Vierzehntes Kapitel.
Der Ausbruch des Vulkans.

[411] Der zweite Angriff war also wie der erste, nur mit noch größerm Erfolge, abgeschlagen worden. Von den Kanadiern fehlte beim Appell kein einziger, die Angreifer dagegen hatten ein Viertel ihrer Mannschaft verloren.

Wenn sich die Lage hiermit auch gebessert hatte, war sie doch noch keineswegs glänzend. Die beiderseitigen Streitkräfte waren immer noch ungleich und von einem wirklichen Siege konnte nur die Rede sein, wenn das Gebiet von[411] dem letzten der Raubgesellen gesäubert war. Bis dahin nahm die Sorge für ihre Verteidigung die ganze Aufmerksamkeit der Karawane in Anspruch und vorher konnte an eine Sicherheit bei der geplanten Ausbeutung des Golden Mount nicht gedacht werden.

Ob es wohl dazu in gelegner Zeit überhaupt noch kam? Oder sollten sich vielleicht alle in nutzlosen Kämpfen erschöpfen und den Sieg erst dann erringen, wenn die Nähe des Winters auch ihn nutzlos machte? In drei Wochen mußte die Karawane nun wieder aufbrechen, wenn sie der schlechten Jahreszeit entgehen wollte, der Zeit mit den Stürmen, dem Schneetreiben und den schrecklichen Blizzards, wenn sie, nach Abweisung des Angriffs der Menschen, sich nicht dem noch hartnäckigern und wildern Angriffe der Natur aussetzen wollte.

Und sollte etwa Ben Raddle, unter dem Vorwande, Zeit zu gewinnen, solange die Texaner noch da waren, seinem Plan, einen Ausbruch herbeizuführen, Folge geben, indem er das Wasser des Rios in den Krater einleitete? Würde da nicht Hunter als Herr des Vulkangipfels die Frucht so vieler Mühen und Anstrengungen pflücken?

Den ganzen Tag des 22. Juli, der übrigens durch keinen Zwischenfall gestört wurde, beschäftigte sich Ben Raddle mit diesem Gedanken.

Die ungewohnte Ruhe konnte ihn nicht täuschen. Hunter beabsichtigte jetzt vielleicht, die Sache in die Länge zu ziehen. Dann sahen sich die Belagerten in die Notwendigkeit versetzt, des nahenden Winters wegen ihren Feinden auf offnem Felde entgegenzutreten und um jeden Preis einen Streit auszufechten, der sich doch nicht endlos hinziehen konnte.

Frühzeitig am folgenden Tage begaben sich der Scout und Ben Raddle über den Kanal hinaus, um die Ebene zu besichtigen. Diese war öde und leer, auch nach der Seite des Waldes kein abziehender Trupp zu sehen. Sollte sich da Hunter wirklich entschlossen haben, seine Pläne endgültig aufzugeben?

»Es ist recht ärgerlich, sagte Bill Stell, daß man den Golden Mount nicht von der Seite unsres Lagers aus ersteigen kann. Vom andern Rande des Plateaus aus hätten wir sie jedenfalls sehen können.

– Ja freilich, Bill, das ist bedauerlich, antwortete Ben Raddle.

– Ich glaube übrigens, fuhr der Scout fort, es kann keine Gefahr dabei sein, wenn wir uns jetzt ein paar hundert Schritt weit vom Berge entfernen.

– Gewiß nicht, Bill, es ist hier ja keine Menschenseele zu sehen. Was unsre Leute gestern getan haben, können wir heute auch tun. Und selbst wenn[412] uns jemand entdeckte, hätten wir immer noch Zeit genug, zum Kanal zurückzukehren und die Barrikade zu verschließen.

– So wollen wir gehen, Herr Raddle; wir können dann wenigstens den Gipfel des Vulkans übersehen. Vielleicht sind die Rauchwolken darüber jetzt dichter und der Krater fängt an, Lava auszuwerfen.«

Beide gingen nun etwa eine Viertellieue nach Süden zu.

Keine Veränderung an der Mündung des Kraters, aus dem mit Flammen vermischte Dampf- und Rauchwolken hervorquollen, die vom Winde nach dem Meere hin getragen wurden.

»Heute kommt es hier noch zu nichts, meinte der Scout.

