Frühlingslust

[30] Seht den holden Frühling blühn!

Soll er ungenossen fliehn?[30]

Fühlt ihr keine Frühlingstriebe?

Freunde! weg mit Ernst und Leid!

In der frohen Blumenzeit

Herrsche Bacchus und die Liebe.


Die ihr heute scherzen könnt,

Braucht, was euch der Himmel gönnt,

Und wohl morgen schon entziehet.

Denn wer ists, der wissen mag,

Ob für ihn ein Frühlingstag

Aus Aurorens Armen fliehet?


Hier sind Rosen! Hier ist Wein!

Soll ich ohne Freude seyn,

Wo der alte Bacchus lachet?

Herrsche, Gott der Frölichkeit!

Herrsche, denn es kommt die Zeit,

Die uns trübe Stirnen machet.


Aber, Phyllis läßt sich sehn!

Seh ich Amorn mit ihr gehn?

Ihm wird alles weichen müssen.

Weiche, Wein! Wo Phyllis ist,

Trinkt man seltner, als man küßt:

Bacchus, weg! ich will nun küssen.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 30-31.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer