Fünftes Kapitel.
Worin Mr. Dean Forsyth und der Doktor Sydney Hudelson trotz ihrer Bemühung etwas Weiteres über ihr Meteor doch nur aus den Tageszeitungen erfahren.

[47] Auf die beiden vorstehenden Briefe, die eingeschrieben und dreimal versiegelt an die Adresse der Direktoren der Sternwarten von Pittsburg und Cincinnati abgesendet worden waren, sollte die Antwort nur in einer Mitteilung über deren Eingang und ihre Eintragung in die betreffenden Akten bestehen. Mehr verlangten ja die Absender nicht. Beide rechneten darauf, das Meteor bald wieder zu finden. Daß dieses Asteroid sich in den Weltraum so weit verirrt haben sollte, daß es der Anziehungskraft der Erde entzogen bliebe und folglich in der sublunarischen Welt niemals wieder gesehen werden könnte, das wehrten sie sich zu glauben. Nein, den bestehenden Naturgesetzen unterworfen, mußte es über dem Horizont von Whaston wieder auftauchen, wo man es nochmals beobachten und anmelden, sowie seine Koordinaten bestimmen könnte, und worauf es dann auf den Namen seines berühmten Entdeckers getauft würde.

Ja, wer war aber dieser Entdecker? Eine sehr heikle Frage, deren Beantwortung auch einen weisen Salomo in Verlegenheit gesetzt hätte. Am Tage der Wiederkehr des Meteors würden ja zwei diese Ehre in Anspruch nehmen. Wenn Francis Gordon und Jenny Hudelson die Gefahr der gegenwärtigen Sachlage gekannt hätten, würden sie sicherlich den Himmel angefleht haben, es so zu gestalten, daß ihre Vereinigung vor dem Wiedererscheinen des unheildrohenden Meteors stattgefunden hätte.

Und ebenso sicher würden sich Mrs. Hudelson, Loo, Mitz und alle Freunde der beiden Familien ihrem Gebete angeschlossen haben.

Doch niemand wußte etwas, und trotz der zunehmenden Zerstreutheit der beiden Rivalen, die man wohl wahrnehmen, aber nicht erklären konnte, beunruhigte sich in dem Hause der Morrißstraße außer dem Doktor Hudelson kein Mensch über das, was in den Tiefen des Firmamentes vorging. Besorgnisse hatte niemand, dringende Beschäftigung jeder.[47] Da waren Besuche zu empfangen und abzustatten, Einladungen auszusenden, Vorbereitungen zur Trauung und Auswahl vieler Geschenke zu treffen, alles Dinge, die nach der Ansicht der kleinen Loo den Arbeiten des Herkules vergleichbar waren und bei denen keine Stunde verloren werden durfte.

»Nun ja, wenn man seine erste Tochter verheiratet, da ist das eine große Aufgabe, sagte sie, da fehlt's noch an der Übung. Bei mir wird sich das später ganz allein machen.


Dean Forsyth.
Dean Forsyth.

– Oho, erwiderte Francis Gordon, sollte unser Fräulein Loo schon ans Heiraten denken? Wer ist denn der glückliche Sterbliche?

– Bekümmern Sie sich darum, meine Schwester zu freien, gab ihm das Mägdlein zurück, das nimmt schon Ihre ganze Zeit in Anspruch. Mischen Sie sich[48] aber nicht in Dinge, die mich angehen!«


Der Doktor Sydney Hudelson.
Der Doktor Sydney Hudelson.

Ihrem Versprechen gemäß begab sich Mrs. Hudelson nach dem Hause in der Lambethstraße. Was den Doktor betraf, wäre es töricht gewesen, auf ihn zu rechnen.[49]

»Was du tust, wird ja gut sein, liebe Flora, ich verlasse mich ganz auf dich, hatte er auf die Aufforderung, die zukünftige Wohnung des jungen Ehepaares zu besichtigen, geantwortet. Übrigens geht das doch vor allem Francis und Jenny an.

– Aber, Papa, sagte Loo, denkst du denn auch nicht am Hochzeitstage von deinem Turme herunterzukommen?

– O doch, Loo; das versteht sich.

– Und dich, deine Tochter am Arm, in der Saint-Andrew-Kirche zu zeigen?

– Natürlich, Loo, ganz gewiß.

– Und zwar in schwarzem Rock und weißer Weste, in schwarzen Beinkleidern und weißer Krawatte?

– Ja ja, Loo.

– Wirst du dich da nicht einmal entschließen können, deine Planeten zu vergessen, um der Traurede des Reverend O'Garth zu lauschen, die der jedenfalls tief erregt halten wird?

