Viertes Kapitel.
In Wellington.

[52] Die Stadt Wellington ist an der Südwestspitze der Nordinsel im Hintergrunde einer hufeisenförmigen Bucht erbaut. Sehr geschützt gegen die Winde vom offenen Meere her, bietet sie einen vortrefflichen Ankerplatz. Die Brigg war von der Witterung begünstigt gewesen, das ist aber nicht immer der[52] Fall. Meist ist die Schiffahrt durch die Cookstraße mit ernsten Schwierigkeiten verbunden, denn hier laufen zu Zeiten Strömungen mit der Geschwindigkeit von zehn Knoten, obwohl der Wasserstand im Stillen Ozean bei Ebbe und Flut nur wenig verschieden ist. Der Seefahrer Tasman, dem man die Entdeckung Neuseelands – im Dezember 1642 – verdankt, hatte hier große Gefahren zu bestehen, teils wegen einer immer drohenden Strandung und teils wegen etwaiger Überfälle der Eingebornen. Daher der Name der »Bai des Massacres«, der unter den geographischen Bezeichnungen der Meerenge noch fortlebt. Der holländische Seefahrer verlor hier vier seiner Leute, die von den Kannibalen des Uferlandes sofort verzehrt wurden, und hundert Jahre später mußte der britische Seefahrer James Cook die Besatzung eines der Boote seines von Kapitän Furneaux befehligten Begleitschiffes in den Händen dieser Wilden zurücklassen. Endlich fand hier, zwei Jahre darauf, der französische Seefahrer Marion du Frène mit sechzehn seiner Leute den Tod durch einen Überfall, der mit der scheußlichsten Schlächterei endigte.

Im März 1840 läuft dann Dumont d'Urville mit der »Astrolabe« und der »Zélée« die Bai von Otago an der Südinsel an und besucht auch die Snaresinseln nebst der Stewartinsel an der Südspitze von Tawai-Pounamou. Dann verweilt er eine Zeitlang im Hafen von Akaroa, ohne über seinen Verkehr mit den Eingebornen zu klagen zu haben. Das Andenken an den Aufenthalt dieses berühmten Seefahrers wird durch die Insel, die seinen Namen erhielt, gesichert. Nur von Pinguinvölkern und Albatrosschwärmen bewohnt, ist sie vom Südende des Hauptlandes durch den »Frenchpaß« getrennt, worin ein so schwerer Seegang herrscht, daß sich die Schiffe beim Verlassen der Meerenge nicht gern hineinwagen.

Jetzt, wo über Neuseeland die britische Flagge weht, ist die allgemeine Sicherheit – wenigstens soweit hierbei die Maoris in Betracht kommen – hier überall gewährleistet. Die früher von der wilden Bevölkerung drohenden Gefahren sind vollständig beseitigt. Nur die, die das Meer bietet, bestehen noch fort, doch auch in vermindertem Maße, dank den sorgsamen hydrographischen Arbeiten und der Errichtung des sehr hohen Leuchtturmes auf einem einzeln aufragenden Felsen vor der Nicholsonbucht, in deren Hintergrunde sich Wellington ausbreitet.

Es war im Januar 1849, als die New-Zealand Land Company die »Aurora« absendete, die diesem entlegenen Lande die ersten Ansiedler zuführte.[53]

Die Bevölkerung beider Inseln beträgt jetzt nicht weniger als achthunderttausend Seelen, wovon auf Wellington, die Hauptstadt der Kolonie, allein dreißigtausend kommen.

Die schön gelegene und regelmäßig erbaute Stadt hat breite, gut unterhaltene Straßen. Die meisten Häuser bestehen freilich nur aus Holz, aus Furcht vor den in der Südprovinz ziemlich häufigen Erdbeben, sogar die öffentlichen Gebäude, wie der in einem hübschen Parke gelegene Palast des Gouverneurs, und auch die Kathedrale, die ihr religiöser Charakter doch nicht gegen solche Naturereignisse schützt. Ist Wellington jetzt auch unbedeutender und dessen Industrie und Handel geringfügiger als in zwei oder drei anderen blühenden Städten Neuseelands, so wird es diese unter dem Einfluß der kolonisatorischen Geschicklichkeit Großbritanniens doch später noch sicherlich einholen. Mit seiner Universität, der gesetzgebenden Versammlung, die aus vierundfünfzig Mitgliedern – darunter vier vom Gouverneur dazu ernannten Maoris – besteht, mit der aus allgemeinem Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung, seinen höheren und mittleren Schulen, seinem Museum, den stark beschäftigten Anstalten zur Herstellung gefrorenen Fleisches für die Ausfuhr, seinem Mustergefängnisse und den öffentlichen Plätzen und Parkanlagen, wo die Elektrizität schon das Gas zu verdrängen anfängt, erfreut sich Wellington doch schon heute mancher Vorzüge und Annehmlichkeiten, um die es so manche Stadt in der Alten wie in der Neuen Welt beneiden könnte.

