Fünfzehntes Kapitel.
Worin Jane Edgerton, Summy Skim und Ben Naddle nichts mehr begreifen.

[423] Das Gold, nach dem Hunters Sinnen und Trachten gestanden hatte, das zeigte ihm ein unerbittliches Schicksal erst in der Stunde seines Todes. Und wie hatte er gedürstet nach dem kostbaren und doch oft so schädlichen Metalle! Wie viele Verbrechen begangen, wie viel mehr noch geplant, sich in dessen Besitz zu setzen! War es nicht wie eine Ironie das Schicksals, daß jetzt das Gold dieses Gehirn zermalmen mußte, das so viele verbrecherische Träume geboren hatte?

Ben Raddle hatte nur gleichsam maschinenmäßig mit dem Auge das merkwürdige Geschoß gemessen, das ihn aber von seinem Feinde befreit hatte, und er schätzte dessen Wert wenigstens auf hunderttausend Francs. Die Metallmasse – jetzt sein unbestreitbares Eigentum – mußte schon allein die Kosten der Expedition decken und erlaubte sogar, jedem der mutigen Teilnehmer noch eine bescheidne Entschädigung zukommen zu lassen.

Welcher Ausgang gegenüber dem, worauf alle gerechnet hatten! Von den unermeßlichen Schätzen des Vulkans brachte man dieses einzige Probestück mit heim!

Unzweifelhaft hatte das feindliche Auftreten der Texaner die Pläne des Ingenieurs durchkreuzt, da er zur Verteidigung der Karawane die Eruption hatte beschleunigen müssen. Doch wenn er sich Tag und Stunde dafür auch hätte wählen können, das im Krater des Vulkans enthaltne Gold wäre für ihn darum nicht weniger verloren gewesen, da der Golden Mount seine Auswurfsmassen nach dem Meere zu schleuderte.[423]

»Das ganze Unglück, äußerte sich der Scout, als sich die Gemüter etwas beruhigt hatten, ist doch nur, daß wir bei unsrer Ankunft hier nicht haben in den Krater hinuntersteigen können.

– Ja freilich, stimmte Summy Skim ein, Jacques Ledun hatte den für erloschen gehalten, während er nur schlummerte, und dann ist er einige Wochen zu zeitig aufgewacht.«

Ja, dieses Mißgeschick war es, das Ben Raddle um das ganze Erträgnis des Zugs hierher betrogen hatte. Wieviel die andern ihm auch zuredeten, trösten konnte ihn über diesen Fehlschlag doch niemand.

»Den Kopf hoch, mein armer Ben, sagte Summy, etwas Mut und Philosophie! Verzichte auf deine Träume und begnüge dich, in unsrer teuern Heimat, die jetzt seit achtzehn Monaten so fern von uns liegt, wieder glücklich zu sein!«

Ben Raddle drückte seinem Vetter die Hand und mit energischer Willenskraft seine Traurigkeit besiegend, wendete er sich sofort der Karawane zu.

Es galt ja das Lager schnell wieder herzustellen, und zwar außerhalb der Gefahrengrenze des Vulkans, selbst für den Fall, daß der Lavastrom eine andre Richtung nahm. Das Lager sollte ja nur für ganz kurze Zeit dienen, da jetzt keinerlei Veranlassung vorlag, in dieser hyperboräischen Gegend noch länger zu verweilen.

Nach der Wahl des Platzes dafür, etwa zwei Kilometer stromaufwärts am Ufer des River, ging man unverzüglich ans Werk. Ein Dutzend Leute wurden nach der andern Seite des Kanals geschickt, wo sie alles zusammensuchen sollten, was vom alten Material noch brauchbar war. Andre beluden mit der eroberten Beute die eignen Wagen der Besiegten. Der Rest der Karawane aber nahm die Verfolgung der entlaufenen Pferde auf, von denen auch mehrere ohne besondre Mühe eingefangen wurden.

Vor dem Ende des Tages war das neue Lager so weit in Ordnung, daß es billigen Ansprüchen recht gut genügte.

Die Nacht blieb ruhig. Immerhin wurde sorgsam Wache gehalten, um einen etwaigen Überfall der zersprengten Rotte zu vereiteln; die Ruhe wurde jedoch durch nichts gestört als durch die Donnerstimme der Eruption.


Ben Raddle konnte den Blick nicht von den Rauchwirbeln des Gipfels losreißen. (S. 429.)
Ben Raddle konnte den Blick nicht von den Rauchwirbeln des Gipfels losreißen. (S. 429.)