– Gewiß, Loo. So weit sind wir aber noch nicht. Und da der Himmel klar ist, was ja jetzt so selten vorkommt, so geht nur ohne mich.«

Mrs. Hudelson, Jenny, Loo und Francis Gordon ließen also den Doktor sich mit seinem Fernrohre und seinem Teleskop beschäftigen, während Mr. Dean Forsyth – das unterlag keinem Zweifel – in dem Turme der Elisabethstraße mit seinen Instrumenten dasselbe vornahm. Würde diese zweifache Hartnäckigkeit vielleicht ihren Lohn finden und das schon einmal gesehene Meteor, wär's auch nur eine Sekunde, vor dem Objektive der Apparate vorüberziehen?

Um zu dem Hause in der Lambethstraße zu gelangen, wendeten sich die vier »Inspizienten« die Morrißstraße hinunter und gingen über den Konstitutionsplatz, wo der liebenswürdige Richter John Proth die Gesellschaft begrüßte. Dann gingen sie – ganz wie es vor einigen Tagen Seth Stanfort getan hatte, als er Arcadia Walker erwartete – die Exeterstraße hinauf und kamen nun nach der Lambethstraße.

Darin war das gesuchte Haus eins der hübschesten und allen modernen Anforderungen entsprechend eingerichtet. An seiner Rückseite lagen ein Arbeitskabinett und ein Speisezimmer nach dem Garten zu, der zwar nicht groß, aber von laubreichen Buchen beschattet und mit herrlichen Blumenbeeten geschmückt war, worauf sich eben die ersten Frühlingsblumen entfalteten. Wirtschaftsräume[50] und Küche waren nach angelsächsischer Mode im lustigen hohen Keller untergebracht.

Das Erdgeschoß bildete mehr eine erste Etage, und Jenny konnte ihren Verlobten nur beglückwünschen, eine so anheimelnde Wohnstätte gefunden zu haben. Mrs. Hudelson teilte völlig die Ansicht ihrer Tochter und erklärte, etwas Besseres würde auch in keinem andern Teile von Whaston zu finden sein.

Dieses schmeichelhafte Urteil erschien noch mehr gerechtfertigt, als man nach dem obersten Stockwerk des Hauses gekommen war. Hier befand sich eine mit Geländer umgebene große Terrasse, von der aus sich dem Auge ein herrliches Panorama bot. Man konnte von da aus den Potomac stromauf- und stromabwärts übersehen und über diesen hinaus auch noch den Flecken Steel erkennen, aus dem Miß Arcadia Walker gekommen war, als sie mit Seth Stanfort in Whaston zusammentraf.

Hier lag die ganze Stadt vor dem Blicke ausgebreitet mit den Glockentürmen ihrer Kirchen, den hohen Dächern der öffentlichen Gebäude und mit den grünenden Wipfeln fast zahlloser Bäume.

»Da ist der Konstitutionsplatz, rief Jenny, die sich eines Opernguckers bediente, der auf Anraten Gordons mitgenommen worden war, und dort die Morrißstraße... ich sehe auch unser Haus mit dem Turme und der darüber im Winde flatternden Fahne. Sieh – sieh, da ist jemand oben auf dem Turme.

– Natürlich der Papa! erklärte Loo ohne Zögern.

– Es kann ja kaum jemand anders als er sein, sagte Mrs. Hudelson.

– Er ist es bestimmt, versicherte das junge Mädchen, die sich ohne weiters des Opernguckers bemächtigt hatte. Ich erkenne ihn deutlich. Er sitzt vor seinem Fernrohre. Ihr könnt euch aber leicht überzeugen, daß ihm gar nicht der Gedanke kommt, es auf uns zu richten. Ja, wenn wir auf dein Monde wären!

– Da Sie Ihr Haus sehen können, Fräulein Loo, unterbrach sie Francis, so können Sie wahrscheinlich auch das meines Onkels sehen, nicht wahr?

– Jedenfalls, antwortete die Kleine, warten Sie, ich werde danach suchen, ich werde es ja leicht an seinem Turme erkennen. Es muß doch nach dieser Seite zu liegen. Halt! Richtig, da hab' ich es schon!«

Loo täuschte sich nicht... sie sah richtig das Haus Mr. Dean Forsyths.

»Auch da ist jemand auf dem Turme, fuhr sie nach kurzem Hinsehen fort.

– Sicherlich mein Onkel, meinte Francis.

– Er ist aber nicht allein.[51]

– Ja ja, Omikron wird bei ihm sein.

