Sechstes Capitel.
Vancouver.

[77] Die an der Westküste Nordamerikas zwischen dem 48. und dem 51. Breitengrade gelegene, fünfhundert Kilometer lange und hundertdreißig breite Insel Vancouver gehört zu dem englischen Columbia, dem Nachbarstaate des Dominiums von Canada, dessen Grenze diesen im Osten abschließt.

Vor einigen Jahrhunderten hatte die Hudson Bai-Gesellschaft an der südwestlichen Spitze der Insel, nahe dem alten Hafen von Cardoba, dem Camosin der Indianer, eine Handelsniederlassung gegründet. Das bildete also eigentlich schon eine Besitzergreifung der genannten Insel durch die britische Regierung. Im Jahre 1789 kam sie jedoch unter spanische Gewalt. Kurze Zeit nachher wurde sie indeß den Engländern durch einen Vertrag zurückgegeben, der zwischen dem spanischen Officier Quadra und dem englischen Officier Vancouver zustande kam. Nur der Name des zweiten ist dann in die moderne Kartographie übergegangen.

Das ursprüngliche Dorf wuchs bald zur Stadt an, dank der Entdeckung von Goldadern im Becken des Fraser, eines der Wasserläufe der Insel. Unter[77] dem Namen Victoria City bildet es jetzt die officielle Hauptstadt des britischen Columbiens. Später entstanden noch andere Städte, wie z. B. das vierundzwanzig Lieues von Victoria gelegene Nanaimo, ohne den kleinen Hafen San Juan zu erwähnen, der die Südspitze des Landes einnimmt.

Zur Zeit, wo sich unsere Geschichte abspielte, hatte Victoria noch bei weitem nicht die Bedeutung, die ihm heute zukommt. Der Insel Vancouver fehlte damals noch die sechsundzwanzig Kilometer lange Bahnlinie, die jetzt ihre Hauptstadt mit Nanaimo verbindet. Erst im folgenden Jahre, 1864, wurde, zur Vorbereitung des Bahnbaues, von dem Doctor Brow aus Edinburg, dem Ingenieur Leech und Frederic Wymper eine Expedition ins Innere der Insel unternommen. Immerhin fand der Kapitän Bourcart in Victoria schon alle Bedingungen zur Abwicklung seines Handelsgeschäfts, und auch alle Hilfsmittel zur Ausführung seiner zweiten Fangreise. In dieser Beziehung konnte er sich also jeder Sorge entschlagen.

Mit der ersten Tagesstunde hatte der »Saint Enoch« seinen Ankerplatz in der Lagune verlassen. Durch die Ebbeströmung unterstützt, steuerte er den Canal der Bai Marguerite hinunter und dann aufs offene Meer hinaus.

Günstige, aus Ost bis Südost wehende Winde erlaubten es dem Schiffe, längs der Küste unter dem Schutze des Landes, nur einige Seemeilen westlich von der langen Halbinsel Niedercalifornien hinzusegeln.

Bourcart hatte keine Wachen auf die Marsen geschickt, da jetzt keine Jagd auf Walfische beabsichtigt war. Vor allem drängte es ihn, Vancouver zu erreichen, um sich die dortigen guten Marktpreise zu nutze zu machen.

Uebrigens wurden auch nur drei oder vier Walfische, und diese in so großer Entfernung beobachtet, daß es bei dem meist starken Seegange sehr schwierig gewesen wäre, deren Fang zu versuchen. Die Mannschaft begnügte sich also, den Thieren ein »Auf Wiedersehen bei den Kurilen und im Ochotskischen Meere!« zuzurufen.