Welch ein Schauspiel bot diese bei ihrer unverminderten Gewalt in den wenigen Stunden der Finsternis! Einer Riesenkuppel gleich, schwebte das mit ungeheurer Kraft emporgeschleuderte Goldpulver weißglühend über dem Krater. Noch über die Feuerwölbung hinaus stiegen flackernde Flammen bis zu den Wolken empor und beleuchteten die ganze Umgebung bis zu den Grenzen des Horizonts mit unheimlichem rötlichen Scheine.

Der Kanalinhalt strömte noch immer über die zitternde Erde hin. Wieviele Wochen oder Monate würde das fortgehen, bis das Wasser aus dem Delta den unergründlichen Schlund gefüllt hatte, wenn die Wunde in der Flanke des Berges nicht geschlossen wurde?

»Wer weiß übrigens, sagte der Scout am Morgen zu Summy Skim, ob eine solche Überflutung den Vulkan nicht völlig zum Erlöschen bringt?

– Möglich wäre es ja, Bill; doch um Himmelswillen, lassen Sie so etwas nicht vor Ben laut werden. Der wäre imstande, darauf zu warten. Und doch ist im Krater jetzt nichts mehr zu ernten.«

Summy Skim hatte unrecht, sich zu beunruhigen. Ben Raddles Entschluß stand jetzt unverrückbar fest. Noch einmal beugte er sich vor der Gewalt der Dinge. Der Claim 129 unter der Überschwemmung verschwunden, der Golden Mount ins Meer entleert... das waren zwei Tatsachen, gegen die er nichts vermochte und mit denen er deshalb sein Gehirn nicht weiter zermartern wollte. Für ihn gehörten diese zwei Enttäuschungen schon der Vergangenheit an und entschlossen wendete er sich der Zukunft entgegen.

Die Zukunft, wenigstens die nächstliegende, sah er jetzt in Dawson City und Gott weiß, warum diese Stadt, auf die jetzt seine Gedanken gerichtet waren, sich für ihn mit dem Zimmer eines Krankenhauses verknüpfte, worin ein blondes junges Mädchen bedächtig sanfte und kluge Worte sprach. Vielleicht lag das nur an dem Kontraste. Inmitten der allgemeinen Verwirrung, die ihn umgab, erweckte er, wie zur Herstellung des Gleichgewichts, in seiner Seele das Bild jener heitern Ruhe. Schon um fünf Uhr am folgenden Morgen eröffnete er seinen Gefährten den Entschluß, noch an demselben Tage nach Süden aufzubrechen. Er befürchtete, dagegen Einwendungen zu hören; dazu kam es aber nicht. Jetzt war alle Hoffnung geschwunden und der frühere Mut mit ihr. Alle atmeten vielmehr erleichtert auf, als sie vernahmen, daß endlich der Rückweg angetreten werden sollte.

Vor Antritt des Aufbruchs gingen Ben Raddle und der Scout noch einmal längs des Fußes des Vulkans hin, um nachzusehen, ob vielleicht goldhaltiger Quarz nach dieser Seite ausgeworfen wäre.

Das war aber nicht der Fall; der Block, der, nachdem er Hunter erschlagen, sich bis vor die Füße des Ingenieurs verirrt hatte, blieb das einzige Andenken, das man aus der obern Dominion mitbringen sollte.[427]

Die Eruption hatte keine andre Richtung genommen. Alle Auswurfstoffe, Steine, Schlacken, Lava und Asche, waren nach Norden zu und über das Meer hin geschleudert worden, in dem sie, teilweise zwei Kilometer vom Ufer, versanken. Auch die Gewalt der Naturerscheinung hatte sich nicht vermindert und jetzt wäre es unbedingt unmöglich gewesen, den Gipfel des Golden Mount zu ersteigen.

Während Ben Raddle und der Scout ihre Besichtigung vornahmen, hatte Jane Edgerton Summy Skim aufgesucht, der, im Grase sitzend, ruhig seine Pfeife rauchte.

Wie kurz vorher, bei der letzten Bergbesteigung, erschien das junge Mädchen etwas erschöpft und gebrochen, was ihr nur noch einen weitern Reiz verlieh.

»Sie müssen mir schon verzeihen, Herr Skim, begann sie etwas verlegen, daß ich mich bei Ihnen noch nicht gebührend bedankt habe; erst diesen Morgen ist mir jedoch bekannt geworden, wie vielen Dank ich nochmals Ihnen schulde.