– Und auch morgen noch nicht, sagte dazu der Ingenieur. Mir ist das übrigens sehr recht, denn ich wünsche jetzt, daß die Eruption nicht eher stattfindet, als bis Hunter davongezogen ist... wenn er das überhaupt tut.

– Das wird wohl nicht geschehen, sagte Bill Stell, während er nach einem leichten Rauche wies, der neben dem äußersten Vorsprunge des Golden Mount aufstieg.

– Ja wahrlich, rief Ben Raddle, die Burschen sind noch immer da und tun, als ob sie hier zu Hause wären! Und da wir keinen Versuch machen, sie zu verjagen, werden sie daraus schließen, daß wir uns dazu zu schwach fühlen.«

Nach einem allseitigen Überblick über die Ebene wandten sich beide dem Kanale wieder zu und kehrten ins Lager zurück.

Jetzt war schon der 23. Juli und der Ingenieur sah mit Schmerzen die Tage verrinnen, ohne daß er einen Schritt weiter kam.

In drei Wochen war es, wie der Scout versicherte, schon sehr spät, den Rückweg nach Klondike einzuschlagen, da die Karawane dort vor dem 15. September nicht eintreffen könnte. Zu dieser Zeit haben aber die Goldgräber, die die rauhe Jahreszeit in Vancouver abzuwarten vorziehen, Dawson City schon verlassen und die letzten Paketboote dampfen bereits den Yukon hinunter.

Summy Skim besprach sich hierüber häufiger mit Bill Stell und auch am heutigen Nachmittag, während Ben Raddle am Kanalufer auf- und abging.

Dieser bog nach Besichtigung des Dammes die Zweige auseinander, die den Eingang zur Galerie verdeckten, und ging darin bis zur Wand, die diese noch vom Kamin des Vulkans trennte.

Noch einmal überzeugte er sich von der Lage der sechs in der Felswand angelegten Bohrlöcher, die er selbst schon geladen und mit Lunten versehen hatte.[413]

Er fand auch, daß sechs andre Sprengpatronen im Damme eingegraben und deren Lunten im besten Zustande waren... Ein Streichhölzchen... und das Wasser stürzte unaufhaltsam in den Gang hinein.

Ohne die Anwesenheit der Texaner hätte er sein Glück schon heute versucht. Warum sonst noch warten, da die Zeit drängte und es nicht den Anschein hatte, daß der Ausbruch von selbst erfolgen würde?

Es hätte genügt, die mehrere Minuten glimmenden Lunten anzuzünden, und nach einem halben Tage, nach zwei Stunden, nach einer, vielleicht noch eher, würde sich der angesammelte Dampf mit Gewalt einen Ausgang ins Freie gebrochen haben.

Ben Raddle stand nachsinnend vor der dünnen Scheidewand und verwünschte seine Ohnmacht und die Unmöglichkeit, die Erreichung seines kühnen Planes auf der Stelle herbeizuführen.

Als er so darüber grübelte, vernahm er die Geräusche aus dem Zentralkamine. Das Donnern und Dröhnen darin schien ihm stärker geworden zu sein.

Er glaubte sogar das Krachen gegeneinander geworfener Felsblöcke zu hören, so als ob diese von Dämpfen emporgehoben und dann zurückgestürzt wären. Ob das wohl Vorzeichen eines baldigen Ausbruchs waren?

Da erschallten plötzlich von draußen Stimmen durcheinander; er unterschied davon nur die Bill Stells, der durch die Mündung der Galerie hereinrief.

»Herr Raddle!... Herr Raddle!

– Was gibt es denn? fragte der Ingenieur.

– Kommen Sie... aber schnell, schnell!« antwortete der Scout.

Ben Raddle glaubte, die Bande unternähme noch einen dritten Angriff, und er beeilte sich deshalb, wieder nach dem Damm zu kommen. Hier fand er Summy Skim und Jane Edgerton nebst Bill Stell.

»Die Texaner wollen uns nochmals angreifen? fragte er.

– Ja, die verwünschten Kerle! rief der Scout. Doch weder von vorn noch von rückwärts, sondern jetzt von oben her!«

Er zeigte dabei nach der Seite des Golden Mount.

»Da... überzeugen Sie sich selbst, Herr Ben,« setzte er hinzu.