Man rechnet ungefähr vierzehnhundert Seemeilen bis zur Straße San Juan de Fuca, die die Insel Vancouver von dem Territorium Washington im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten scheidet. Bei einer mittleren Geschwindigkeit von neunzig Seemeilen in vierundzwanzig Stunden mußte die Fahrt des »Saint Enoch«, der jetzt auch Top-, Lee- und Stagsegel führte, etwa fünfzehn Tage in Anspruch nehmen. Unverändert dauerten die günstigen Verhältnisse an, die bisher die erste Fangreise begleitet hatten.[78]

Nach dem ersten Drittel der Fahrstrecke segelte das Schiff dicht am Winde in der Höhe von San Diego, der Hauptstadt Niedercalifornicus hin. Vier Tage später befand es sich San Francisco gegenüber und inmitten zahlreicher Fahrzeuge, die diesem großen amerikanischen Hafen zustrebten.

»Vielleicht ist es doch bedauerlich, sagte an diesem Tage Bourcart zu dem Obersteuermanne, daß wir unser Handelsgeschäft statt in Victoria, nicht schon in San Francisco erledigen können.

– Ja freilich, antwortete Heurtaux, dann wären wir jetzt schon am Ziele. Doch, je mehr Weg vorher, desto weniger später. Wollen wir noch einmal bei den Kurilen den Fang aufnehmen, so sind wir in Vancouver schon weit oben im Norden.

– Ja, Sie haben recht, Heurtaux, und die Aussagen des Kapitäns vom »Iving« lauteten auch zu verlockend und bestimmt. Seiner Ansicht nach muß der »Saint Enoch« in Victoria leicht so weit wie nöthig ausgebessert und mit allem Proviant für mehrere Monate versorgt werden können.«

Der Wind, der jetzt einige Neigung zum Abflauen verrieth und mehr nach Süden räumte, wehte bald vom hohen Meere her. Die Fahrt des »Saint Enoch« wurde also etwas verlangsamt.

Das verursachte an Bord einige Ungeduld. Länger als achtundvierzig Stunden dauerten diese minder günstigen Verhältnisse aber nicht an, und am 3. Juli morgens meldeten die Wachen schon das Cap Flattery am Eingange der Juan de Fucastraße.

Die Ueberfahrt hatte sechszehn Tage, einen mehr als nach der Berechnung Bourcart's, beansprucht, da das Schiff die mittlere Geschwindigkeit von neunzig Seemeilen nicht ganz erreicht hatte.

»Nun, Alterchen, wendete sich Meister Ollive an Cabidoulin, da wären wir ja an der Einfahrt zum Hafen, und Du jammerst doch immer noch?

– Ich?... erwiderte der Böttcher achselzuckend.

– Jawohl... Du!

– Ich sage ja gar nichts...

– Nein, Du sagst nichts... es ist aber doch nicht anders.

– Wirklich?

– Ja, wirklich... ich hör' es ja, wie Du innerlich brummst...

– Und das werd' ich auch laut thun, wenn es mir paßt!« entgegnete Jean-Marie Cabidoulin.[79]

Nach Erledigung der Sanitäts- und der Zollförmlichkeiten legte der »Saint Enoch« an einem Bollwerke an, von wo aus seine Fracht bequem gelöscht werden konnte.

Auf jeden Fall sollte sein Aufenthalt in Victoria etwa vierzehn Tage dauern. Er konnte nicht wohl weiterfahren, ehe die Mannschaft nicht einige kleine Reparaturen ausgeführt hatte, ob das Schiff sich nun zu einer zweiten Fangreise in die nördlichen Gewässer des Stillen Oceans begab, oder sich zur Rückkehr nach Europa anschickte.

Der Obersteuermann, die beiden Lieutenants und die Deckofficiere würden also Arbeit genug haben, die ihre Zeit voll in Anspruch nahm. Handelte es sich doch darum, siebzehnhundert Faß Thran ans Land zu befördern. Der Kapitän Bourcart mußte hier übrigens auf seine Leute ein scharfes Auge haben. Hier sind immer Desertionen zu gewärtigen, da nicht wenige Goldsucher und Ausbeuter von Fundstätten auf der Insel Vancouver und auf den Ebenen am Caribu im britischen Columbien die Umgegend durchstreifen.

Gerade jetzt lagen im Hafen von Victoria zwei Schiffe, der »Chantenay« aus Nantes und der »Forward« aus Liverpool, die durch das Entweichen einer Anzahl ihrer Matrosen arg in Verlegenheit gesetzt waren.