Der »James-Cook« hatte sich nicht unmittelbar an den Kai angelegt, weil der Kapitän das Entweichen seiner Leute zu erschweren hoffte. Das Goldfieber wütete in Wellington nämlich nicht minder heftig als in Dunedin und den übrigen neuseeländischen Hafenplätzen. Auch hier sahen sich mehrere Schiffe dadurch am Auslaufen gehindert. Gibson mußte also vor allem darauf bedacht sein, seine Mannschaft vollzählig zu erhalten, und darunter sogar die Neuangeworbenen aus den »Three-Magpies«, obwohl er diese gern gegen andere ausgewechselt hätte. Übrigens sollte sein Aufenthalt in Wellington nur sehr kurze Zeit, höchstens vierundzwanzig Stunden dauern.

Die ersten Personen, die Gibson aufsuchte, waren Hawkins und sein Sohn Nat. Der Kapitän hatte sich gleich nach der Ankunft im Hafen ans Land setzen lassen, und es schlug eben sieben, als er das Kontor des Reeders Hawkins betrat, das am Ende einer der am Hafen ausmündenden Straßen lag.

»Ah... mein Vater!...[54]

– Herzlich gegrüßt, lieber Freund!«

Mit diesen Worten wurde Gibson bei seinem Erscheinen im Kontor bewillkommt.

Er war seinem Sohne und dem Reeder zuvorgekommen, die sich eben anschickten, nach dem Kai hinunter zu gehen, um zu sehen, ob der »James-Cook« nicht endlich von den Wärtern des Küstentelegraphen gemeldet würde.

Der junge Mann hatte sich seinem Vater gleich an die Brust geworfen, und dann schloß auch der Reeder diesen erfreut in die Arme.

Der zur Zeit fünfzigjährige Hawkins war ein Mann von mittlerer Größe, mit wenig ergrautem Haar und bartlosem Gesicht, mit klaren, sanften Augen und dabei von trefflicher Gesundheit und kräftiger Konstitution, im übrigen rasch in seinen Bewegungen, sehr tätig in seinem Berufe und ziemlich kühn in seinen Geschäften. Seine Verhältnisse in Hobart-Town waren in gesichertem, blühendem Zustande, und bei seinem bereits erworbenen Vermögen hätte er sich getrost zur Ruhe setzen können. Es hätte ihm nach einem so tätigen Leben aber noch nicht gepaßt, schon müßig zu bleiben. Um seine Geschäfte noch zu erweitern, wollte er, wenn auch schon Teilhaber an einigen anderen Schiffen, in Wellington eben noch ein Kontor mit einem Teilhaber, einem gewissen Balfour, eröffnen. Hier sollte Nat Gibson als erster Buchhalter und mit Gewinnanteil angestellt werden, sobald der »James-Cook« seine jetzige Rundfahrt beendigt hätte.

Der Sohn des Kapitäns Gibson, zur Zeit einundzwanzig Jahre alt und lebhaften, aber ernsten Geistes, hegte für seinen Vater und seine Mutter, doch auch für den Reeder Hawkins die wärmste Zuneigung. Der letztere und der Kapitän standen zu einander in so enger, vertrauter Beziehung, daß Nat Gibson für beide leicht gleiche Gefühle bewahren mußte. Leicht erregbar, enthusiastisch, für alles Schöne begeistert, zeigte er eine wirkliche Künstlernatur neben vollem Verständnis und warmem Eifer für geschäftliche Dinge. Etwas über mittelgroß, schwarz von Augen und mit nußbraunem Bart und Haar, einer eleganten Haltung und mit sehr ansprechenden Gesichtszügen, gefiel der junge Mann allen auf den ersten Blick und er kannte wirklich auch nur Freunde. Anderseits unterlag es keinem Zweifel, daß er mit zunehmenden Jahren sich als ein entschlossener, energischer Charakter erweisen würde. Von seiner Mutter hatte er das entschiedenere Temperament geerbt, das seinem Vater nicht so ausgesprochen eigen war.[55]