Hunter und seine Spießgesellen hatten, da es ihnen von der Nord- und Südseite gleichmäßig mißlungen war, ins Lager einzudringen, tatsächlich auf einen unmittelbaren Angriff verzichtet, um dafür einen andern Plan aufzunehmen,[414] der mindestens die Folge haben mußte, die Karawane zum Verlassen des Lagers zu zwingen.

Sie hatten den Vulkan erstiegen, dessen Endkegel umkreist und hatten sich nach der Seite des Plateaus begeben, an deren Fuße die kanadischen Zelte lagen. Hier brachen sie mit Spitzhaue und Hebeln von dem zum Teil zerklüfteten Felsen große Stücke los, die sich zu Hunderten vorfanden. Bald wurden die wuchtigen Steinmassen bis zum Rande gewälzt und donnerten dann lawinenähnlich hinunter, wobei sie, noch weiter zerspringend, die Bäume zerschmetterten oder aus dem Boden rissen.

Einzelne dieser schrecklichen Geschosse rollten sogar bis in den Kanal, dessen Wasser dadurch hoch über die Ufer aufspritzte. Ben Raddle und seine Gefährten hatten sich dicht an die Flanke des Berges geschmiegt, um diesem tödlichen Hagel zu entgehen.

Im kleinen Gehölz konnte sich niemand halten. Schon verschwand das Lager fast unter den vom Berge heruntergestürzten Blöcken und die Leute hatten Zuflucht am Ufer des Rios gesucht, der so weit entfernt lag, daß ihn die Lawine nicht erreichen konnte.

Von dem vorhandenen Material waren nur noch Trümmer übrig. Zwei von den Karren lagen zerbrochen umher, die Zelte waren weggeschlagen und zerrissen, die Geräte zerstört. Zerquetscht lagen drei von den Maultieren auf der Erde, die andern waren, erschreckt und scheu geworden, mit einem Satze über den Kanal gesprungen und hatten sich auf der Ebene zerstreut. Eine wirkliche Katastrophe!

Von oben tönte wildes Geheul herab, Freudengeschrei der Rotte, die über das entsetzliche Vernichtungswerk jubelte. Und immer noch polterten die Felsblöcke herunter, schlugen zuweilen beim Fallen auf und zerbarsten zu kleineren Stücken, die sich wie Kartätschengeschosse zerstreuten.

»Die werfen uns ja den ganzen Berg auf den Kopf! rief Summy Skim.

– Was sollen wir dagegen tun? fragte der Scout.

– Ja, was wir tun sollen, weiß ich selbst nicht, erwiderte Summy Skim, außer dem einen, Hunter, eine Kugel auf den Pelz jagen, statt etwa mit ihm verhandeln zu wollen. »

Höchst gereizt, zuckte Jane Edgerton mit den Schultern.

»Das sind leere Worte, sagte sie, und inzwischen wird alles, was wir besitzen vernichtet. Bald wird davon nichts mehr übrig sein, wenn wir nicht[415] wenigstens die Trümmer retten. Wir wollen die Karren nach dem Rio schaffen, wo sie nicht mehr getroffen werden können.

– Ganz recht, stimmte der Scout ihr zu. Doch nachher?

– Nachher? wiederholte Jane Edgerton, nachher gehen wir ins Lager der Mordbuben und erwarten sie da. Wenn sie herunterklettern, werden sie aus geeigneter Entfernung niedergeschossen und ihre Wagen mögen uns dann unsre verlornen ersetzen!«

Voller Bewunderung blickte der Scout die tatkräftige Gefährtin an. Ihr Vorschlag war kühn, doch nicht unausführbar. Hunter und seine Leute mußten sich jedenfalls in ungünstiger Lage befinden, wenn sie unter dem Feuer von zwanzig Gewehren den Abhang hinunterklettern wollten.

Das taten sie aber gewiß nicht eher, als bis es ihnen an Steingeschossen fehlte.

Man würde also Zeit genug haben, unbemerkt am Fuß des Berges hinzuschleichen und sich nach dessen anderer Seite zu begeben. Befanden sich da noch einige Leute von der Bande, so mußten diese leicht überwältigt werden können, und dann würde man das Absteigen Hunters und der übrigen abwarten und sie, wie Gemsen oder Steinböcke vom Anstand aus, einzeln wegschießen.