Bourcart hatte indessen, soweit das möglich war, zu seinen Leuten das beste Vertrauen; wurden sie doch durch die Belohnungen zurückgehalten, die ihnen nach einer für sie wie für die Rheder des »Saint Enoch« so erfolgreichen Reise in Aussicht standen. Immerhin war eine strenge Aufsicht unumgänglich, und Erlaubniß, das Schiff zu verlassen, wurde nur selten ertheilt. Unzweifelhaft erschien es rathsamer, nach harter Tagesarbeit an Bord doppelte Rationen auszutheilen, als die Matrosen nach Schänken und Spelunken laufen zu lassen, wo sie gar zu leicht in schlechte Gesellschaft geriethen.

In erster Linie hatte Bourcart freilich darauf zu achten, daß er seine Ladung am Markte von Victoria absetzte. Sobald er das Land betreten hatte, begab er sich denn auch zu einem gewissen William Hope, einem der bedeutendsten Waarenmäkler des Hafenplatzes.

Der Doctor Filhiol hatte, da an Bord niemand krank war, reichlich Muße, sich die Stadt und deren Umgebung anzusehen. Er hätte die Insel wohl auch in weiterem Umkreise besucht, wenn es nicht zu sehr an Communicationsmitteln gefehlt hätte, doch hier gab es durch die dichten Waldungen keine Straßen, höchstens beschwerliche Fußpfade. Er mußte den Umkreis seiner Ausflügealso wohl oder übel beschränken. Im ganzen machte ihm die Stadt einen interessanten Eindruck, wie die meisten, die auf amerikanischem Boden überraschend schnell aufwachsen und deren Ausdehnung keinerlei Hindernissen begegnet. Regelmäßig erbaut, von einander rechtwinkelig kreuzenden Straßen durchschnitten und von schönen Bäumen beschattet, besaß sie auch noch einen ausgedehnten Park, wie man deren ja in jeder amerikanischen Stadt antrifft. Süßwasser erhielt sie mehr als ausreichend aus einem vier Meilen entfernten Sammelbecken, das aus den besten Quellen der Insel gespeist wurde.


Der »Saint Enoch« konnte leicht mit dem nöthigen Holzvorrath versorgt werden. (S. 86.)
Der »Saint Enoch« konnte leicht mit dem nöthigen Holzvorrath versorgt werden. (S. 86.)

Der im Hintergrunde einer kleinen Bai geschützt liegende Hafen von Victoria nimmt eine sehr vortheilhafte Stelle ein, da sich hier die Juan de Fucastraße und der Königin Charlottensund begegnen. Die Schiffe können ihn deshalb ebensogut von Westen wie von Nordwesten her erreichen. Sein Seeverkehr wird in Zukunft gewiß noch weiter zunehmen und wahr scheinlich die gesammte Schiffahrt eines weiten Umkreises auf sich lenken.

Hier verdient auch erwähnt zu werden, daß der Hafen schon zu jener Zeit reichliche Hilfsmittel bot für die Ausbesserung von Schiffen, die auf der langen und meist beschwerlichen Fahrt hierher irgendwelche Schäden erlitten hatten. Hier fanden sie ein gut ausgestattetes Seearsenal, Waarenniederlagsräume und hatten auch ein Becken zum Kielholen zur Verfügung.

Der Kapitän des »Iving« hatte Bourcart ganz zutreffend berichtet. Der Preis des Thrans war zur Zeit recht hoch und der »Saint Enoch« traf gerade noch rechtzeitig ein, daraus Nutzen zu ziehen. Recht lebhafte Nachfrage herrschte nicht allein in Vancouver, sondern auch in New-Westminster, einer bedeutenden Stadt Columbias am Golfe von Georgien, etwas nordöstlich von Victoria.

Zwei Walfänger, der amerikanische »Flower« und der norwegische »Fugg« hatten ihre Ladung schon verkauft und waren – wie es der »Saint Enoch« beabsichtigte – schon zum Fischfang im Norden des Stillen Oceans weiter gesegelt.