In den Mußestunden beschäftigte sich Nat Gibson mit Vergnügen und mit gutem Geschmack mit der Photographie, die jetzt, dank dem sehr verkürzten Aufnahmeverfahren, womit dennoch die vollendetsten Bilder gewonnen werden, eine so weite Verbreitung gefunden hat. Sein Apparat verließ ihn fast nie, und man kann sich denken, daß er diesen im Laufe der Reise hierher sehr häufig benutzt und von malerischen Landschaften, vielfach von Eingebornen und sonstigen interessanten Dingen Aufnahmen gemacht hatte.

Seitdem er in Wellington war, hatte er auch eine Menge Ansichten von der Stadt selbst und von deren Umgebung aufgenommen. Hawkins interessierte sich lebhaft für seine Liebhaberei. Häufig sah man sie beide mit dem photographischen Apparate ausgerüstet hinauswandern vor die Stadt, und stets kehrten sie mit neuen Schätzen für ihre Sammlung von diesen Ausflügen zurück.

Als Hawkins den Kapitän seinem Teilhaber Balfour vorgestellt hatte, zog er sich nach seinem Privatkontor zurück, wohin ihm Gibson und dessen Sohn folgten. Hier kam das Gespräch zuerst auf Hobart-Town, von wo es, dank der regelmäßigen Verbindung zwischen Tasmanien und Neuseeland, an Nachrichten nicht fehlte. Erst am Tage vorher war ein Schreiben der Frau Hawkins eingetroffen, und einige Briefe der Frau Gibson erwarteten schon mehrere Tage den »James-Cook« in Wellington.

Der Kapitän durchflog sie mit erklärlichem Inte resse. Da unten ging alles recht gut; die beiden Frauen waren wohlauf. Die Abwesenheit der Männer erschien ihnen freilich etwas lang und sie hofften nun auf ein baldiges Wiedersehen, da die Reise des Schiffes ja ihrem Ende entgegenging.

»Ja ja, sagte Hawkins, nur noch fünf oder sechs Wochen, dann werden wir in Hobart-Town zurück sein...

– O, meine gute Mutter, rief Nat Gibson, welche Freude wird es für sie sein, uns wiederzusehen, ganz so, wie wir uns gefreut haben, dich, liebster Vater, wieder zu begrüßen...

– Und wie ich, dich, mein Kind, endlich wiederzufinden!

– Lieber Freund, begann jetzt der Reeder, ich glaube annehmen zu dürfen, daß der letzte Teil der Fahrt des ›James-Cook‹ nicht mehr viel Zeit beanspruchen werde...

– Das hoffe ich ebenfalls, Hawkins.

– Und selbst bei mäßiger Geschwindigkeit, fuhr dieser fort, muß ja die Strecke zwischen Neuseeland und Neuirland in kurzer Zeit zurückgelegt werden...[56]

– Vorzüglich zur jetzigen Jahreszeit, antwortete der Kapitän. Bis zum Äquator hin bleibt das Meer gewöhnlich schön, der Wind hält sich gut, und ich denke wie du, daß wir keine Verzögerungen zu erleiden haben werden, wenn sich unser Aufenthalt im Praslinhafen nicht unversehens verlängert...


Herr Hawkins und der Kapitän Gibson.
Herr Hawkins und der Kapitän Gibson.

– Das ist kaum zu befürchten, Gibson. Ich habe von meinem Vertreter, Herrn Zieger, darüber sehr befriedigende Nachricht erhalten. Im dortigen[57] Archipel lagern große Vorräte von Perlmutter, Koprah und so weiter, so daß die Brigg keine Schwierigkeiten haben wird, volle Ladung einzunehmen.

– Ist denn Herr Zieger auch erbötig, die jetzige Fracht des Schiffes zu übernehmen? fragte der Kapitän.

– Gewiß, lieber Freund, und ich wiederhole dir, ich bin überzeugt, daß wir dieser Sache wegen keine Verzögerung zu befürchten haben.

– Bedenke aber, Hawkins, daß die Brigg vom Praslinhafen erst noch Karawera anlaufen muß...

– Das wird binnen vierundzwanzig Stunden abzumachen sein, Gibson.

– Nun, Vater, dann können wir ja die Reisedauer ausrechnen. Wie viel Tage brauchen wir einschließlich des Aufenthaltes im Praslinhafen und in Karawera?