»Ein herrlicher Gedanke! platzte Summy Skim her aus. Schnell die Leute herangerufen und dann hinaus über den Damm! In einer halben Stunde sind wir an Ort und Stelle, während die Schurken mindestens zwei Stunden brauchen, herunterzuklettern.«


Alle starrten verwundert auf das erschreckende Schauspiel. (S. 421.)
Alle starrten verwundert auf das erschreckende Schauspiel. (S. 421.)

Hatte sich Ben Raddle auch nicht an diesen Reden beteiligt, so hatte er doch Jane Edgerton ihren Plan auseinandersetzen gehört, den einzigen, der tatsächlich ausführbar und erfolgreich zu sein schien.

Als Summy Skim sich aber schon in Bewegung setzen wollte, hielt ihn sein Vetter zurück.

»Da können wir doch noch etwas Besseres tun, sagte dieser.

– Was denn? fragte Summy Skim gespannt.

– Nun, der Bande Hunters nach Gebühr antworten. Wir haben eine furchtbare Waffe zur Hand.

– Eine Waffe? wiederholte der Scout.

– Den Vulkan. Wir brauchen nur dessen Ausbruch hervorzurufen und vernichten sie dadurch alle zusammen.«

Nach kurzem Schweigen fuhr der Ingenieur fort:[416]

»Geht ihr am Fuße des Berges und am Rande des Meeres hin zu unsern Leuten, inzwischen zünde ich die Minen an und komme dann schnellstens zu euch.

– Ich bleibe bei dir, Ben! erklärte Summy Skim, der dem Ingenieur die Hand drückte.

– Das wäre nutzlos, erwiderte dieser bestimmt. Ich laufe nicht die mindeste Gefahr. Die Hauptlunte liegt, wie du weißt, bereit und ich brauche nur die eine anzuzünden.«

Da half kein Widerspruch. Summy Skim, Jane Edgerton und der Scout entfernten sich also, um die übrigen am Ufer des Rio Rubber vereinigten Mitglieder der Karawane aufzusuchen. Sofort verschwand Ben Raddle hinter dem Gezweige, das den Eingang verdeckte. Kriechend erreichte er die Mitte der Galerie und nachdem er hier die Lunte in Brand gesetzt hatte, die einerseits mit den Sprengschüssen in der Felswand, anderseits mit denen im Damme verbunden war, eilte er schleunigst davon und ebenfalls näher auf das Meer zu.

Eine Viertelstunde später explodierten die Minen mit dumpfem Krachen; der Berg schien bis zu seinem Fuße zu erzittern. In tausend Trümmern verstreute sich der gesprengte Damm und das Wasser des Kanals stürzte sich rauschend in die nun offen liegende Galerie Doch war auch die Sperrwand an ihrem andern Ende durch die Explosion beseitigt worden? Die dichten, rußigen Dämpfe, die sofort qualmend austraten, hatten diese Frage eher beantwortet, als man sie hätte stellen können. Ja, die Wand war durchbrochen, denn durch die neue Öffnung stieß der Vulkan seinen erstickenden Atem aus.

Gleichzeitig drang aus der Galerie ein betäubendes Getöse hervor. Das siedend und pfeifend aufbrodelnde Wasser kämpfte mit den obersten Lavaschichten und verdampfte bei der Berührung mit diesen.

Feuer und Wasser! Welches von den beiden Elementen würde als Sieger aus dem Titanenkampfe hervorgehen? Würde das Feuer beim Erlöschen die Lavaoberfläche so erhärten, daß das Wasser sie nicht mehr durchdringen könnte, oder würde das aus dem unerschöpflichen Mackensie zuströmende Wasser nicht vielmehr durch das Feuer besiegt werden, wenn es damit zusammentraf?

Zwei Fragen, deren Beantwortung mit begreiflicher Spannung von allen entgegengesehen wurde.

Eine halbe Stunde ging hin, eine ganze Stunde... das Wasser strömte noch immer gurgelnd der Galerie zu und verschwand, die Dämpfe fast zurückdrängend, tosend in der Tiefe des Berges.[419]

Gut bewaffnet, hatte sich die gesamte Truppe der Kanadier über den Rio Rubber hinaus nach der Meeresküste zurückgezogen. Regungslos und schweigend beobachteten sie ängstlich die weitre Entwicklung der Dinge.

Plötzlich wurde der Erdboden wie durch einen Frostschauer erschüttert und ein entsetzliches Dröhnen drang aus der Erde. Dann trat eine seltsame Erscheinung ein. Die ganze Ebene nach Süden schien über Sehweite hinaus in Wellenbewegung zu geraten und bald wurde die Sonnenscheibe von dichten Staubwolken verdunkelt.

Da wurden die Kanadier von heillosem Schrecken gepackt. Alle, selbst die mutigsten, empfanden eine unnennbare Furcht angesichts der unbesieglichen Kräfte, die ihre schwachen Hände entfesselt hatten.

Schon begann das Wüten des Vulkans aber sich zu mäßigen. Die Staubwolke senkte sich zur Erde und die Sonne wurde wieder sichtbar.

Das beruhigte die Leute. Erleichternde Seufzer entrangen sich ihrer Brust und das Herz schlug ihnen langsamer. Einige wagten sogar, leise zu lächeln, und alle ließen die Blicke fragend umherschweifen.

In der Natur hatte sich nichts verändert. Der Rio Rubber ergoß sich wie vorher in den Ozean, dessen Wellen sich an demselben Ufer brachen. Der Golden Mount, der an der Ferse nur von einer unbedeutenden und nicht tödlichen Wunde verletzte Riese, erhob noch immer sein von Rauch und Flammen gekröntes Haupt, scheinbar unempfindlich gegen den Wasserstrom, den der Kanal ihm noch ununterbrochen zuführte.

Eine weitre Viertelstunde verstrich, da donnerte plötzlich, ohne daß etwas darauf hingedeutet hätte, eine furchtbare Explosion.

Oben zerbarst der Berg, von dem ein mächtiges Stück ins Meer fiel, das in einer gewaltigen Woge aufschäumte. Mit Steinen, erhärteten Lavabrocken, mit Schlacken und Asche vermischt, züngelten Flammen und Rauchmassen zischend aus dem Krater und schossen mehr als fünfhundert Meter in die Luft empor.

Von diesem Augenblicke an folgte eine Detonation der andern. Der von neuer Wut geschüttelte Vulkan schleuderte zu tausenden glühende Geschosse heraus. Die einen fielen in den gähnenden Schlund, der sie ausgespien hatte, zurück, die andern folgten dem durch die erste plutonische Kraftentfaltung eröffneten Wege und verschwanden pfeifend und zischend in den Fluten des Arktischen Ozeans.

»Aber... Gott verzeihe mir! stotterte Summy Skim, der vor übergroßer Erregung gar nicht ordentlich sprechen konnte, da fliegen unsre Pepiten ins Meer!«[420]

Wenn Ben Raddle und der Scout diese Bemerkung nicht vorher gemacht hatten, lag das nur daran, daß auch sie jetzt keines Wortes mächtig waren. Die Überraschung, richtiger Verzweiflung, hatte sie völlig gelähmt.

Diese Reise unternommen, sich auf einen Kampf mit der Natur eingelassen zu haben, so viele Anstrengungen, so peinliche Beschwerden... um am Ziele zu scheitern!

Ben Raddle hatte sich ja nicht getäuscht; es war ihm durch Einleitung des Wassers in den Kamin des Vulkans, wie berechnet, gelungen, die Eruption zu erzwingen, ihm fehlte aber die Macht, dieser Eruption den Weg vorzuschreiben, und sein Unternehmen endete mit einem vernichtenden Fehlschlage.

Das Ungeheuer, das er befreit hatte, gehorchte nicht mehr seinem Willen. Nichts hätte den wütenden Ausbruch jetzt beruhigen können. Die Erde zitterte, als wollte sie sich jeden Augenblick öffnen, und die Luft vibrierte unter dem Gebraus der Flammen und dem Gezisch der Dampfmassen. Der Endkegel war hinter einem Vorhange von glühendem Rauch und unatembaren Gasen verschwunden.

Verschiedne der in die Luft emporgeschleuderten Blöcke zerplatzten wie Bomben und zerstreuten sich als goldnes Pulver...

»Unsre Pepiten zerspringen!« jammerte Summy Skim.