Die Geschäfte des »Saint Enoch« kamen also zwischen dem Mäkler Hope und dem Kapitän Bourcart bald zum Abschluß. Die Ladung wurde zu einem Preise verkauft, der früher noch nie erzielt worden war und auf keinem Markte Europas erreicht worden wäre. Nun handelte es sich also nur noch darum, die Fässer auszuladen und nach der Niederlage zu schaffen, wo sie dem Käufer überliefert werden sollten.

Bourcart begab sich von dem Mäkler sofort an Bord zurück.[83]

»Heurtaux, sagte er hier zu seinem Obersteuermann, das Geschäft ist abgeschlossen und wir können uns wirklich Glück wünschen, den Rath des wackeren Kapitäns vom »Iwing« befolgt zu haben.

– Thran und Barten, Herr Bourcart?...

– Thran und Barten, an eine columbische Firma in New-Westminster verkauft.

– So können unsere Leute also mit dem Löschen beginnen?

– Gleich heute, sie werden tüchtig zufassen müssen, denn unser Schiff, das erst noch gekielholt werden muß, muß binnen einem Monat zur Weiterfahrt bereit sein.

– Alle Mann an Deck!« rief der Obersteuermann, von dem der Meister Ollive die weiteren Befehle empfing.

Siebzehnhundert Faß auszuladen, ist eine Arbeit, die mindestens acht Tage beansprucht, selbst wenn sie gut geregelt und schnell ausgeführt wird. Die Winden wurden also über den Luken aufgestellt, und die Hälfte der Mannschaft begab sich in den Raum hinunter, während die andere Hälfte auf dem Deck thätig sein sollte. Auf den guten Willen und den Eifer der Leute konnte man schon zählen, so daß es nicht nöthig wurde, fremde Hafenarbeiter heranzuziehen.

Wenn hierbei einer tüchtig zu thun hatte, war es gewiß Jean-Marie Cabidoulin. Er ließ kein Faß emporwinden, ohne es sorgfältig untersucht und sich überzeugt zu haben, daß es ganz voll wäre und zu keiner Reclamation Anlaß geben könne. Fortwährend stand er, mit dem Klöpfel in der Hand, an den Aufzugstellen und führte einen kurzen Schlag gegen jedes Faß. Wegen des Thranes selbst brauchte er sich keine Sorge zu machen, der war von ausgezeichneter Qualität.

Die Entladung erfolgte also unter der größten Vorsicht, und die Arbeit wurde eine Woche lang eifrig fortgesetzt.

Mit der Löschung der Fracht waren die Aufgaben des Meisters Cabidoulin freilich noch nicht erledigt. Er mußte an Stelle der früheren, gefüllten auch für leere Fässer zur zweiten Fangreise sorgen. Glücklicherweise fand Bourcart in einer Niederlage von Victoria einen genügenden Vorrath von solchen, den er zu mäßigem Preise erwerben konnte. Immerhin mußten diese Fässer mehrfach ausgebessert werden. Ein schweres Stück Arbeit, wozu die Tagesstunden kaum genügten, und wenn der Tonnenbinder dabei einmal heimlich und das anderemal lauter knurrte und murrte, so geschah das doch immer in Begleitung zahlloser[84] Klöpfelschläge, die von ihm, dem Schmied Thomas oder dem Zimmermann Ferut herrührten.

Als der Frachtraum des »Saint Enoch« vollständig entleert war, ging man daran, diesen selbst und die Wegerung des Innern sorgsam zu reinigen.

Das Schiff war inzwischen vom Bollwerk nach dem Becken zum Kielholen geschleppt worden. Sein Rumpf mußte ja auch äußerlich untersucht werden, ob er nicht vom schweren Seegange hier oder da gelitten hätte. Der Obersteuermann und der Oberbootsmann nahmen diese Besichtigung vor, und auf beide konnte sich der Kapitän Bourcart ruhig verlassen.

Eigentliche ernstere Beschädigungen wurden nicht vorgefunden; es machten sich nur wenige leichtere Ausbesserungen nöthig; so waren zwei oder drei Streifen des Kupferbeschlags zu ersetzen, einige Holzpflöcke an der Bordwand und am Schiffsgerippe zu erneuern, vereinzelte Nahtstellen frisch mit getheertem Hanf zu kalfatern, und endlich erschien ein frischer Anstrich des oberen Theiles der Schiffswände wünschenswerth. Diese Arbeiten wurden mit großer Schnelligkeit ausgeführt. Voraussichtlich verlängerte sich der Aufenthalt in Vancouver also nicht über die dafür vorgesehene Zeit hinaus.

Natürlich gab Bourcart seiner Befriedigung darüber Ausdruck, und der Doctor Filhiol sagte wieder holt zu ihm:

»Sie haben eben Glück, Kapitän, viel Glück... und wenn das anhält...

– Das wird es, lieber Filhiol; ja, wissen Sie, was sogar geschehen könnte...

– Bitte... was denn?

– Daß der »Saint Enoch« in zwei Monaten, nach seiner zweiten Campagne, nach Victoria zurückkäme, um eine neue Ladung zu demselben guten Preise zu verkaufen!... Wenn die Wale bei den Kurilen und im Ochotskischen Meere nicht gar zu wild sind...

– Oho, Kapitän, könnten sie denn eine schönere Gelegenheit finden, sich fangen zu lassen und Ihnen Thran zu vortheilhafteren Preisen zu liefern?

– Ich glaube kaum, antwortete Bourcart lachend, nein, ich glaub' es kaum.«

Es wurde schon erwähnt, daß der Doctor Filhiol seine Ausflüge in der Umgebung der Stadt nicht so weit hatte ausdehnen können, wie er es gewünscht hätte, doch schon in der Nachbarschaft der Küste begegnete er wiederholt einzelnen Eingebornen. Diese gehörten nicht gerade zu den schönsten Vertretern der Rasse der Rothhäute, wie man solche noch immer im Fernen Westen Nordamerikas[85] antrifft. Hier waren es plumpe, im Auftreten tölpelhafte Geschöpfe mit häßlichem Gesichte, großen, mißgebildeten Köpfen, kleinen Augen, mit breitem Munde und widerlich aussehender Nase, deren Flügel sie mit Metallringen oder Holzspeilern durchbohrt hatten. Und als ob die natürliche Häßlichkeit ihnen noch nicht genügte, haben sie außerdem die Gewohnheit, bei religiösen Feiern und bei Festlichkeiten das Gesicht mit einer noch abstoßenderen, hölzernen Maske zu bedecken, die, durch Schnurenzug gleichsam belebt, die abscheulichsten Fratzen schneidet.

In der Nähe Victorias und auch weiter im Innern trägt die Insel prächtige Waldungen, die vor allem reich an Fichten und Cypressen sind. Der »Saint Enoch« konnte deshalb leicht mit dem nöthigen Holzvorrath versorgt werden, da das nur die Mühe des Fällens und des Transportes der Bäume kostete. Auch Wild gab es in großer Menge. Heurtaux gelang es, in Begleitung des Lieutenants Allotte, verschiedenes Damwild zu erlegen, das dem Koch für den Mittagstisch der Officiere und der Mannschaft sehr willkommen war. Daneben gab es in den Wäldern Wölfe, Füchse und die sehr scheuen und schwierig zu erlangenden Hermeline, denen wegen ihres werthvollen Felles gerade besonders eifrig nachgestellt wurde. Endlich hüpften Eichhörnchen mit stark buschigem Schweife in großer Zahl zwischen den Bäumen umher.

Sein längster Ausflug führte den Doctor Filhiol nach Nanaimo, wohin er sich zu Wasser auf einem kleinen Kutter begeben hatte, der eine regelmäßige Verbindung zwischen den beiden Städten unterhielt. Nanaimo war gegenwärtig freilich mehr ein Marktflecken, dessen Hafen vortreffliche Ankerplätze bot.

