Gesellschaft gefallen lassen, und mitgehen.« –

Der alte Herr schnaubte Donner und Wetter: da er aber sah, daß sich der Kommissär dadurch nicht schröcken ließ; gab er gute Worte, fand sich mit ihm ab, und stellte sogleich einen Wechsel von 6000. Thalern aus; wornach er sich empfehlen durfte. Ich wurde nun in einem zugemachten Wagen ins Polizeihaus gebracht; aber nicht in eine Gefangenenstube, sondern in des Kommissärs Wohnung, bei welchem ich sechs Tage und Nächte blieb, wohl bewirthet wurde, und Weibesdienste versah, bis der Wechsel bezahlet war, und ich meinen Antheil eingestrichen hatte; worauf ich unter den höflichsten Dankbezeigungen wieder auf freien Fuß kam.[166]

So viel Geld hatte ich noch nie beisammen gesehen, und dünkte mich reicher, als eine Königinn. Ich schickte nach einem Lehnlaquai, welcher mir ein eigenes Quartier aufnehmen mußte, und bezog es auf der Stelle, ohne mehr zur Madame Listiginn zu gehen. Den dritten Tag darnach paradierte ich in einem neuen Kleide von geschnittenem Sammt in der Kirche, und zog aller Männer Augen auf mich. Wie ich heraus gieng, schlich mir ein junger Herr nach, und lispelte mir unter der Thüre ins Ohr, ob er mich begleiten dürfe? Ich nickte mit dem Kopfe, er verstand es, und folgte mir in mein Zimmer. Übrigens war er nett gekleidet, und sehr artig.

Ich wollte dick gegen ihn thun, und lud ihn zum Mittagsessen; und da er es nach einigem höflichen Weigern annahm, ließ ich zwei Porzionen zu einem Thaler aus dem Hotel de S** bringen. Da es die Rede gab, erklärte[167] ich ihm, daß ich keine Eltern mehr habe; ein gebohrnes Fräulein, und hirher gekommen sey, um meine Majorennität zu erkaufen. Er nannte sich von einer bekannten Familie aus dem Elsaß, und gab vor, daß er nächstens bei Hofe placiret werden würde.

Hierauf erklärte er mir seine Liebe in so zärtlichen Ausdrücken, die einen Stein hätten rühren müssen: und da mir seine Karessen sehr wohl gefielen, wurden wir bald eins. Er versicherte mich, daß er mich anbetenswürdig fände. – War das nicht scharmant gesagt? – Wir versprachen einander ewige Treue, und setzten einen Liebeskontrakt auf. Er stach sich in den Finger, und unterschrieb ihn mit seinem Blute, und forderte mich auf, ein gleiches zu thun; da ich nun gleich mein Monathliches hatte, war es mir leicht, ohne mich in den Finger stechen zu dürfen. Er macht seine Sachen fürstlich, das muß ich gestehen; aber du[168] mußt das Wort fürstlich nicht in eigentlichem Verstände nehmen, denn ich bin überzeugt genug, daß mancher Schmiedeknecht oder Schuster wohl zehen Fürsten und Grafen in den Sack, und wieder heraus buchstabiren könnte.

Wir leben wie Mann und Weib, und ich nehme nichts von ihm, hingegen drücket er auch ein Auge zu, wenn mich jemand besuchet. Wilhelm habe ich mit unbekannter Hand drei Louisd'ore als eine Abfertigung zugeschickt, und er soll mein Quartier nicht erfahren. Und was sollte ich auch bei meinen itzigen Umständen mit ihm thun? Er ist ein gar zu junger Pursch, und macht mir kein Ansehen; überdieß haben sich schon oft meine Kunden vor ihm gescheuet, weil er nie so polit war, Platz zu machen; im Gegentheil als ein unbescheidener Esel mir über dem Hals geblieben, sie wie ein Maulaffe angegaffet, und öfters ausbleiben gemachet hat.[169]

Lebe wohl, beßtes Ernestinchen, ich lebe itzt in Herrlichkeit und in Freuden, und wünsche nichts mehr, als daß ich dich, wenn deine Drangsalen vorbei sind, in eben solchen Umständen wissen möge. Ich bin ewig


Dein Fiekchen.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 159-170.
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