Dreizehntes Capitel.
Die Nacht des 20. December.

[387] Eben schlug es die dritte Nachmittagsstunde am Glockenthurm der kleinen Kirche von Schlosser. Ein grauer eisiger Nebel verhüllte das feuchte Thal des Niagara und dazu herrschte eine scharfe Kälte. Der Himmel war mit unbeweglichen Wolken bedeckt, welche die geringste Erhöhung der Temperatur bei eintretendem östlichen Winde hätte zu Schnee verdichten müssen.[387]

Der Donner der Kanonen von Chippewa zerriß die Luft. Zwischen dem Krachen derselben vernahm man deutlich das entfernte Rauschen der Wasserfälle.

Eine Viertelstunde, nachdem sie das Haus des Herrn de Vaudreuil verlassen, waren die Patrioten, indem sie zwischen den Baumgruppen und längs der Hecken und Einhegungen hinschlichen, am linken Ufer des Stromes angelangt.

Mehrere Kämpfer fehlten bereits; die einen hatten, von Kanonenkugeln verletzt, zurückkehren müssen, andere lagen auf dem Schnee, um sich nie wieder zu erheben. So waren etwa zwanzig von den zweihundert Streitern abzuziehen.

Die in Chippewa aufgefahrenen Geschütze hatten auf der Oberfläche der Insel schon recht schwere Verheerungen angerichtet. Die berasten Erdwälle, welche den Blaumützen die Möglichkeit bieten sollten, einigermaßen gedeckt zu feuern, waren fast vollständig zerstört, und es blieb nun nichts weiter übrig, als am Fuße des Uferabhanges zwischen den von dem Strome halb überspülten Felsen Stellung zu nehmen. Von hier aus wollte Johann mit seinen Waffengefährten versuchen, die Landung zu verhindern, bis die Munition zu Ende ging.

Die Bewegung auf der Insel war inzwischen auch von Chippewa aus gesehen worden. Der Oberst Mac Nab, der früher seine Nachrichten durch die Signale Rip's erhielt und jetzt aus dem Berichte des Spions entnahm, der sich in seinem Lager eingefunden hatte, ließ das Feuer verdoppeln und vorzüglich auf die befestigten Punkte richten. Rings um Johann wurden wohl dreißig seiner Gefährten von Felstrümmern getroffen, welche der Anprall der Eisenkugeln weithin verstreute.

Johann bewegte sich am Ufer hin und her und beobachtete, trotz der Geschosse, die zu seinen Füßen einschlugen oder über ihm die Luft zerrissen, alle Manöver des Feindes.

Eben lösten sich die großen Flachboote, welche mit Rudern ausgestattet waren, eines nach dem anderen von dem canadischen Ufer los.

Um die ins Auge genommene Landungsstelle zu säubern, donnerten noch einige Salven über die Boote hinweg und deren Kugeln bohrten sich in den Boden der Insel ein oder sprangen, ganz flach auffallend, weit über diesen dahin.

Johann wurde nicht einmal gestreift.

»Patrioten, rief er, jetzt seid bereit!«

Alle warteten, bis die Boote in Schußweite waren, um erst dann das Feuer ihrerseits zu eröffnen.[388]

Die Angreifer, welche sich platt niedergeworfen hatten, um den Gewehrkugeln weniger Ziel zu bieten, mochten gegen drei- bis vierhundert zählen und bestanden aus regulären Truppen und Kronfreiwilligen.

Wenige Minuten später, als die Boote sich auf der Mitte des Stromes befanden, waren sie der Insel bereits so nahe, daß die Artillerie von Chippewa ihr Feuer einstellen mußte.

Da knatterten die ersten Flintenschüsse hinter den Felsen hervor. Die Besatzung der Boote antwortete fast augenblicklich, doch da diese dem Feuer vom Uferabhang her weit offener ausgesetzt war, arbeiteten die Ruder nun mit verdoppelter Kraft.

Kurze Zeit genügte, um aus Land zu stoßen, und jetzt galt es denn, auf der einen Seite wie auf der anderen, sich auf ein Handgemenge einzulassen.

Johann befehligte inmitten eines Kugelhagels, der gleich Kartätschen rings um ihn niederprasselte.

»Suchen Sie Deckung! rief ihm Vincent Hodge zu.