– Wer hat denn da wieder geschwätzt? Was... erwiderte Skim gereizt.

– O, Patrick hat mir alles gesagt, unterbrach ihn Jane besänftigend. Ich weiß es, wenn ich jetzt noch lebe, so verdanke ich das erstens Ihrer Treffsicherheit und Kaltblütigkeit und zweitens Ihrem Mute. Eines Tages, fügte sie mit schüchternem und rührendem Lächeln hinzu, war ich so vermessen, mir zu sagen, daß ich mit Ihnen quitt wäre; heute erkenne ich, daß mir das niemals möglich sein wird.

– Patrick war es also, der Ihnen das in den Kopf gesetzt hat, Fräulein Jane? antwortete Summy ausweichend. Na, da ist er in diesem Falle sehr bescheiden gewesen, denn in Wahrheit ist er's, der alles getan hat.

– Nein, Herr Skim, entgegnete Jane wärmer werdend. Ich weiß, welche Rolle Patrick dabei gespielt hat, und ich bewahre ihm ein Andenken, wie er es verdient, ich weiß aber auch, welche Rolle Ihnen zugefallen war.

– Mir? rief Summy. Ich habe doch nur die eines Jägers gespielt, weiter nichts. Ein Jäger sieht etwas, das vor ihm flüchtet... das schießt er natürlich. Das ist doch sehr einfach.«

Summy brach seine Rede kurz ab, dann setzte er scheinbar recht zornig noch hinzu:

»Genug hiervon! Ich mag nicht, daß man weiter von der Sache spricht.

– Wie Sie wünschen, gab Jane zu; gesprochen werden wird davon ferner nicht mehr, daran denken werde ich aber immer.«[428]

Gegen acht Uhr setzte sich die Karawane in Bewegung. Der Ingenieur und Summy Skim nahmen die Spitze ein vor Jane Edgerton, die in dem von Neluto geführten Wagen saß. Die mit dem Material des Lagers beladnen Karren folgten unter Führung des Scouts.

Die Ernährung aller war hinreichend gesichert; Jagd und Fischfang hatten gestattet, während des Aufenthalts am Golden Mount an den vorhandenen Konserven zu sparen. Auch unterwegs konnte es nicht fehlen, daß die Jäger manches Rebhuhn, manche Wildente oder ein Stück größres Wild erlegten. Ja, wenn Summy Skim vom Glücke so weit begünstigt wurde, eins der berühmten Orignale vor das Rohr zu bekommen, hätte man fast sagen können, daß er dann die ganze Reise nicht länger bedauerte.

Das Wetter war unsicher; darüber konnte sich bei der schon vorgeschrittenen Jahreszeit aber niemand wundern. Es war übrigens zu erwarten, daß die Hauptstadt von Klondike vor dem Monat September erreicht und daß man bei der Rast in der Nacht jetzt noch von keiner strengen Kälte zu leiden haben würde.

Als die Karawane zum Frühstück anhielt, war der Golden Mount noch am Horizonte sichtbar. Ben Raddle hatte sich umgewendet, er konnte den Blick von den Rauchwirbeln seines Gipfels nicht losreißen.

»Ich bitte dich, Ben, sprach Summy Skim ihn an, laß das! Das Gold geht in Rauch auf wie so vieles in der Welt. Wir wollen nicht mehr daran denken, nicht mehr nach jener Seite, sondern nach dieser da ausschauen.«

Summys Hand wies dabei nach Südosten, etwa in der Richtung, wo das geliebte, ferne Montreal liegen mußte.

Ben Raddle und der Scout hatten sich übereinstimmend für einen andern Weg zur Rückkehr entschieden. Statt einen Umweg nach Osten – über das Fort Macpherson hin – zu machen, zog die Gesellschaft geraden Wegs nach Süden, wodurch die Rückreise wesentlich verkürzt wurde. An Wasser konnte es in der von Creeks durchzognen Gegend nicht fehlen, vorzüglich, wenn man sich den Quellen der Porcupine näherte.