– Was die beiden machen, danach braucht man nicht erst zu fragen, sagte Mrs. Hudelson.

– Doch dasselbe wie mein Vater«, setzte Jenny mit einem Anflug von Traurigkeit hinzu, denn die heimliche Rivalität zwischen Mr. Dean Forsyth und Mr. Hudelson erfüllte sie schon längst mit einer gewissen Unruhe.

Nach beendigter Umschau im Hause und nachdem Loo noch einmal ihre vollste Befriedigung darüber ausgesprochen hatte, kehrten Mrs. Hudelson, ihre zwei Töchter und Francis Gordon nach dem Hause in der Morrißstraße zurück. Schon am folgenden Tage sollte mit dem Eigentümer der Mietkontrakt abgeschlossen werden, und dann gedachte man sich mit der Anschaffung der nötigen Möbel zu beschäftigen, damit alles am 15. Mai in bestem Stande wäre.

Im Laufe dieser Zeit verloren Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson gewiß keine Stunde. Doch welche leibliche und geistige Erschöpfung kosteten ihnen die an allen klaren Tagen und in allen heiteren Nächten fortgesetzten Beobachtungen, das Nachsuchen nach ihrer Feuerkugel, die sich darauf versteifte, nicht wieder über dem Horizonte der Stadt aufzuleuchten!

Bisher verschwendeten die beiden Astronomen, trotz ihrer Beharrlichkeit, alle Mühe vergeblich. Weder am Tage noch in der Nacht hatte das Meteor bei einem Vorübergange über Whaston beobachtet werden können.

»Wird es überhaupt hier vorüberkommen? seufzte zuweilen Dean Forsyth, wenn er lange Zeit vor dem Okular seines Teleskops gesessen hatte.

– Das wird es, antwortete dann Omikron mit unerschütterlicher Zuversicht. Ja, ich möchte sagen: es geht schon hier vorüber.

– Warum sehen wir es dann aber nicht?

– Einfach, weil es jetzt unsichtbar ist.

– Das ist rein zum verzweifeln! stieß dann Dean Forsyth hervor. Doch wenn es für uns unsichtbar ist, wird's das auch für die ganze Erde sein... wenigstens für Whaston.

– Unzweifelhaft!« versicherte Omikron.

So sprachen der Herr und der Diener sich wiederholt aus, und ihre Worte hätte man, nur in der Form eines Monologs, ebenso von dem wegen seines Mißerfolges verzweifelten Doktor Hudelson wieder hören können.

Beide hatten von den Observatorien in Pittsburg und Cincinnati auf ihre Briefe Antwort erhalten. Man hatte dort die Mitteilung über das Auftauchen[52] einer Feuerkugel am 16. März über der nördlichen Himmelshälfte von Whaston gebührend angemerkt. Dazu war noch geschrieben, daß es bisher unmöglich gewesen sei, den betreffenden Himmelskörper aufzufinden; Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson sollten aber sofort Nachricht erhalten, wenn er sich wieder zeigte.

Natürlich hatten die Direktoren der Sternwarten jeder für sich geantwortet; es war ihnen ja nicht bekannt, daß von zwei Amateur-Astronomen sich jeder die Ehre der Entdeckung zuschrieb und die der Priorität beanspruchte.

Nach dem Eingange dieser Antworten hätte man ja auf dem Turme der Elisabethstraße, wie auf dem der Morrißstraße auf weitere ermüdende Nachforschungen verzichten können. Die Sternwarten besaßen doch mächtigere und auch bessere Instrumente, und wenn jenes Meteor nicht ein kometenähnlicher Körper war, sondern sich in einer mehr geschlossenen Bahn bewegte, würde es mit den Fernrohren in Pittsburg und Cincinnati beim Vorübergange schon aufgefunden werden. Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson hätten also gut daran getan, das weitere den beiden berühmten Anstalten zu überlassen.

Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson waren aber nun einmal Astronomen, doch keine Philosophen, und so setzten sie denn ihre Arbeit unbeirrt fort, ja sie widmeten ihr jetzt womöglich noch mehr Eifer. Ohne einander etwas von ihren Gedanken zu verraten, hatten sie doch eine Ahnung davon, beide demselben Wild nachzustellen, und die Befürchtung, dabei einer vom andern überholt zu werden, verhinderte sie, auch nur einen Augenblick zu rasten. Die Eifersucht nagte ihnen am Herzen, und die beiden Familien litten nicht wenig wegen dieses Wetteifers.

Es lag auch Grund genug zur Beunruhigung vor. Ihre trüben Ahnungen verkörperten sich von Tag zu Tag mehr, und Mr. Dean Forsyth sowie der Doktor Hudelson, früher zwei so vertraute Freunde, überschritten keiner mehr die Schwelle des andern.

Das brachte die beiden Verlobten in eine recht peinliche Lage. Sie sahen einander ja trotzdem alle Tage, denn die Türe des Hauses in der Morrißstraße stand für Francis Gordon offen wie bisher. Mrs. Hudelson kam diesem immer mit demselben Vertrauen, derselben Freundlichkeit entgegen, sie fühlte aber recht wohl, daß der Doktor dessen Anwesenheit nur mit heimlichem Unwillen betrachtete. Es wirkte jetzt ganz anders als sonst, wenn Mr. Dean Forsyth erwähnt wurde: da wurde Sydney Hudelson erst ganz blaß, dann puterrot und seine Augen[53] schossen Blitze, die er freilich bald durch das Niederschlagen der Lider verdeckte, und diese beklagenswerten Erscheinungen, die Folgen einer gegenseitigen Antipathie, hätte man ganz ebenso bei Mr. Dean Forsyth beobachten können.

Mrs. Hudelson hatte vergeblich versucht, die Ursache der Erkältung – noch mehr: dieser Aversion – kennen zu lernen, die zwischen den beiden alten Freunden eingetreten war. Ihr Gatte antwortete dann aber auf eine diesbezügliche Frage:

»Das ist unnütz! Du würdest es doch nicht verstehen; ich hätte mich aber eines solchen Benehmens seitens Forsyths nicht versehen!«

Welches Benehmens? Eine Erklärung hierüber war nicht zu erlangen. Selbst Loo, das verhätschelte Kind, wußte nichts. Sie hatte allerdings vorgeschlagen, Mr. Forsyth bis in seinen Turm hinauf aufzusuchen; Francis hatte ihr aber diesen kühnen Gedanken ausgeredet.

»Nein, ich hätte niemals geglaubt, daß Hudelson mir gegenüber eines solchen Benehmens fähig wäre!« so würde ohne Zweifel – ganz entsprechend der des Doktors – die einzige Antwort des Oheims Francis Gordons gelautet haben.

Einen Beweis dafür lieferte die Art und Weise, wie Mr. Dean Forsyth einmal Mitz abgefertigt hatte, als diese sich eine bezügliche Frage erlaubte.

»Kümmern Sie sich allein um Ihre eignen Angelegenheiten!« hatte er ihr trocknen, mürrischen Tones geantwortet.

Wenn es Mr. Dean Forsyth aber wagte, der »furchtbaren« Mitz so entgegenzutreten, mußte er dafür sehr schwerwiegende Gründe haben.

Mitz fühlte sich dadurch »bis auf die Knochen beleidigt« – um einen ihrer Kraftausdrücke zu gebrauchen – und sie versicherte, daß sie sich fast hätte »die Zunge abbeißen« müssen, um sich nicht gegen eine so unverantwortliche Zurechtweisung zu verteidigen. Ihr Urteil über ihren Herrn stand aber fest und sie machte auch kein Geheimnis daraus. Für sie war Mr. Forsyth ein Narr, was schon ganz einfach durch die unbequeme Lage bewiesen würde, die er einhalten mußte, wenn er durch seine Instrumente sah, vorzüglich wenn ihn Beobachtungen am Zenith zwangen, den Kopf übermäßig zurückzubeugen. Mitz nahm an, daß sich Mr. Forsyth durch diese Haltung etwas in der Wirbelsäule gebrochen haben müsse.

Niemals bleibt nun aber ein Geheimnis so sorgfältig bewahrt, daß nicht gelegentlich etwas davon durchsickerte. So erfuhr man denn schließlich durch[54] eine kleine Indiskretion Omikrons, um was es sich hier handelte. Sein Herr hatte eine ganz außergewöhnliche Feuerkugel entdeckt und befürchtete, daß diese Entdeckung auch von dem Doktor Hudelson gemacht worden wäre.

Das war also die Ursache dieses lächerlichen Zwiespaltes! Ein Meteor, eine Feuerkugel, ein Aerolith, eine Sternschnuppe, ein Stein, vielleicht ein großer, aber doch nur ein Stein, ein simpler Kiesel, an dem der Hochzeitswagen für Francis und Jenny zu zerschellen drohte!

Loo genierte sich auch gar nicht, »alle Meteore und mit ihnen die gesamte Himmelsmechanik zum Teufel« zu wünschen.