– Ich? »antwortete er.

Und mit lauter Stimme rief er den Angreifern, welche das Ufer zu erklimmen begannen, zu:

»Ich bin Johann ohne Namen!«

Dieser Name erregte wirklich die größte Verblüffung, denn die Königlichen mußten doch glauben, daß Johann ohne Namen schon im Fort Frontenac den Kugeln erlegen sei.

Dann rief Johann, auf die ersten Boote losstürzend:

»Vorwärts, Blaumützen!... Drauf auf die Rothröcke!«

Der Kampf wurde bald äußerst hitzig und die ersten Boote mußten wirklich noch einmal abstoßen. Einige Verletzte fielen in die Strömung, welche sie nach den Wasserfällen zu wegschwemmte. Die Patrioten verließen ihre Deckung unter den Felsstücken und schlugen sich mit einer so ungestümen Wuth, daß der Vortheil anfangs auf ihrer Seite war. Schon sah es aus, als ob alle Boote zurückweichen müßten. Da kamen diesen aber schon noch weitere zu Hilfe und mehreren hundert Mann gelang es, die Insel selbst zu betreten. Der Uebergang auf dieselbe wurde mit Gewalt erzwungen und die Zahl siegte über den Muth.

Gegenüber diesem ihnen weit überlegenen Feinde sahen sich die Vertheidiger gezwungen, das Vorland am Ufer aufzugeben; und wenn sie nicht zurückwichen,[389] ohne dem Feinde schweren Schaden zugefügt zu haben, so erlitten sie doch auch die grausamsten Verluste.

So wurden Thomas Harcher, Pierre und Michel, die von den Kugeln gefallen waren, durch die wildwüthenden Freiwilligen, welche keinen Pardon gaben, getödtet. William Clerc und André Farran fielen, Beide verwundet, in Gefangenschaft, nachdem sie einen Kreis von Blut um sich gezogen hatten. Ohne das Dazwischentreten eines Officiers wären sie demselben Loose wie der Farmer und seine Söhne verfallen gewesen. Der Oberst Mac Nab hatte aber ausdrücklich befohlen, die Anführer so viel wie möglich zu verschonen, da die Regierung sie vor die Kriegsgerichte in Quebec und Montreal zu stellen beabsichtigte. Nur aus diesem Grunde entgingen Clerc und Farran jetzt dem Tode.

Es erwies sich übrigens völlig unmöglich, der Ueberzahl zu widerstehen. Die Blaumützen, welche sich wie verzweifelt geschlagen, und mit ihnen die Mahogannis, die sich mit dem kaltblütigen Muthe vertheidigt hatten, der die Indianer ihrer Rasse auszeichnet, mußten, von Hecke zu Hecke verfolgt, über die Insel zurückweichen; so wurden sie bis an deren Rand getrieben und von rückwärts her noch in Menge getödtet. Es war ein richtiges Wunder zu nennen, daß Lionel nicht zwanzigmal den Tod fand und daß selbst Meister Nick dem Blutbade entrann. Von den Huronen freilich sollten sehr viele nicht wieder nach ihrem Wigwam in Walhatta zurückkehren.

Als er wieder in die Nähe des Hauses des Herrn de Vaudreuil kam, wollte Meister Nick Clary bestimmen, eines der Boote zu besteigen, um sie nach Schlosser hinüber zu bringen.

»So lange mein Vater noch auf der Insel ist, erwiderte sie, verlasse ich diese auch nicht!«

Ja, ihr Vater, und wohl auch Johann, obgleich sie wußte, daß dieser nur hierher gekommen war, um zu sterben.

Gegen fünf Uhr Nachmittags überzeugte sich Herr de Vaudreuil, daß ein, fernerer Widerstand gegen mehrere hundert Angreifer, welche schon den größten Theil der Insel eingenommen hatten, der reine Wahnsinn wäre. Wollten die Ueberlebenden sich noch retten, so konnte das nur dadurch geschehen, daß sie das rechte Ufer des Niagara zu erreichen suchten. Es blieb freilich fraglich, ob auch Herr de Vaudreuil sich noch auf den Füßen halten und Kraft genug haben würde, das Haus, wo seine Tochter ihn erwartete, zu erreichen und sich mit dieser einzuschiffen.[390]

Vincent Hodge bemühte sich, ihn mit sich fortzuziehen. In demselben Augenblicke wurde Herr de Vaudreuil von einer Kugel mitten in die Brust getroffen und konnte nur noch die Worte murmeln:

»Meine Tochter!... Hodge!... Meine Tochter!«

Johann, der herbeigeeilt war, hörte das.

»Retten Sie Clary!« rief er Vincent Hodge zu.

Bei diesem Ausruf stürzten sich wohl ein Dutzend Freiwilliger auf ihn. Sie hatten den Helden wiedererkannt. Welches Glück für sie, wenn sie sich des berühmten Johann ohne Namen bemächtigen und ihn lebendig in das Lager von Chippewa befördern konnten!

Mit einer letzten Anstrengung streckte Johann zwei Freiwillige, die ihn schon packen wollten, nieder und verschwand inmitten einer Gewehrsalve, von der ihn keine Kugel traf.

Der schwerverwundete Vincent Hodge dagegen wurde neben der Leiche des Herrn des Vaudreuil zum Gefangenen gemacht.

Wohin wendete sich aber Johann ohne Namen? Kam ihm vielleicht der Gedanke, jetzt noch weiter zu leben, nachdem die besten Patrioten getödtet oder in die Hände der Königlichen gefallen waren?

O nein – doch das letzte Wort des Herrn de Vaudreuil war ja der Name seiner Tochter gewesen...

Da Vincent Hodge diese jetzt nicht mehr retten konnte, wollte er das thun, wollte sie zwingen, zu entfliehen, sie nach dem amerikanischen Ufer begleiten, und dann gedachte er zu seinen noch kämpfenden Gefährten zurückzukehren.

Allein vor dem Hause stehend, horchte Clary auf das Getöse des Kampfes – auf die Aufschreie der Wuth, auf die Klagen des Schmerzes, welche sich mit dem Knattern der Gewehre mischten.


Clary stützte knieend seinen Kopf und sprach zu ihm. (S. 394.)
Clary stützte knieend seinen Kopf und sprach zu ihm. (S. 394.)

Dieses Getöse kam gleichzeitig mit dem Aufleuchten des Flintenfeuers immer näher an sie heran. Schon hatten sich gegen fünfzig, meist verwundete Patrioten in die Boote geworfen und steuerten nach dem Dorfe Schlosser hinüber.

An der Insel befand sich nichts mehr als der kleine Dampfer »Caroline«, schon überfüllt von Flüchtlingen, der eben den südlichen Arm des Niagara überschreiten sollte.


Die »Caroline« neigte sich über den Abgrund und verschwand im Wogenschaume. (S. 397.)
Die »Caroline« neigte sich über den Abgrund und verschwand im Wogenschaume. (S. 397.)

Plötzlich erschien Johann überdeckt mit Blut – mit dem Blute der Königlichen – aber heil und gesund, nachdem er vergeblich den Tod gesucht und diesen zwanzigmal ausgetheilt hatte.[391]

Clary lief auf ihn zu.

»Mein Vater? fragte sie.

– Ist todt!«

Johann antwortete ihr so ohne Umschweife, damit Clary sich nicht weigern wollte, die Insel zu verlassen.

Johann fing das junge Mädchen, welches umzusinken drohte, in dem Augenblick in seinen Armen auf, wo die Freiwilligen schon das Haus umzingeln wollten, um ihm den Rückzug abzuschneiden. Mit der theuren Last[392] dahin springend, eilte er auf die »Caroline« zu und legte das junge Mädchen auf dem Deck derselben nieder; dann richtete er sich wieder auf.

»Gott befohlen, Clary!« sagte er.

Schon betrat er wieder den Landgang des Fahrzeuges, um aufs Ufer zu springen.

Bevor sein Fuß aber die Erde berührte, wurde Johann, von zwei Kugeln getroffen, auf das Hintertheil des Schiffes hingestreckt, während die »Caroline« unter vollem Dampfe davonfuhr.[393]

Beim Aufblitzen der Gewehrschüsse war Johann von ihn verfolgenden Freiwilligen erkannt worden, welche unaufhörlich schrien:

»Eine Kugel für Johann ohne Namen!... Hurrah, getödtet!«

Bei diesen Ausrufen fand Clary die Besinnung wieder und erhob sich vom Verdeck.

»Todt!... stammelte sie, während sie sich zu ihm hinschleppte.

Einige Minuten später lag die »Caroline« schon am Quai von Schlosser fest. Hier konnten die Flüchtlinge, welche sich an Bord derselben befanden, sich in Sicherheit glauben, da sie jetzt unter dem Schutze der Bundesbehörden standen.

Einige begaben sich denn auch aus Land; da der einzige Gasthof des Dorfes aber sehr schnell überfüllt war und bis zu den Gasthäusern des Niagara-Falls ein Weg von mindestens drei Meilen längs des rechten Stromufers zurückzulegen war, zogen es die Meisten vor, in den Cabinen des kleinen Dampfbootes zu bleiben.

Es war jetzt um acht Uhr Abends.

Auf dem Verdeck ausgestreckt, ruhte Johann noch immer. Clary kniete neben ihm, stützte seinen Kopf und sprach auf ihn... Er gab keine Antwort; vielleicht hörte er sie gar nicht.

Clary blickte um sich. Wo sollte sie Hilfe suchen inmitten dieser Verwirrung, in dem von Flüchtigen vollgestopften Dorfe mit den zahlreichen Verwundeten, denen Aerzte und Arzneimittel fehlten?

Da sah Clary ihr ganzes Leben an ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Ihr Vater gefallen für die nationale Sache!... Der, den sie liebte, sterbend in ihren Armen, nachdem er bis zur letzten Stunde heldenmüthig gekämpft! Jetzt stand sie allein in der Welt, ohne Vaterland, eine leichte Beute der Verzweiflung...

Nachdem sie Johann mit einer Sonnenzeltleinwand bedeckt, um ihn gegen die beißende Kälte zu schützen, untersuchte Clary, die sich über den Verwundeten neigte, ob sein Herz nicht noch leise schlüge, ob nicht ein Laut über seine Lippen kommen werde.

In der Ferne, an der anderen Seite des Flusses, krachten noch die letzten Flintenschüsse, deren Aufblitzen zuweilen die Baumgruppen der Insel Navy durchleuchtete.

Endlich schwieg Alles und das Thal des Niagara bettete sich in düstere Todtenstille.

Unwillkürlich stammelte das junge Mädchen den Namen ihres Vaters und auch den Johanns, da sie sich sagte – und das schnitt sie ins Herz – der[394] junge Patriot könne vielleicht mit dem Gedanken sterben, auch noch über das Grab hinaus von dem Fluche der Menschen verfolgt zu sein. Dann betete sie für den Einen wie für den Anderen.

Plötzlich erbebte Johann; sein Herz klopfte etwas lebhafter. Clary rief ihn an.

Johann antwortete nicht.

Zwei Stunden gingen so dahin; Alles ruhte an Bord der »Caroline«.

Kein Laut aus den Cabinen – kein Geräusch auf dem Verdeck. Nur Clary wachte hier allein, gleich einer barmherzigen Schwester am Lager eines Sterbenden.

Die Nacht war sehr dunkel. Schwerfällig wälzten sich die Wolken über dem Strome hin. Lange Nebelschleier hingen an den Skeletten der Bäume, deren von Rauhfrost bedeckte Zweige längs des Ufers hinausstarrten.

Kein Mensch vermochte da vier Boote wahrzunehmen, welche, die Spitze der Insel stromaufwärts umfahrend, geräuschlos an dem Ufer von Schlosser dahinglitten.

Diese Boote waren besetzt von ungefähr fünfzig Kronfreiwilligen unter dem Befehl des Lieutenant Drew, von der königlichen Miliz. Auf Anordnung des Oberst Mac Nab stand jener Officier unter Mißachtung allen Völkerrechts im Begriff, eine Missethat auszuführen, welche an roher Grausamkeit in amerikanischen Gewässern nicht ihres Gleichen hatte.

Unter seinen Leuten befand sich ein gewisser Mac Leod, der in der nächsten Folgezeit sehr ernste internationale Verwickelungen heraufbeschwören sollte.

Die vier durch Ruder ganz geräuschlos fortgeführten Boote glitten über den rechten Arm des Niagara, legten sich dicht neben die Bordwand der »Caroline« und begannen da ein schreckliches Gemetzel.

Die verwundeten oder schlafenden Passagiere konnten sich nicht wehren; sie stießen verzweifelte Schreie aus. Vergeblich. Nichts hätte die Wuth jener elenden Schurken zu dämpfen vermocht, unter denen Mac Leod, die Pistole in der einen, die Axt in der anderen Hand, wie ein Cannibale seine Opfer abschlachtete.

Johann hatte das Bewußtsein noch nicht wieder erlangt. Voller Entsetzen beeilte sich Clary das Zeltdach so weiter auszubreiten, daß es sie Beide verhüllte.

Inzwischen hatten doch einige Passagiere flüchten können, sei es, daß sie auf die Landungsbrücke von Schlosser oder gleich über Bord sprangen, um[395] schwimmend das Ufer zu erreichen, wo Mac Leod und seine Würger sie zu verfolgen nicht wagen durften. Uebrigens war jetzt auch im Dorfe Lärmen entstanden, und die Bewohner desselben liefen herbei, um Hilfe zu bringen.

Das Gemetzel hatte nur wenige Minuten angedauert und viele Opfer desselben wären gewiß verschont geblieben, wenn nicht Mac Leod, jenes Scheusal in Menschengestalt, an der Spitze der Mörder stand.

Dieser hatte in seinem Boote nämlich eine Menge leicht brennbaren Materials mitgebracht und das ließ der Elende auf das Deck der »Caroline« schaffen. Binnen wenigen Secunden standen nun Rumpf und Takelwerk in Flammen.

Gleichzeitig waren die Haltetaue durchschnitten worden und das kräftig vom Lande abgestoßene Fahrzeug schwankte hinaus in die Strömung.

Die Lage wurde entsetzlich.

Drei Meilen weiter unten stürzte der Niagara seine Wasserfluthen in den Abgrund der berühmten Fälle.

Auch jetzt sprangen noch fünf oder sechs Unglückliche, sinnlos vor Verzweiflung, in den rauschenden Strom, doch nur Wenigen gelang es, nach schwerstem Kampfe mit treibenden Eisschollen, das rettende Land zu erreichen.

Inzwischen schoß die »Caroline« gleich einem verderbenbringenden Brander zwischen den Ufern dahin. Die Feuersbrunst verbreitete sich schon nach dem Hinterdeck. Ihrer Sinne kaum mächtig, stand Clary allein noch aufrecht und rief...

Johann hörte sie endlich; er öffnete die Augen, richtete sich ein wenig auf und sah sie fragend an.

Beim Schein der lodernden Flammen sah man das Bild des Ufers rasch vorüberziehen.

Johann erkannte das junge Mädchen an seiner Seite.

»Clary!« murmelte er kaum hörbar.

Hätte er die Kräfte noch besessen, er würde sie in die Arme genommen, sich mit ihr in den Strom gestürzt und versucht haben, sie zu retten... Jetzt konnte er sich aber selbst nicht mehr erhalten und fiel auf das Verdeck zurück. Das dumpfe Rauschen der Wasserfälle war in der Entfernung von kaum einer halben Meile deutlich hörbar.

Das war der Tod für sie und für ihn, wie für die anderen Opfer, welche die »Caroline« den Niagara hinunter trug.[396]

»Johann, sagte da Clary, wir sterben, doch wir sterben vereint!... Johann, ich liebe Dich.. Ich wäre so stolz gewesen, Deinen Namen zu tragen!... Gott hat es nicht gewollt!...«

Johann hatte noch die Kraft, Clarys Hand zu drücken. Dann stammelten seine Lippen noch die letzten Worte seiner Mutter:

»Sühne!... Sühne!«

Das Fahrzeug schoß jetzt mit rasender Schnelligkeit dahin und flog fast um Goat-Island (die Ziegeninsel), welche den amerikanischen von dem canadischen Falle scheidet, und endlich – in der Mitte des Hufeisens, wo der Fall sich einen grünlich schillernden Abgrund ausgehöhlt hat – neigte sich die »Caroline« über diesen und verschwand im Wogenschaume des »Donnerers der Wasser«.

Quelle:
Jules Verne: Die Familie ohne Namen. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LVII–LVIII, Wien, Pest, Leipzig 1893, S. 387-397.
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