Am Ende des ersten Tages wurde die Aufmerksamkeit der Führer durch viele Spalten im Erdboden erregt. Das zwang unaufhörlich zu Umwegen, die die tatsächlich nutzbar zurückgelegte Strecke empfindlich verkürzten. Ging das ebenso weiter, so mußte man nach rechts oder links abbiegen, bis sich ein für das Fortkommen der Wagen geeigneter Boden fand.[429]

Zum Glück erfuhr die Lage nach einigen Kilometern eine günstige Änderung. Die Spalten wurden tiefer, gleichzeitig aber seltner. Sie schienen sich nach und nach zu vereinigen, so daß bald nur noch wenige, dafür aber vergrößerte Spalten übrig waren, die alle die umfaßten, die in ihnen aufgegangen waren.

Dieselbe Erscheinung zeigte sich mit mathematischer Strenge, je weiter die Karawane vorwärts kam. Sechzig Kilometer vom Golden Mount war nur noch eine einzige, aber so breite und tiefe Spalte vorhanden, daß sie schon mehr den Namen einer Schlucht verdiente. Der fünfzehn Meter tiefe und sechzig Meter breite Riß, mit zackigem Rande infolge seiner plötzlichen Bildung, verlief mit geringer westlicher Abweichung von Norden nach Süden. Er schien also fast genau auf Dawson City zuzuführen und die Karawane brauchte nur seinem östlichen Rande zu folgen, um sich nicht von einer geometrisch geraden Linie zu entfernen.

Diese merkwürdige Erscheinung wurde natürlich von allen lebhaft besprochen. Unverändert geradlinig reichte der ungeheure Graben über Sehweite hinaus. An seinen, von keiner Grasnarbe bekleideten Seitenwänden und an der sozusagen jungfräulichen Erde, die noch kein Regen berührt hatte, konnte man erkennen, daß er gewiß jüngsten Ursprungs war.

Welche Kraft hatte aber mit einem Schlage ein solches Riesenwerk vollbringen können?

»Natürlich der Golden Mount, antwortete Ben Raddle auf eine bezügliche Frage Summy Skims. Das Ganze ist eine sekundäre Wirkung des Vulkans. Vor seinem eigentlichen Ausbruche haben wir, wenn du dich dessen entsinnst, eine heftige seismische Erschütterung, ein Erdbeben, wahrgenommen und im Süden war der Horizont danach von Staubwolken gänzlich verhüllt. Du erkennst jetzt wohl den Ursprung dieses Staubes.

– In so großer Entfernung vom Berge? rief Summy Skim.

– Das braucht dich nicht zu überraschen, versicherte der Ingenieur. Bevor es bei den Vulkanen zur Eruption kommt, verursachen diese oft auf unendlich große Entfernungen hin recht arge Störungen. Das läßt aber nach, sobald es dem Druck im Erdinnern gelingt, sich einen hinreichenden Ausgang durch den Krater zu brechen. So ist die Sache auch hier zugegangen.«

Der Polarkreis wurde erst am 12. August überschritten Der kürzere Weg war leider um ebensoviel schlechter, so daß die Gesellschaft täglich kaum mehr als zwölf bis fünfzehn Kilometer zurücklegen konnte. Der Scout bedauerte es[430] jetzt auch lebhaft, nicht umgekehrt den Weg über das Fort Macpherson bei der Rückfahrt gewählt zu haben.

Zum Glück blieb der Gesundheitszustand aller unverändert gut. Die an Anstrengungen gewöhnten, kräftigen Kanadier zeigten trotz der schweren Ansprüche an ihre Leistungsfähigkeit keine Spur von Erschlaffung.

Der mächtige, durch die vulkanischen Kräfte geschaffne Spalt begleitete die Karawane immer auf ihrem Zuge nach Süden. Hundert Kilometer diesseit des Polarkreises schien er sich aber zu verkleinern. Seine Ränder traten näher aneinander und die Tiefe wurde geringer. Das geschah jedoch nur sehr allmählich und man konnte den getreuen Reisebegleiter lange bequem erkennen, bis er, fünfzig Kilometer weiterhin, mehr nach rechts abschwenkte und, zum einfachen Riß zusammengeschrumpft, sich am westlichen Horizonte verlor.

Die Anhöhen, die die Hauptstadt von Klondike einrahmen, erschienen am 3. September. Schon kurz nach Mittag hielt die Gesellschaft vor dem Tore des Northern Hotel an, von wo aus sie sich nun zerstreute.

Patrick und Neluto begaben sich nach dem Hause in der Vorstadt, wo sie ihren Freund Lorique wiederzufinden hofften. Der Scout brachte seine Leute und sein eignes, jetzt durch das Hunters vermehrte Material nach seiner Niederlage in Dawson City.