Inzwischen verstrich die Zeit... Tag um Tag wich der März mehr zurück um dem April Platz zu machen. Bald nahte der für die Trauung festgesetzte Termin heran. Würde bis dahin aber nichts geschehen? Bisher ruhte jene beklagenswerte Rivalität nur auf Vermutungen, auf Hypothesen. Was würde aber die Folge sein, wenn ein unerwarteter Zwischenfall sie an den hellen Tag brachte, wenn die beiden Rivalen etwa in einem Streite aneinanderprallten?

Diese sehr begründeten Befürchtungen hatten die Vorbereitungen zur Hochzeit bisher noch nicht unterbrochen. Alles würde zu jenem Tage fertig sein, auch das schöne Kleid der mutwilligen Loo.

Die ersten vierzehn Tage des April verliefen unter abscheulichen Witterungsverhältnissen; mit Regen, Wind und einem Himmel, an dem dicke Wolken einander jagten. Die Sonne, die am Firmament schon einen hohen Bogen beschrieb, und der fast volle Mond, der die Erde mit seinen Strahlen hätte beleuchten können, ließen sich ebensowenig erblicken wie a fortiori das unauffindbare Meteor.

Mrs. Hudelson, Jenny und Francis Gordon hatten sich wegen der Unmöglichkeit jeder astronomischen Beobachtung gerade nicht zu beklagen, und selbst Loo, sonst eine Feindin des Windes und Regens, hätte sich jetzt über einen blauen Himmel nicht so aufrichtig gefreut wie über die Fortdauer des schlechten Wetters.

»Wenn's nur wenigstens bis zur Hochzeit anhält, rief sie, und man die nächsten drei Wochen keine Sonne, keinen Mond und nicht das winzigste Sternchen sieht!«

Zur großen Enttäuschung Loos änderte sich aber das Wetter und die atmosphärischen Verhältnisse schlugen in der Nacht vom 15. zum 16. ins Gegenteil um. Eine nördliche Brise vertrieb alle Dunstmassen und der Himmel zeigte sich bald in voller Reinheit.


... bei denen keine Stunde verloren werden durfte. (S. 48.)
... bei denen keine Stunde verloren werden durfte. (S. 48.)

Mr. Forsyth auf seinem Turme und der Doktor Hudelson auf dem seinigen gingen sofort wieder daran, das Firmament über Whaston vom Horizont bis zum Zenith abzusuchen.

Zog denn das Meteor jetzt vor ihren Fernrohren vorüber?... Das schien offenbar, nach den sauertöpfi[55] schen Mienen der beiden Männer zu urteilen, nicht der Fall zu sein. Ihre gleichmäßig schlechte Laune deutete auf ein doppeltes und gleichmäßiges Mißgeschick. Diese Anschauung wäre auch richtig gewesen. Nein, Mr. Sydney Hudelson hatte am Himmel nichts gesehen, und Mr. Dean Forsyth auch nicht mehr.


Hier befand sich eine mit Geländer umgebene Terrasse... (S. 51.)
Hier befand sich eine mit Geländer umgebene Terrasse... (S. 51.)


[57]

Sollte es sich hierbei also wirklich um ein umherschweifendes Meteor handeln, das der Anziehungskraft der Erde für immer entwichen wäre?

Ein kleiner Artikel in den Journalen vom 19. April sollte sie hierüber aufklären.

Die von der Sternwarte in Boston ausgegangene Mitteilung hatte folgenden Wortlaut:

»Vorgestern, am Abend des 17. April, hat sich um neun Uhr und neunzehn Minuten neun Sekunden eine Feuerkugel von außergewöhnlicher Größe gezeigt, die über den westlichen Teil des Himmels mit ungeheurer Schnelligkeit hinflog.

Ein merkwürdiger Umstand, dazu angetan, der Eigenliebe der Stadt Whaston zu schmeicheln, war dabei der, daß dieses Meteor am gleichen Tage (am 16. März) und genau zur gleichen Zeit von zwei ihrer hervorragendsten Bürger entdeckt worden zu sein scheint.

Nach einer Mitteilung der Sternwarte in Pittsburg wäre dieser Himmelskörper der, dessen Erscheinen Mr. Dean Forsyth an diese gemeldet hatte, und nach der Sternwarte von Cincinnati derselbe, von dem bei dieser an demselben Tage von Doktor Sydney Hudelson eine völlig gleiche Meldung eingegangen war. Die Herren Dean Forsyth und Sydney Hudelson wohnen beide in Whaston, wo sie sich der größten Hochachtung ihrer Mitbürger erfreuen.«

Quelle:
Jules Verne: Die Jagd nach dem Meteore. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCIII, Wien, Pest, Leipzig 1909, S. 47-59.
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