– Etwa drei Wochen.

– Und von Wellington nach Praslinhafen?

– Eben so lange.

– Und zur Rückfahrt nach Tasmanien?

– Ungefähr einen Monat.

– Danach wäre also anzunehmen, daß der ›James-Cook‹ in zweiundeinhalb Monaten nach Hobart-Town zurückgekehrt sein kann.

– Jawohl... eher noch zeitiger, als später.

– Nun gut, erwiderte Nat Gibson, so werd' ich noch heute an die Mutter schreiben, da der Postdampfer nach Australien übermorgen abgeht. Ich werde sie noch um zweiundeinhalb Monat Geduld bitten, und Frau Hawkins wird ja ihren Teil davon auf sich nehmen, nicht wahr, Herr Hawkins?

– Ganz gewiß, liebes Kind.

– Zu Anfang des Jahres werden die beiden Familien dann wieder vereinigt sein...

– Zwei Familien, die eigentlich nur eine bilden!« bemerkte dazu Hawkins.

Ein Händedruck zwischen dem Reeder und dem Kapitän besiegelte diese Worte.

»Lieber Gibson, fuhr Hawkins darauf fort, wir werden mit Herrn Balfour gleich hier frühstücken...

– Ganz einverstanden, Hawkins.

– Hast du in der Stadt etwas auszurichten?

– Nein, antwortete der Kapitän, ich werde aber erst noch einmal an Bord zurückkehren müssen.[58]

– O, das ist schön! rief Nat Gibson. Es wird mich sehr freuen, unsere Brigg wiederzusehen, ehe wir unser Gepäck dahin schaffen lassen.

– Nun, antwortete Hawkins, das Schiff wird doch etliche Tage in Wellington liegen bleiben.

– Höchstens vierundzwanzig Stunden, erklärte der Kapitän, da ich weder Havarien auszubessern, noch hier Fracht zu löschen oder einzunehmen habe. Zur Erneuerung des Proviants wird der Nachmittag hinreichen, und nur in Bezug hierauf wollte ich Flig Balt noch die nötigen Anweisungen geben.

– Bist du mit deinem Bootsmann noch immer zu frieden?

– Noch immer. Der Mann ist eifrig und versteht sich auf den Dienst.

– Und die übrige Mannschaft?

– O, gegen die alten Matrosen ist nicht das geringste einzuwenden.

– Wie steht es aber mit denen, die du in Dunedin angenommen hast?

– Die flößen mir allerdings nicht das beste Vertrauen ein, ich habe nur keine besseren austreiben können.

– Der ›James-Cook‹ soll also schon...

– Schon morgen abfahren, wenn's uns hier nicht ebenso ergeht wie in Dunedin. Gegenwärtig ist es für Handelskapitäne nicht ratsam, sich in den neuseeländischen Häfen längere Zeit aufzuhalten.

– Du denkst wohl an die Desertion, die die Besatzungen dezimiert? fragte Hawkins.

– Noch mehr als dezimiert, erwiderte Gibson, denn von acht Matrosen sind mir vier davongelaufen, von denen ich keine Spur wieder gehört habe.

– Ja freilich, Gibson, da wirst du auf der Hut sein müssen, damit es dir hier nicht ebenso ergeht wie in Dunedin...

– Ich habe deshalb schon insofern Vorsorge getroffen, daß keiner, unter welchem Vorwande es auch sei, ans Land gehen darf... nicht einmal der Koch Koa...

– Das ist recht, Vater, ließ Nat Gibson sich vernehmen. Im Hafen liegen schon ein halbes Dutzend Schiffe, die wegen Mannschaftsmangel nicht auslaufen können.

– Das wundert mich gar nicht, antwortete Harry Gibson. Ich denke auch sofort unter Segel zu gehen, sobald wir unseren Proviant übergenommen haben, und morgen werden wir schon ganz früh zur Abfahrt bereit sein.«[59]

Als der Kapitän den Namen des Bootsmannes aussprach, hatte Hawkins ein leises Stirnrunzeln nicht unterdrücken können.

»Daß ich dich wegen Flig Balts fragte, nahm er jetzt das Wort, kam daher, daß er auf mich gleich bei seiner Anmusterung in Hobart-Town keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machte.

– Ja ja... ich weiß es, antwortete der Kapitän, deine Vermutungen gingen aber nicht in Erfüllung. Er kommt seiner Pflicht mit allem Eifer nach, die Leute wissen, daß sie ihm zu gehorchen haben, und ich versichere dir, daß der Dienst an Bord bisher nichts zu wünschen übrig gelassen hat.

– Desto besser, Gibson; ich will mich in Bezug auf ihn gern getäuscht haben, und wenn er sich dein Vertrauen erworben hat...

– Übrigens weißt du, Hawkins, daß ich mich, was die Schiffsführung angeht, einzig auf mich selbst verlasse, nur das übrige überlasse ich meinem Bootsmanne. Seit unserer Abfahrt habe ich ihm noch keinen Vorwurf zu machen gehabt, und wenn er zur nächsten Reise wieder auf der Brigg antreten will...

– Nun, das ist ja ausschließlich deine Sache, lieber Gibson, du kannst am besten beurteilen, was in dieser Hinsicht zu tun oder zu lassen ist.«

Das Vertrauen, das Flig Balt seinem Kapitän bisher eingeflößt hatte, war also, so sehr es am unrechten Platze war, wie die vorstehenden Äußerungen ergaben, noch in keiner Weise erschüttert, so gut hatte dieser Elende, ebenso wie Vin Mod, seine Rolle zu spielen verstanden. Deshalb antwortete Harry Gibson auch, als ihn Hawkins fragte, ob er sich auf die anderen vier Matrosen, die nicht entwichen waren, verlassen könnte:

»Vin Mod, Hobbes, Wickley und Burnes sind vortreffliche Seeleute, und was sie in Dunedin nicht getan haben, werden sie auch hier nicht versuchen.

– Das sollen sie bei der Heimkehr nicht zu bereuen haben, erklärte der Reeder.

– Um ihretwillen, fuhr der Kapitän fort, geschah es auch nicht, daß ich den Leuten verbot, ans Land zu gehen, sondern nur der vier neuen wegen.«

Gibson erzählte nun, unter welchen Umständen Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce an Bord gekommen wären, und daß sie dringend Anlaß gehabt hätten, wegen einer Schlägerei in der Schenke zu den »Three-Magpies« vor der Polizei in Dunedin zu flüchten.

»Sind es denn wenigstens befahrene Matrosen? fragte der Reeder.[60]

– Gewiß, lieber Freund. Du weißt aber, in welcher Verlegenheit ich war, und daß ich schon vierzehn Tage still liegen mußte. Ja ich fragte mich, ob nicht vielleicht noch Monate vergehen würden, ehe ich meine Mannschaft vervollständigen könnte, und unter solchen Verhältnissen... ja, da nimmt man eben, was zu haben ist.

– Und entledigt sich dessen, was man gefunden hatte, sobald es möglich ist, meinte Hawkins.

– Gewiß, Hawkins. Das hätte ich, wenn es die Umstände erlaubten, schon hier in Wellington getan, in Hobart-Town wird es aber jedenfalls geschehen.

– Daran zu denken, ist ja noch Zeit genug übrig, bemerkte Nat Gibson. Die Brigg wird doch so wie so dann einige Monate aufliegen, nicht wahr, Herr Hawkins? Und diese Zeit werden wir im Familienkreise verleben, bis ich wieder nach Wellington zurückkehre.

– Natürlich, mein junger Freund!« antwortete der Reeder.

Hawkins, Gibson und sein Sohn verließen nun das Kontor, begaben sich nach dem Kai hinunter und riefen eines der Boote an, die für den Hafendienst be stimmt sind, um sich an Bord der Brigg rudern zu lassen.

Hier empfing sie der immer zuvorkommende und diensteifrige Bootsmann, den Hawkins, durch die Versicherungen des Kapitäns beruhigt, sehr freundlich begrüßte.

»Ich sehe mit Vergnügen, daß Sie ja recht wohlauf sind, Herr Hawkins, sagte Flig Balt.

– Gott sei Dank, ganz wohlauf... ich danke Ihnen,« erwiderte der Reeder.

Die drei Matrosen, Hobbes, Wickley und Burnes, die schon mehrere Jahre mit dem »James-Cook« fuhren, ohne zu Beschwerden Veranlassung gegeben zu haben, wurden von Hawkins mit einem warmen Glückwunsche begrüßt.

Den Schiffsjungen Jim umarmte der Reeder und küßte ihn auf beide Wangen, und der junge Bursche erwies sich hoch erfreut, den väterlichen Freund wiederzusehen.