Die frühern Arbeiter vom hundertneunundzwanzigsten Claim durchstreiften die Stadt und suchten sich ein passendes Unterkommen.

Jane Edgerton, Summy Skim und Ben Raddle, denen auch alle ausgestandnen Beschwerden den Geschmack am Raffinement der Zivilisation nicht hatten rauben können, widmeten sich mit wahrem Vergnügen einer Erneuerung ihres äußern Menschen. Trotz der sehr hohen Preise in Dawson wurde alles beschafft: Bäder, Friseur, Schneider, Näherin, Wäscherin und Weißwarenhändler. Gegen drei Uhr kamen alle, bestens erholt, guter Dinge und zu ihrem Vorteil verändert, im Salon des Northern Hotel wieder zu sammen.

Während Jane Edgerton, ungeduldig, ihre Cousine zu begrüßen, nach dem Krankenhause eilte, begaben sich Ben Raddle und Summy Skim nach den Bureaus der Anglo-American Transportation and Trading Company, wo sie vor der Abreise alles deponiert hatten, was sie an Barmitteln und Geldwert besaßen. Jetzt brauchten sie wieder Geld. Wie groß auch der Wert der aus dem Golden Mount herausgeschleuderten Goldmasse sein mochte, so fehlte es ihnen doch an umlaufsfähigen Münzen.[431]

Summy Skim legte am Schalter einen Scheck vor. Der betreffende Bankbeamte nahm das Papier mit sehr gleichgültigem Gesichtsausdruck an, dieser veränderte sich aber plötzlich zum höchsten Erstaunen, als er die Namen erkannt hatte, mit denen der Scheck unterzeichnet war. Der Schalter schloß sich mit kurzem Schlage und hinter dem Gitter erscholl ein Durcheinander von gedämpften Stimmen, worüber die beiden Vettern fast erschraken.

In der Vermutung, daß da vielleicht, geschützt vor profanen Augen, die Formalitäten erledigt werden sollten, die für die Auszahlung eines Schecks vorgeschrieben sind, begaben sich die beiden Vettern an einen andern Schalter, wo sie den vom Vulkan unter so dramatischen Umständen herausgeschleuderten Goldblock einlieferten. Der mit der Annahme von Wertobjekten betraute Beamte zeigte, als er die erstaunlich große Pepite empfing, nicht die stolze Gleichgültigkeit seines Kollegen, der die Barzahlungen leistete. Er verriet vielmehr durch lebhafte Bewegungen die Verwunderung, die ihm das prächtige Muster der Minenschätze des Landes einflößte. Der Block hatte wohl kaum seinesgleichen. Abgerieben, gereinigt und von jedem fremden Anhängsel sorgfältig befreit, glänzte er in seinem tiefgelben Gewande und strahlte das Tageslicht von tausend Facetten zurück.

Als der Beamte der Trading Company seiner Überraschung genügend Ausdruck gegeben hatte, wog er die Pepite und bestimmte mittels einer schnellen Berechnung ihren Geldwert.

»Zwanzigtausendsechshundertzweiunddreißig Dollars und fünfzig Cents« (106.876 Francs 35), verkündigte er.

Ben Raddle nickte befriedigt zustimmend.

»Auf Konto der Herren...? fragte der Beamte, der schon die Feder bereit hielt.

– Summy Skim und Ben Raddle aus Montreal,« belehrte ihn der Ingenieur.

Wie vorher flog jetzt der Schalter mit trocknem Schlage zu und hinter dem Gitter erhob sich wieder das seltsame Geräusch von Stimmen, das die Neugier der beiden Vettern schon vorher einmal angestachelt hatte.

Einige Minuten verstrichen. Der von Natur etwas ungeduldige Ben Raddle begann sich ganz laut zu fragen, ob man sich da drin über ihn lustig mache, als ein höherer Bureaubeamter erschien und die Herren Summy Skim und Ben Raddle höflichst ersuchte, ihm folgen zu wollen, da Herr William Broll sie dringend zu sprechen wünschte.[432]

Wie erstaunt sie darüber auch waren, folgten beide der höflichen Aufforderung und standen nach wenigen Augenblicken vor dem Subdirektor, den sie ja schon längst persönlich kannten.

»Ich bitte um Entschuldigung, meine Herren, Sie hierher bemüht zu haben, begann dieser. Ich hatte aber Auftrag gegeben, es mir sofort zu melden, wenn einer von Ihnen in unsre Bureaus käme; jetzt freut es mich desto mehr, Sie beide gleichzeitig begrüßen zu können.«[433]

Summy Skim und Ben Raddle verneigten sich leicht, ohne auf andre Weise ihre Verwunderung über die ihnen widerfahrne Ehre kundzugeben.

»Ich konnte – das wird Ihnen einleuchten – fuhr der Subdirektor fort, Sie unmöglich abreisen lassen ohne die Bitte, unsern Glückwunsch für die bedeutendsten Kunden unsres Hauses entgegenzunehmen.«

Erstaunt aufhorchend, richteten die beiden Vettern gleichzeitig die Augen auf ihr Gegenüber. War es bei Herrn William Broll im Oberstübchen plötzlich nicht mehr ganz richtig? Oder war die Anglo-American Transportation and Trading Company so weit heruntergekommen, daß ihr recht mäßiges Guthaben in deren Büchern eine so hervorragende Rolle spielte?


»Meine Cousine ist verschwunden.« (S. 437.)
»Meine Cousine ist verschwunden.« (S. 437.)

»Ah, nahm der Subdirektor inzwischen wieder das Wort, Sie können uns gut auslachen, wir müssen ja zugeben, daß Sie dazu das Recht haben. Wir haben ja wenig Spürsinn bewiesen. Wenn ich bedenke, daß wir uns durch die elende Grenzfrage haben stutzig machen lassen! Wenn ich mir vergegenwärtige, daß wir vorher Ihr Besitztum nur auf fünftausend Dollars – ja, auf erbärmliche fünftausend Dollars! – geschätzt haben! Nun, wir brauchen wenigstens nicht zu befürchten, Sie aus unsrer Verblendung einen Vorwurf machen zu sehen, denn ihr verdanken Sie es ja, noch die glücklichen Eigentümer des hundertneunundzwanzigsten Claims zu sein.

– Unsres alten Claims? riefen Summy Skim und Ben Raddle buchstäblich verblüfft.

– Der wunderbaren, außerordentlichen, überreichen Nummer 129!«

Wenn sich der wortreiche Subdirektor auf diese drei Epitheta beschränkte, geschah das wohl nur, weil ihm weitre nicht gleich einfielen.

»Um Verzeihung... aber...« begann Summy Skim stotternd.

Ben Raddle, der unter allen Verhältnissen gerade aufs Ziel loszugehen gewöhnt war, schnitt ihm kurzerhand das Wort ab.

»Ja, was wollen Sie, Herr Direktor, in Geschäften ist eben des einen Glück das Unglück des andern, sagte er in möglichst natürlichem Tone. Ihnen wird sich noch manche andre Gelegenheit bieten.

– Wie diese eine niemals, versicherte William Broll nachdrücklich. Weder in Klondike noch anderswo gibt es eine Fundstätte, die mit der Ihrigen zu vergleichen wäre. Ich begreife ja, daß Sie lange an ihrem Werte gezweifelt haben. Ein Jahr lang mußten Sie Versuche machen, gegen allerlei Ungemach ankämpfen und wir haben zu unserm Bedauern nur selten von da etwas gehört. Jetzt sind[434] Sie für alle Bemühungen aber königlich belohnt, wie sich aus den Sendungen ergibt, die wir seit einem Monat von Ihnen erhalten haben.

– Alle Tage? stammelte Summy Skim.

– Wenigstens fast alle Tage.

– Seit einem Monat, glauben Sie?« fragte jetzt Ben Raddle mit etwas unsichrer Stimme.

Der Subdirektor schien seine Erinnerungen wachzurufen.

»Ja ja, erklärte er, es ist etwa einen Monat her, daß wir die erste Ihrer jetzigen Einlieferungen erhielten.

– Ja... wahrhaftig! sagte Ben Raddle dazu gutmütigen Tones.

– Wenn Sie übrigens, fuhr William Broll fort, das genaue Datum jener ersten Sendung zu erfahren wünschen, so wird sich das aus unsern Büchern nachweisen lassen.«

Er drückte auf einen Klingelknopf. Sofort erschien ein Angestellter der Bank.

»Lassen Sie mir, redete ihn der Subdirektor an, das Kontokorrent der Herren Ben und Skim, der Eigentümer des Claims 129, zukommen.«

Der junge Mann verschwand.

»Das wird es mir gleichzeitig ermöglichen, Ihnen Ihren genauen Saldo vorzulegen, der dürfte ja auch von einigem Interesse sein,« rief William Broll lachend.