Sein Handel ist in ununterbrochener Zunahme begriffen. Die Ausfuhr besteht größtentheils in ausgezeichneter Steinkohle, die nach San Francisco, nach allen Häfen im Westen des Stillen Oceans, ja sogar nach China und den Sandwichinseln verfrachtet wird. Die Hudson Bai-Gesellschaft läßt die reichen Kohlenlager schon seit langer Zeit bearbeiten.

Gerade die Steinkohle – mehr als das Gold – bildet den großen, man könnte sagen unerschöpflichen Reichthum der Insel Vancouver. Ohne Zweifel sind auch weitere ergiebige Lagerstätten davon noch nicht entdeckt. Die von Nanaimo bieten der Ausbeutung keine Schwierigkeit und sichern dem Orte ein ferneres Gedeihen.

Die Gewinnung des Goldes in der Gegend des Caribu im britischen Columbien dagegen kommt recht theuer zu stehen, so daß man vielfach sagt, man müsse zwei Dollars aufwenden, um einen Dollar zu gewinnen.[86]

Als der Doctor Filhiol von diesem Ausfluge zurückkam, war der Rumpf des »Saint Enoch« schon mit einem neuen Anstrich bis hinauf zur Deckleiste versehen, die sich als weißer Streifen von der Bordwand abhob. Auch an den Segeln und dem Takelwerk waren einige Ausbesserungen ausgeführt worden, ebenso wie an den Booten, die durch Schwanzschläge von Walfischen zum Theil arg zugerichtet gewesen waren.

Jetzt wurde das Schiff wieder aus dem Becken geschleppt und legte sich mitten im Hafen noch einmal vor Anker. Seine Abreise wurde auf den 19. Juli festgesetzt.

Zwei Tage vor diesem Termine lief noch ein amerikanisches Schiff in die Bai von Victoria ein und ging eine halbe Kabellänge vom »Saint Enoch« vor Anker.

Es war der »Iving«, der aus der Bai Marguerite zurückkehrte. Der Leser erinnert sich wohl der Beziehungen zwischen seinem Kapitän und dem Kapitän Bourcart, die eben so herzlich waren, wie die zwischen den beiderseitigen Officieren und Mannschaften.

Sobald der »Iving« vertäut war, ließ sich dessen Kapitän Forth nach dem »Saint Enoch« übersetzen, wo ihm, schon aus Erkenntlichkeit für seine guten, so vorzüglich bewährten Rathschläge, der beste Empfang zutheil wurde.

Bourcart, der immer gern höflich war, wollte ihn zum Mittagessen zurückbehalten. Die Essensstunde kam heran, und Forth nahm die Einladung mit der Absicht an, sie am nächsten Tage an Bord des »Iving« zu erwidern.

In der Officiersmesse, wo sich Bourcart, Heurtaux, die beiden Lieutenants, der Doctor Filhiol und der amerikanische Kapitän vereinigt hatten, entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung. Diese betraf zuerst die Vorfälle während der Fahrt der beiden Schiffe von der Bai Marguerite nach der Insel Vancouver. Nachdem Bourcart dann mitgetheilt hatte, wie vortheilhaft er seine Ladung veräußert hätte, fragte er den Kapitän des »Iving«, ob der Walfang nach der Abfahrt des »Saint Enoch« wol noch ergiebig gewesen sei.

»Nein, antwortete Forth, es war nur eine mittelmäßige Campagne, und ich für meinen Theil habe nur ein Viertel meiner Fässer füllen können. Die Wale sind dort kaum jemals so selten gewesen...

– Das erklärt sich, fiel Heurtaux ein, vielleicht daraus, daß die jungen Thiere zu dieser Jahreszeit ihrer Mütter nicht mehr bedurften und wie diese die Bai verlassen hatten, um das offene Meer aufzusuchen.[87]

– Gewiß ist das ein, doch nur ein einzelner Grund, erwiderte Forth. Ich habe aber schon oft den Walfang in der Bai betrieben und erinnere mich nicht, sie jemals gegen Ende Juni so verlassen gefunden zu haben. Dieses Jahr vergingen ganze Tage, ohne daß die Boote ausgesendet werden konnten, obgleich das Wetter schön und die See meist ruhig war. Sie können sich Glück wünschen, Herr Bourcart, den Fang schon in den neuseeländischen Gewässern begonnen zu haben. In der Bai Marguerite hätten Sie keine volle Ladung bekommen.