»Ich bringe auch gute Nachrichten von deiner Mutter, sagte Hawkins, sie hofft übrigens, daß der Kapitän mit dir zufrieden sei...

– Vollständig zufrieden, bestätigte Gibson.

– Ich danke Ihnen, Herr Hawkins, sagte Jim, Sie haben mir eine große Freude bereitet![61]

– Nun... und ich? fragte Nat Gibson. Für mich hast du wohl gar nichts übrig?

– O, doch, Herr Nat, antwortete Jim und warf sich dem jungen Manne in die Arme.

– Wie vortrefflich du aussiehst! fuhr dieser fort. Wie würde sich deine brave Mutter freuen, wenn sie dich jetzt sähe! Nun, ich werde vor der Abfahrt noch ein Bild von dir aufnehmen, Jim...

– Ein recht gut getroffenes, Herr Nat?...

– Gewiß, wenn du ordentlich still hältst.

– Ich werde still halten, Herr Nat, werde mich gewiß nicht rühren!«

Nachdem Hawkins dann Hobbes, Wickley und Burnes einiges von ihren in Hobart-Town wohnenden Familien berichtet hatte, wendete er sich auch an Vin Mod. Dieser zeigte sich für diese Aufmerksamkeit recht empfänglich. Der Reeder kannte ihn weit weniger, als seine Kameraden, denn es war Mods erste Reise an Bord des »James-Cook«.

Den Neuangeworbenen sagte Hawkins einfach, aber freundlich nur Guten Tag.

Ihre äußere Erscheinung machte auf ihn keinen besseren Eindruck, als es bei Gibson der Fall gewesen war. Übrigens hätte man sie hier getrost ans Land gehen lassen können; es wäre ihnen nicht eingefallen, nach der achtundvierzigstündigen Fahrt davonzulaufen, und sie hätten sich jedenfalls vor der Abfahrt der Brigg wieder eingestellt. Vin Mod hatte sie ja bearbeitet, und trotz der Anwesenheit des Reeders und Nat Gibsons rechneten sie noch immer darauf, daß schon eine günstige Gelegenheit eintreten werde, die es ihnen ermöglichte, sich der Brigg zu bemächtigen. Die Sache wäre jetzt nur ein wenig schwieriger. Was erscheint aber Leuten ohne Treu und Glauben unmöglich, wenn sie einmal entschlossen sind, vor keinem Verbrechen zurückzuweichen?

Nach Verlauf einer Stunde, in der Hawkins und Gibson die Abrechnung von der Reise durchsahen, verkündigte der Kapitän, daß die Brigg am nächsten Morgen mit Tagesanbruch absegeln werde. Der Reeder und Nat Gibson würden noch am heutigen Abend wiederkommen und ihre Kabinen beziehen, wohin das Reisegepäck noch vorher befördert werden sollte.

Vor der Rückkehr nach dem Kai fragte Gibson den Bootsmann, ob er etwa Veranlassung habe, sich ans Land zu begeben.

»Nein, Kapitän, antwortete Flig Balt. Ich ziehe es vor, an Bord zu bleiben, das ist ratsamer...schon wegen der Überwachung der Mannschaft...[62]

– Sie haben recht, Balt, sagte Gibson. Jedenfalls muß aber der Koch hinüberfahren, um noch Proviant zu besorgen.

– Ich werde ihn übersetzen lassen, Kapitän, und wenn nötig noch zwei Matrosen mitschicken.«

Nachdem in dieser Weise alles geordnet war, brachte das Boot, das den Reeder und seine Begleiter hierher befördert hatte, diese wieder nach dem Kai zurück. Von da aus begaben sie sich nach dem Kontor, mit dem Balfours Wohnung in Verbindung stand, und alle setzten sich bald zum Frühstück nieder.

Das Gespräch bei diesem betraf meist Geschäftsangelegenheiten. Bisher war die Rundfahrt des »James-Cook« ganz nach Wunsch verlaufen und versprach einen recht ansehnlichen Gewinn.

Die große Küstenfahrt entwickelte sich in dieser Gegend des Stillen Ozeans gerade jetzt immer mehr und mehr. Die Besitznahme der Inselgruppen in der Nachbarschaft Neuguineas durch Deutschland versprach die Eröffnung noch weiterer Absatzplätze, und nicht ohne Grund hatte Hawkins noch engere Beziehungen zu dem Herrn Zieger, seinem Korrespondenten in Neuirland – jetzt Neumecklenburg – angeknüpft. Das eben in Wellington zu gründende Kontor sollte sich vor allem des Geschäftes dahin annehmen und von Balfour und Nat Gibson geleitet werden, von denen der zweite sich nach wenigen Monaten hier niederzulassen gedachte.

Nach Beendigung des Frühstückes wollte sich Gibson mit der Verproviantierung der Brigg beschäftigen und dem Koch aufgeben, was er am Nachmittage holen sollte: Konserven, Geflügel, Pöckelfleisch, Mehl, trockene Gemüse, Käse, Bier, Gin und Sherry, Kaffee und Gewürze verschiedener Art.

»Ja, Vater, du wirst aber nicht von hier weggehen dürfen, ohne daß ich ein Bild von dir aufgenommen habe, erklärte da Nat.

– Wie?... Auch das noch?

– Laß dir sagen, lieber Freund, fiel Hawkins ein, daß wir beide von dem Dämon der Photographie angesteckt sind und den Leuten nicht eher Ruhe lassen, als bis sie uns vor dem Objektiv gesessen haben. Da mußt du dich schon wohl oder übel fügen.

– Ich habe ja aber schon zwei oder gar drei solche Bilder zu Hause in Hobart-Town!

– Nun, so bekommst du eben noch eines dazu, antwortete Nat Gibson, und da wir morgen auslaufen, wird Herr Balfour so freundlich sein, es meiner Mutter mit dem nächsten Postschiffe zu übersenden.[63]

– Mit größtem Vergnügen, versicherte Balfour.

– Siehst du, Vater, fuhr der junge Mann fort, so ein Porträt ist ganz wie ein Fisch... der hat auch nur Wert, wenn er ganz frisch ist! Bedenke doch, seit deiner Abfahrt von Hobart-Town sind schon mehr als zehn Monate vergangen, und ich glaube bestimmt, du ähnelst deiner letzten Photographie fast gar nicht mehr, dem Bilde, das in deinem Zimmer auf dem Kaminsimse steht...

– Nat hat recht, bestätigte Hawkins lachend. Ich hätte dich heute Morgen beinahe kaum wiedererkannt.

– Das ist doch etwas stark! rief Gibson.

– Nein nein, ich versichr' es dir. Nichts verändert das Aussehen des Menschen mehr als so eine zehnmonatige Seereise!

– So tue, was du nicht lassen kannst, mein Sohn, antwortete der Kapitän, ich bin zu jedem Opfer bereit.

– Und welche Haltung willst du einnehmen, fragte der Reeder scherzend, die des Seemannes, der gerade abfährt, oder die dessen, der eben ankommt?... Willst du dich als Befehlshaber zeigen... den Arm nach dem Horizonte ausgestreckt... in der Hand den Sextanten oder das Fernrohr... die Haltung des ›Nächsten nach Gott‹?

– Ganz wie du es willst, Hawkins.

– Und wenn du dann vor dem Apparate sitzt, so denke an irgend etwas. Das gibt dem Gesicht einen lebendigeren Ausdruck... Woran wirst du denn denken?

– O, an meine liebe Frau zu Hause, antwortete Gibson, an meinen Sohn... an dich... meinen Freund...

– Nun, dann werden wir ja ein vortreffliches Bild bekommen!«

Nat Gibson besaß einen jener tragbaren und jetzt hoch vervollkommneten Apparate, die ein Negativ in wenigen Sekunden liefern, Gibson war auch augenscheinlich sehr befriedigt von dem, was sein Sohn nach Besichtigung der Platte sagte, die nun zur weiteren Benutzung Herrn Balfour überlassen wurde.

Hawkins, der Kapitän und Nat verließen darauf das Kontor, um sich alles zu besorgen, was sie für eine neun- bis zehnwöchige Reise brauchten.


Eingang zu den Jenolan-Höhlen.
Eingang zu den Jenolan-Höhlen.

Zickzackbahn in den Blauen Bergen.
Zickzackbahn in den Blauen Bergen.

Zickzackbahn in den Blauen Bergen.


In Wellington fehlt es nicht an Warenhäusern, wo man allen Schiffsbedarf findet: Nahrungsmittel, Hilfsmaschinen, Takelwerk, Blöcke, Taue und Seile, Werkzeuge, Wechselsegel, Angelgeräte, Tönnchen mit Teer und Pech, Kalfater- und Zimmermannswerkzeuge u. s. w. Außer dem Ersatze für einige aufgeschossene ScheibenTau, beschränkten sich die Bedürfnisse der Brigg aber auf die für Passagiere und Mannschaften nötigen Nahrungsmittel. Das war schnell eingekauft und wurde, sobald die Matrosen Wickley und Hobbes und der Schiffskoch ans Land gekommen waren, sofort nach dem »James-Cook« geschafft.

Gibson erledigte auch gleich noch die Formalitäten, die beim Ein- und Auslaufen jedes Schiffes zu erfüllen sind. Nun hinderte die Brigg also nichts mehr, mit Tagesanbruch abzusegeln, da sie in glücklicherer Lage als viele Fahrzeuge war, die infolge der Desertion ihrer Leute in Wellington brach liegen bleiben mußten.

Auf ihren verschiedenen Wegen durch die Stadt und inmitten einer sehr geschäftigen Menge trafen Hawkins und seine Begleiter auf eine Anzahl Maoris aus der Umgebung. Ihre Kopfzahl hat sich in Neuseeland ebenso stark verringert wie die der eingebornen Australier in Australien und vorzüglich die der Tasmanier in Tasmanien, von welcher Rasse schon fast die letzten Vertreter verschwunden sind. Auf der Nordinsel leben kaum noch mehr als etwa vierzig Eingeborne, und auf der Südinsel deren vielleicht noch zweitausend. Die Maoris betreiben ziemlich ausgebreiteten Gemüsebau und vorzüglich die Kultur des hier sehr reichlich vorkommenden ausgezeichneten Obstes.

Die Männer sind von recht stattlicher Erscheinung mit den Merkmalen eines tatkräftigen Charakters und einer kräftigen, zähen Konstitution. Ihre Frauen scheinen dagegen auf etwas niedrigerer Stufe zu stehen. Hier muß man sich daran gewöhnen, in den Straßen das schwächere Geschlecht mit der Pfeife im Munde und es fast unmäßiger als die Männer rauchen zu sehen. Freilich erschwert das etwas den Austausch der gewöhnlichsten Höflichkeiten mit diesen Maoridamen, da es hier einmal Sitte ist, einander nicht allein Guten Tag zu wünschen und die Hand zu drücken, sondern zur Begrüßung sich gegenseitig mit der Nase zu reiben.

Die Eingebornen sind allem Anscheine nach polynesischer Abstammung, und es ist sogar möglich, daß die ersten Einwanderer, die sich nach Neuseeland wendeten, von der gegen zwölfhundert Seemeilen weiter nördlich gelegenen Inselgruppe von Tonga-Tabu gekommen wären.

In der Hauptsache verschulden es zwei Ursachen, daß die Urbevölkerung so erschreckend abnimmt und in Zukunft zu verschwinden bestimmt ist. Die eine Ursache ihres Verfalles sind die Krankheiten – vor allem die Lungenschwindsucht – die in deren Familien arge Verheerungen anrichten; die zweite, noch[67] furchtbarere, ist die Trunksucht, und gerade die Frauen huldigen am meisten dem abscheulichen Mißbrauch geistiger Getränke.

Anderseits ist aber auch nicht zu vergessen, daß die Art der Ernährung bei den Maoris tiefgreifende Veränderungen erfahren hat. Dank den Missionaren ist jetzt vielfach der Einfluß des Christentums erkennbar. Die Eingebornen waren früher Menschenfresser, und dieser an Stickstoff überreichen Nahrung dürfte sich ihr ganzer Organismus angepaßt haben. Sei dem, wie ihm wolle: jedenfalls ist es besser, sie verschwinden von der Bildfläche, als daß sie einander aufzehren; »der Kannibalismus, bemerkt ein aufmerksamer Beobachter, hat ja doch nur ein einziges Ziel, das Abschlachten, das Verschlingen der Augen und des Herzens des Feindes, um dessen Mut zu erben und seine Sehschärfe zu gewinnen.«

Die Maoris widerstanden der Unterjochung durch die Briten bis zum Jahre 1875, wo sich der letzte König des Landes deren Oberhoheit unterwarf.

Gegen sechs Uhr kehrten Hawkins, der Kapitän und Nat Gibson nach dem Kontore zur Mittagsmahlzeit zurück, und nachdem sie sich dann von Balfour verabschiedet hatten, ließen sie sich nach der Brigg übersetzen, die nun fertig war, beim ersten Grauen des folgenden Morgens die Anker zu lichten.

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 52-65,67-68.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
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