Alle starrten verwundert auf das erschreckende Schauspiel.

Augenblicklich dachten sie mit keiner Silbe an die Texaner, sondern nur an die Schätze des reichsten Goldlagers der Welt, die jetzt nutzlos im Wasser des Eismeers versanken.

Von Hunter und seiner Rotte hatte die Karawane freilich nichts mehr zu fürchten. Überrascht von der Plötzlichkeit des ganzen Vorgangs, mochten sie wohl keine Zeit gefunden haben, sich in Sicherheit zu bringen. Vielleicht war das Plateau unter ihren Füßen geborsten, vielleicht waren sie vom Krater verschlungen worden... vielleicht lagen sie, in die Luft geschleudert, verbrannt und verstümmelt, schon in der Tiefe des Polarmeeres!

Ben Raddle war der erste, der seine Kaltblütigkeit wiedergewann.

»Kommt!... Kommt!« rief er dringend.

Ihm nachfolgend, gingen alle am rechten Ufer des Peel River, der oberhalb des Kanals durch eine Furt überschritten wurde, und dann längs des Fußes des Golden Mount über die Ebene hin. Zwanzig Minuten später war das Lager der Texaner erreicht.[421]

Die fünf oder sechs Leute, die zu dessen Überwachung zurückgeblieben waren, entflohen, als sie sich überfallen sahen, eiligst dem Walde zu und die durch das Krachen der Eruption und das Knattern der Gewehre erschreckten Pferde zerstreuten sich wilden Laufs in der Prärie.

Die Kanadier setzten sich in dem von seinen Verteidigern verlassenen Lager fest, dann richteten sie die Blicke nach den steilen Abhängen des Berges.

Die hoch oben donnernde und dröhnende Eruption hatte ihr Vernichtungswerk vollbracht. Von der Truppe der Raubgesellen waren nur noch wenige übrig, die halb besinnungslos die Abhänge des Golden Mount herunterkletterten oder sich gleich hinabgleiten ließen auf die Gefahr hin, Arme und Beine zu brechen.

Unter ihnen sah man jetzt Hunter, der sich, schwer verletzt, kaum fortschleppen konnte, etwa hundert Meter über der Ebene auftauchen. Die Leinenbinden um seinen Kopf verhüllten jedenfalls die Spuren sei nes vorgestrigen Sturzes, der ihn, wie infolge einer Gehirnerschütterung, so lange bewußtlos gemacht hatte.

Als die dezimierten, waffen- und mutlosen Unglücklichen ihr Lager besetzt sahen, verrieten heftige Gesten ihre Verzweiflung, und mehr nach Norden abbiegend, suchten sie das Meer zu erreichen, um diesem bis zum Walde zu folgen.

Zwei von ihnen sollten aber nicht mehr dahin kommen.

Als Hunter, von zweien seiner Leute unterstützt, die ersten Schritte in der neuen Richtung tat, sprang aus dem brüllenden Krater ein ungeheurer Block hervor. Während sich nun die andern Geschosse des Vulkans gleichmäßig nach Norden zu verstreuten, stürzte dieser aus unerkennbarer Ursache abgelenkte Block an der Südseite herunter, beschrieb dabei eine ungeheure Parabel und fiel mit mathematischer Genauigkeit auf die Gruppe der drei flüchtenden Texaner.

Nur einer von ihnen, dem es gelang, dem Steine auszuweichen, rettete sich mit lautem Aufschrei. Ein andrer blieb, buchstäblich zermalmt, an der Stelle liegen.

Hunter drehte sich, am Kopfe schwer getroffen, taumelnd um sich selbst und rollte von Fels zu Fels herunter, bis er zerschmettert am Fuße des Berges liegen blieb.

Inzwischen war der Block, seinem Opfer voraus, den Abhang weiter hinuntergepoltert. Dann verminderte sich seine Schnelligkeit und wie ein gelehriger Diener rollte er langsam noch bis zu den Füßen Ben Raddles.[422]

Dieser beugte sich über ihn. Unter den durch das Aufschlagen entstandenen Schrunden schimmerte eine gelbliche Substanz mit metallischem Glanze hervor, und der Ingenieur, dessen Herzschlag vor Erregung fast stockte, erkannte, daß der Block durchweg aus reinem Golde bestand.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 411-417,419-423.
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