– Jawohl, stimmte ihm Bourcart bei, um so mehr, als wir dort nur mittelgroße Wale zu Gesicht bekommen haben...

– Eigentlich wohl nur kleine, bemerkte Forth. Wir haben Thiere gefangen, die kaum dreißig Faß Thran lieferten.

– Sagen Sie, Kapitän, haben Sie auch die Absicht, Ihre Ladung auf dem Markte von Victoria abzusetzen?

– Gewiß, wenn hier noch gute Preise bezahlt werden.

– Das ist noch der Fall, und die schlechte Saison in der Bai Marguerite wird sie ja auch nicht zum Sinken bringen. Uebrigens erwartet man auch noch keine Zufuhren von den Kurilen, aus dem Ochotskischen Meere oder aus der Behringstraße.

– Natürlich jetzt noch nicht, meinte Heurtaux, da der Fang dort noch sechs Wochen oder zwei Monate fortdauert...

– Und davon erhoffen wir auch noch einen Antheil für uns! erklärte Romain Allotte.

– Sind denn, Kapitän Forth, fuhr der Lieutenant Coquebert fort, die anderen Walfänger in der Bai Marguerite mehr begünstigt gewesen als gerade Sie?

– O, auch nicht mehr, versicherte Forth. Als dann der »Iving« unter Segel ging, rüsteten sich die meisten anderen Schiffe ebenfalls, aufs hohe Meer hinauszugehen.

– Werden diese sich auch nach den Küsten Asiens wenden?

– Ich glaub' es wohl.

– So wird sich da drüben ja eine recht große Flotte ansammeln! rief der Lieutenant Coquebert.

– O, desto besser! jubelte Romain Allotte. Das ist doch erst eine Lust, wenn man zu Zweien oder Dreien hinter einem Walfisch her ist, wenn man sich ins Zeug legt, daß die Riemen zu brechen drohen. Und welche Ehre für das Boot, das dann zuerst an den Burschen herankommt...[88]

– Gemach, lieber Lieutenant, nur gemach! fiel im Bourcart in die Rede. Jetzt ist noch kein Walfisch in Sicht.

– Sie sind also, nahm Forth des Wort, zu einer zweiten Fangreise entschlossen?

– Ganz bestimmt.

– Und wann fahren Sie ab?

– Uebermorgen.

– Schon übermorgen?[89]

– Der »Saint Enoch« braucht nur noch die Anker zu lichten.


Mit Einbruch der Nacht begab sich Forth wieder nach seinem Schiffe. (S. 91.)
Mit Einbruch der Nacht begab sich Forth wieder nach seinem Schiffe. (S. 91.)

– Dann freut es mich desto mehr, sagte Forth, noch rechtzeitig eingetroffen zu sein, unsere Bekanntschaft zu erneuern, Kapitän, und noch einen Händedruck wechseln zu können.

– Und wir beglückwünschen uns ebenfalls, die freundlichen Beziehungen zu Ihnen wieder haben aufnehmen zu können, antwortete Bourcart. Wenn der »Iving« gerade in die Bai von Victoria eingelaufen wäre, während der »Saint Enoch« sie verließ, hätte das bei uns gewiß großes Bedauern erregt.«

Hierauf wurde vom Kapitän Bourcart und von seinen Officieren die Gesundheit des Kapitäns Forth in einer Weise ausgebracht, die deren lebhafte Sympathie für die amerikanische Nation bezeugte.

»Hätten wir uns übrigens, bemerkte dann Heurtaux, in Victoria nicht wiedergesehen, so hätten der »Saint Enoch« und der »Iving« doch vielleicht für die zweite Campagne in den Gewässern der Kurilen in Verbindung bleiben können?