Man brachte das verlangte Buch. Der Subdirektor schlug es vor sich auf.

»Hier, sehen Sie es selbst ein, meine Herren, sagte er. Ich habe mich kaum geirrt. Heute haben wir den dritten September und Ihre erste Einsendung datiert vom fünften August...

– Vom fünften August! murmelte Summy Skim vor sich hin. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Überflutung unsres Claims!

– Und was Ihren Saldo betrifft... fuhr der Direktor fort, dessen Augen einer langen Zahlenreihe folgten. Erlauben Sie... ah, hier... Wollen Sie sich den Abschluß nicht niederschreiben?«

Ben Raddle ergriff einen Bleistift und schrieb mit fester Hand nach dem Diktat Brolls:

»Drei Millionen dreihundertachttausendvierhunderteinunddreißig Dollars und neunzig Cents (17,137.677 Francs 25). Ohne Ihre heutige Einlieferung, die die Gesamtsumme auf drei Millionen dreihundertneunundzwanzigtausendvierundsechzig Dollars und vierzig Cents (17,244.553 Francs 60) bringt.«[435]

Der Ingenieur hatte sorgsam die schwindelerregenden Zahlen aufgeschrieben. Hatte daneben Summy Skim, aus Mitleid mit dem eignen Gehirn, einfach aufgehört zu denken, so summten ihm bei dieser Eröffnung doch die Ohren, während der Ingenieur sich diese weiter klar zu machen suchte. William Broll aber setzte mit einer gewissen Begeisterung noch hinzu:

»Ah, Ihre heutige Einlieferung!... Das ist die wunderbarste von allen, wenn auch nicht dem Geldwerte nach, so doch durch die außerordentliche Schönheit des Metallblockes! Das nenne ich eine Pepite! By God, eine solche findet sich in der Welt nicht wieder und nur Hundertneunundzwanzig konnte eine von dieser Größe liefern!«

Ben Raddle war allmählich mit sich einig geworden. Daß der Subdirektor übergeschnappt wäre, erschien ihm nicht mehr zweifelhaft. Jedenfalls hatte er aber ein einfaches Mittel, sich davon noch weiter zu überzeugen. So sagte er denn ganz gelassen:

»Mein Vetter und ich waren hierhergekommen, einen kleinen Scheck von tausend Dollars einzuziehen; da wir aber Dawson City bald wieder verlassen, halte ich es für besser, wir entnehmen gleich eine größere Summe.

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, meine Herren, antwortete William Broll. Wieviel wünschen Sie?

– Hunderttausend Dollars (518.000 Francs),« erklärte Ben Raddle, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Nun mußte es sich ja zeigen. Wenn auch der Subdirektor nicht mehr recht bei Sinnen war, konnte man doch nicht annehmen, daß das auch bei den andern Bankbeamten der Fall wäre.

Der Spaß mußte ein Ende nehmen, wenn die Auszahlung eines solchen Betrages in Frage kam.

»Zu Ihren Diensten, meine Herren, wiederholte Broll auf das Verlangen Ben Raddles. Bewilligen Sie nur die nötige Zeit zur Abzählung der hunderttausend Dollars und dann werden Sie Ihnen gleichzeitig mit einem Quittungsformular in Ihr Hotel gebracht werden.«

»Darauf können wir lange warten,« sagte sich Ben Raddle, als er sich vom Subdirektor verabschiedete, der seine beiden Besucher mit größter Liebenswürdigkeit bis zur Tür begleitete.

Summy hatte sich gleichzeitig mit seinem Vetter erhoben und folgte diesem gelehrig wie ein kleines Kind.[436]

»Was denkst du wohl über die ganze Geschichte? stammelte er, als sie auf der Straße waren.

– Ich?... Gar nichts,« antwortete Ben Raddle, dem die Sache doch mehr, als er zeigen wollte, im Kopf herumging.

Der Rest des Weges wurde schweigend zurückgelegt und die beiden Vettern amen ins Northern Hotel, ohne ein Wort gewechselt zu haben.

Als sie hier die Vorhalle betraten, trafen sie Jane Edgerton, die beide ungeduldig erwartet zu haben schien. Auch das junge Mädchen hatte ihr Teil Aufregung gehabt. Ihre verstörten Züge verrieten eine schmerzliche Unruhe und ihr Gesicht war von Tränen gebadet.

Bei diesem Anblicke vergaß Summy Skim den phantastischen Auftritt beim Subdirektor der Anglo-American Transportation and Trading Company und eilte auf Jane Edgerton zu, deren Hände er teilnahmsvoll ergriff.

»Was fehlt Ihnen, Fräulein Jane? fragte er. Was ist denn geschehen?

– Ach, meine Cousine ist verschwunden,« antwortete Jane Edgerton, die sich vergeblich bemühte, ihr Schluchzen zu unterdrücken.

Jetzt war es an Ben Raddle, erregt zu werden.

»Fräulein Edith ist verschwunden? sagte er mit fast tonloser Stimme. Das ist aber doch unmöglich!

– Und dennoch ist es an dem, versicherte Jane Edgerton. Als ich Sie verließ, ging ich ins Krankenhaus und dort hat mir Doktor Pilcox das mitgeteilt.

– Über weitre Einzelheiten hat sich der Doktor nicht ausgesprochen?

– Doch: er sagte mir, daß Edith ihn ganz unvermutet verlassen habe, und zwar ohne ein Wort davon zu sagen, früh morgens am fünfundzwanzigsten Juli.

– Ohne einen Grund für ihren Fortgang anzugeben?

– Ohne eine Silbe.

– Auch ohne zu sagen, wohin sie ginge?

– Ebensowenig. Sie hat nur hinterlassen, daß sie mit Winteranfang zurück zu sein gedächte.

– Der Doktor hat also keine Ahnung, wohin sie gegangen sein mag?

– Keine Spur davon!

– Alle Wetter, das nenne ich ein Abenteuer!« rief der Ingenieur, der eine Beute der tiefsten Erregung zu sein schien.[437]

In diesem Augenblick trat ein Hoteldiener in den Raum und meldete, daß ein Mann da sei, der die Herren Summy Skim und Ben Raddle zu sprechen wünsche.

»Lassen Sie ihn hereinkommen,« gab Ben Raddle rein mechanisch zur Antwort.

Der Mann trug eine sehr umfängliche Banknotentasche in der Hand.

»Ich bin, sagte er, von unserm Subdirektor Herrn William Broll beauftragt, den Herren hunderttausend Dollars zu überbringen, die sie verlangt haben, und sie zu bitten, mir darüber gefälligst zu quittieren.«

Bei diesen Worten hatte der Bote der Anglo-American Transportation and Trading Company seiner Tasche schon einen Haufen Banknoten entnommen, die er nach deren Wertbetrag geordnet auf den Tisch legte.

»Wollen die Herren sich gefälligst von der Richtigkeit der Summe überzeugen?« sagte er.

Sich zur Ruhe zwingend, zählte Ben Raddle methodisch die Scheine.

»Stimmt, erklärte er.

– Dann haben die Herren wohl die Güte, die Quittung zu vollziehen?«

Ben Raddle nahm eine Feder zur Hand und unterzeichnete seinen Namen. Seinem Vetter mußte er aber die Stelle für seine Namensunterschrift anweisen und ihm fast die Hand führen. Summy war wie traumbefangen und als wandelte er gar nicht mehr in dieser Welt.

Ben Raddle begleitete den Boten der Bank wieder bis zur Tür und ging dann zu Jane Edgerton und seinem Vetter zurück.

Da standen die beiden einander gegenüber und starrten auf die Banknotenhäuschen, die den Tisch bedeckten.

Summy Skim schien noch halb abwesend zu sein und Jane Edgerton weinte noch immer, durch ihre Tränen schimmerte aber ein fragender Blick.

Ben Raddle war jetzt nicht aufgelegt, sich in lange Erörterungen einzulassen, um etwas zu erklären, was er selbst nicht begriff. Bisher hatte er sich beherrscht, jetzt brach aber die Reaktion über ihn herein und raubte ihm die Kräfte. Durch eine Handbewegung deutete er nur an, daß eine Erklärung später folgen werde.

Noch einen Augenblick blieben alle drei wie versteinert stehen. Dann ließen sie sich gleichzeitig jeder in einen Polsterlehnstuhl niedersinken, dessen Seitenlehnen gleichsam dazu einluden, und stützten den Kopf an dem bequemen Rückenpolster.[438]

Lange blieben sie nachsinnend so liegen, Ödipusse, die die Rätsel der Sphinx nicht zu lösen vermochten, während draußen über die Stadt, deren Lärm schon etwas verstummte, die Schatten der Dämmerung niedersanken.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 423-425,427-439.
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