– Ja freilich, Kapitän! sagte Bourcart. Sie beabsichtigen doch wohl auch, im Norden des Stillen Oceans Ihr Glück noch einmal zu versuchen?

– Das wird mir kaum möglich sein, meine Herren, antwortete Forth, der »Iving« würde auf den Fangplätzen jedenfalls zu spät eintreffen. In zwei Monaten beginnt schon die Eisbildung an der Behringstraße und im Ochotskischen Meere, und leider bin ich außer stande, schnell genug wieder in See zu gehen. Die Reparaturen am »Iving« werden voraussichtlich drei Wochen beanspruchen.

– O, das beklagen wir mit Ihnen, Herr Forth, versicherte der Kapitän Bourcart. Ich möchte aber noch auf einen Punkt zurückkommen, den Sie schon erwähnten und der gewiß einer Aufklärung bedarf.

– Was meinen Sie damit, Kapitän?

– Haben Sie nicht in der letzten Zeit unseres Aufenthaltes in der Bai Marguerite bemerkt, daß die Wale auffallend selten wurden und es eilig zu haben schienen, ins offne Meer zu entweichen?

– Ganz gewiß, Kapitän. Die Thiere entflohen unter sonst nicht gewohnten Umständen. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß sie eine außergewöhnliche Gefahr witterten, daß sie einer Empfindung des Schreckens folgten, als ob sie von einer Panik ergriffen wären. Sie erhoben sich weiter über die Wasserfläche und gaben Laute von sich, die ich bis dahin niemals gehört hatte.

– Das ist sehr sonderbar, ließ sich Heurtaux vernehmen, und Sie wissen auch keine Erklärung dafür?[90]

– Nein, meine Herren, erwiderte Forth, wenn nicht etwa ein fabelhaftes Ungeheuer...

– Ah, ich bitte Sie, Kapitän, fiel der Lieutenant Coquebert ein, wenn Meister Cabidoulin, unser Böttcher, Sie hörte, rief' er sicherlich gleich: »Sehen Sie... die große Seeschlange...!«

– Ja, lieber Lieutenant, gab Forth zur Antwort, ob es nun eine Schlange war oder nicht, was sie erschreckt hat, jedenfalls haben sich die Wale in größter Eile zu retten versucht.

– Schade, schade, fiel der Lieutenant Allotte ein, daß man den Canal der Bai Marguerite nicht hat zusperren können, um noch ein Dutzend von den Burschen einzufangen!

– Ich muß zugeben: daran hat allerdings niemand gedacht, antwortete Forth. Unsere Boote wären da wohl auch nicht ohne größere Beschädigung, vielleicht nicht ohne Menschenverluste davongekommen. Ich wiederhole aber, irgend etwas Ungewöhnliches ist dabei im Spiele gewesen.

– Da fällt mir ein, fragte jetzt Bourcart... was ist denn aus dem englischen Schiffe, dem »Repton« geworden? Hat es einen besseren Fang gehabt, als die anderen?

– Soweit ich es habe beobachten können, auch nicht, Kapitän.

– Meinen Sie, daß es noch in der Bai Marguerite zurückgeblieben ist?

– Es bereitete sich eben zur Abfahrt, als der »Iving« unter Segel ging...

– Um wohin zu steuern?

– Nach dem, was ich gehört habe, um seine Campagne im Nordwesten des Stillen Oceans fortzusetzen.

– Nun, meinte Heurtaux, ich wünschte wenigstens, es bliebe uns erspart, ihm noch einmal zu begegnen!«

Mit Einbruch der Nacht begab sich Forth wieder nach seinem Schiffe, wo er am nächsten Tage Bourcart nebst seinen Officieren gastlich empfing. Wiederholt kam da die Rede auf Verschiedenes, was sich in der Bai Marguerite zugetragen hatte. Als sich endlich die beiden Kapitäne von einander verabschiedeten, geschah es in der Hoffnung, daß der »Saint Enoch« und der »Iving« in Zukunft auf den Fangplätzen wieder zusammentreffen würden.[91]

Quelle:
Jules Verne: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 77-81,83-92.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon