Sechstes Kapitel.
Das einige mehr oder weniger phantastische Variationen über die Meteore im allgemeinen und über die Feuerkugel der Herren Forsyth und Sydney Hudelson im besondern enthält.

[59] Wenn jemals ein Erdteil auf eins seiner Gebiete stolz sein kann, wie ein Vater auf eins seiner Kinder, so ist es Amerika. Wenn jemals eine Republik stolz sein kann auf einen der zu ihr gehörenden Staaten, so sind das die Vereinigten Staaten. Wenn jemals einer der einundfünfzig Staaten, deren einundfünfzig[59] Sterne in der Ecke der Bundesflagge glänzen, auf seine Hauptstadt stolz sein kann, so ist es Virginien mit seiner Hauptstadt Richmond. Und wenn endlich eine Stadt Virginiens auf eine ihrer Schwesterstädte stolz sein kann, so trifft das für Whaston zu, wo jene hochwichtige Entdeckung gemacht worden war, die einen hervorragenden Platz in den astronomischen Annalen des Jahrhunderts einnehmen sollte.

Das war wenigstens die einstimmige Überzeugung der Bewohner Whastons.

Natürlich veröffentlichten die Zeitungen, vor allem die Whastons, höchst enthusiastische Artikel über Mr. Dean Forsyth und Doktor Hudelson. Der Ruhm der beiden berühmten Mitbürger strahlte auf die ganze Stadt zurück, so daß jedem ihrer Bewohner ein Teil davon zufiel. Der Name Whaston mußte ja unlösbar mit dieser Entdeckung verbunden bleiben.

Unter dieser amerikanischen Bevölkerung, wo Strömungen der öffentlichen Meinung so leicht und so kräftig hervorquellen, blieb die Wirkung jener dithyrambischen Artikel nicht lange aus. Den Leser kann das kaum wundern, und wenn es doch der Fall wäre, möge er uns aufs Wort glauben, wenn wir ihm versichern, daß sich die Bevölkerung seit jenem Tage in geräuschvoller, erregter Menge nach den Häusern der Morriß- und Elisabethstraße drängte. Von der zwischen Mr. Forsyth und Mr. Hudelson bestehenden Rivalität wußte natürlich keiner eine Silbe. Die allgemeine Begeisterung huldigte beiden gleichmäßig, das war nicht zu bezweifeln. Für alle waren und blieben ihre Namen unzertrennlich bis in fernste Zeiten, so unzertrennlich, daß die Geschichtsschreiber der Zukunft vielleicht verkünden würden, sie hätten nur einem einzigen Manne angehört.

Bis die Zeit einmal erlauben würde, was an diesen Hypothesen begründet war und was nicht, mußten Mr. Dean Forsyth auf seinem Turm und Mr. Sydney Hudelson auf seiner Warte erscheinen, um auf die Hochrufe der Menge zu danken. Auf die dröhnenden Hurras des Volkes dankten sie dann mit einer freundlichen Verneigung.

Ein scharfblickender Beobachter hätte jedoch bemerken müssen, daß ihre Haltung keine ungemischte Freude verriet. Über ihren Triumph zog ein Schatten hin, wie eine Wolke über die Sonne. Ein verstohlener Blick des ersten richtete sich nach der Warte und ein gleicher des zweiten nach dem Turme hin. Jeder sah da den andern auf die Jubelrufe der Whastonschen Bevölkerung antworten und fand die ihm dargebrachten für weniger harmonisch, während ihm die, die seinem Rivalen galten, nicht so disharmonisch klangen.[60]

In der Wirklichkeit glichen die Huldigungen einander vollkommen. Die Menge machte keinen Unterschied zwischen den beiden Astronomen. Dean Forsyth wurde nicht minder gefeiert als der Doktor Hudelson und umgekehrt, und auch von denselben Leuten, die immer von dem einen Hause zum andern zogen.

Was sagten aber nun während dieser Ovationen, die jedes Quartier der Stadt in Erregung versetzten, Francis Gordon und Mitz auf der einen und Mrs. Hudelson, Jenny und Loo auf der andern Seite? Befürchteten sie, daß die von der Bostoner Sternwarte in die Tageszeitung übergegangene Mitteilung unangenehme Folgen haben könnte? Was bisher ein Geheimnis gewesen war, war ja nun aller Welt kund geworden. Mr. Forsyth und Mr. Hudelson kannten ihre Rivalität jetzt sozusagen offiziell. War da nicht zu vermuten, daß beide, wenn auch nicht die Vorteile, so doch die Ehre ihrer Entdeckung für sich beanspruchen und daß daraus recht beklagenswerte Wirren für die beiden Familien entstehen würden?

Die Empfindungen Mrs. Hudelsons und Jennys während der Kundgebungen der Menge vor ihrem Hause kann man sich wohl leicht vorstellen. Während der Doktor nach der Plattform seiner Warte hinausgegangen war, hatten sie sich streng gehütet, auf ihrem Balkon zu erscheinen. Beklommenen Herzens hatten beide, gut verborgen hinter den Gardinen, diese Kundgebung mit angesehen, die ihnen nichts Gutes zu versprechen schien. Denn wenn Mr. Forsyth und Mr. Hudelson, angestachelt durch ein absurdes Gefühl von Eifersucht, sich um das Meteor stritten, lag es ja nahe, daß die Volksmenge schließlich für den einen oder den andern Partei ergreifen würde. Wahrscheinlich hatte dann jeder seine Parteigänger, doch wie würde sich bei der in der Stadt herrschenden Erregung die Lage der zukünftigen Ehegatten, dieses Romeo und dieser Julia, bei einem wissenschaftlichen Streite gestalten, der die beiden Familien zu Capulettis und Montaigus umwandelte?

Loo war schon geradezu wütend. Sie wollte am liebsten das Fenster aufreißen, die ganze Volksmenge scharf anreden, und sie bedauerte nur, keine kräftige Feuerspritze zur Verfügung zu haben, um den ganzen Menschenhaufen zu besprengen und seine Hurras unter kalten Wasserstrahlen zu ertränken. Ihre Mutter und ihre Schwester hatten die größte Mühe, die Entrüstung des wild aufbrausenden Mädchens zu zügeln.

In dem Hause der Elisabethstraße lagen die Dinge ganz ebenso. Auch Francis Gordon hätte diese Enthusiasten, die eine schon gespannte Lage noch[61] zu verschlimmern drohten, am liebsten zum Teufel gejagt. Ebenso ließ auch er sich nicht erblicken, während Mr. Forsyth und Omikron auf dem Turme alle Huldigungen mit verletzender Eitelkeit aufnahmen.

Und so wie Mrs. Hudelson der Ungeduld Loos hatte entgegentreten müssen, so mußte auch Francis Gordon die Wutausbrüche der schrecklichen Mitz bekämpfen. Diese sprach von nichts Geringerem, als die ganze Gesellschaft wegzufegen, und von ihrem Munde war das keine leere Drohung. Jedenfalls hätte das Handwerkszeug, das ihre Hände jeden Tag mit so großer Virtuosität benutzten, auch unter den Manifestanten gründlich aufgeräumt. Leute, die zu einer Ehrenbezeugung zusammengeströmt waren, mit dem Besenstiele zu verjagen, wäre aber doch etwas unpassend gewesen.

»Ach, mein Sohn, rief die alte Dienerin, sind die Schreihälse da draußen nicht die reinen Narren?

– Ja, das scheint mir freilich auch so, antwortete Francis Gordon.

– Und all dieser Aufruhr wegen eines großen Steines, der durch die Luft fliegt!

– Wie du sagst, Mitz.

– Um einen Auswürfling!

– Um ein Meteor, berichtigte sie Francis, der sich des Lachens kaum enthalten konnte.

– Es ist doch, wie ich sage, nur ein Auswürfling, wiederholte Mitz mit Überzeugung. Wenn er ihnen doch auf den Kopf fallen und ein halbes Dutzend von den Schreiern zu Boden schlagen wollte! Ich frage dich übrigens, du bist ja ein gelehrter Mann, wozu nützt ein solcher Auswürfling?

– Zwei Familien zu veruneinigen,« erklärte Francis Gordon, während von unten laute Hurras heraufschallten.

Warum sollten die beiden alten Freunde aber nicht dazu gelangen, sich sozusagen in ihre Feuerkugel zu teilen? Ein greifbarer Vorteil, ein pekuniärer Gewinn war doch bei der Sache nicht zu erhoffen, sondern es konnte nur von einer rein platonischen Ehre die Rede sein. Warum wollten sie also eine Entdeckung nicht ungeteilt lassen, mit der ihre Namen in alle Ewigkeit verknüpft bleiben würden? Warum?... Weil hier die Eigenliebe, die Eitelkeit dreinsprach. Wenn aber einmal die Eigenliebe im Spiele ist, wenn die Eitelkeit sich in eine Sache einmengt, wer könnte sich da schmeicheln, menschliche Wesen je zur Vernunft bekehrt zu haben?[62]

War es denn etwas so besonders Ruhmwürdiges, ein Meteor zuerst gesehen zu haben? Lief das nicht einzig auf einen Zufall hinaus? Wenn die Feuerkugel nun nicht so gefällig gewesen wäre, im Gesichtsfeld der Instrumente des Mister Dean Forsyth und des Mr. Sydney Hudelson gerade in der Zeit vorüberzuziehen, wo diese das Auge vor dem Okulare hatten, würde sie da von den beiden Astronomen gesehen worden sein, die jetzt um ihretwillen so viel Aufhebens machten? Und fliegen nicht Tag und Nacht Hunderte, Tausende solcher Feuerkugeln, Asteroiden oder Sternschnuppen am Himmel hin? Ist es überhaupt möglich, sie zu zählen, diese irrenden Himmelskörper, die wie ein Bienenschwarm ihre Straße am Firmament hinziehen? Sechshundert Millionen beträgt, nach Angabe der Gelehrten, die Zahl der Meteore, die jede Nacht in den Bereich der Erdatmosphäre kommen, das ergibt also für vierundzwanzig Stunden zwölfhundert Millionen! Sie streichen demnach myriadenweise vorbei, diese leuchtenden Körper, von denen – nach Newton – zehn bis fünfzehn Millionen für das unbewaffnete Auge erkennbar sein sollen.

»Eine Feuerkugel am Himmel zu entdecken, schrieb der ›Punsch‹, die einzige Zeitung Whastons, die die Sache von der lustigen Seite betrachtete, ist etwas weniger schwer, als ein Weizenkorn in einem Kleefelde zu finden, und man ist wohl berechtigt zu sagen, daß unsre beiden Astronomen das Tamtamschlagen etwas mißbrauchen wegen einer Entdeckung, die es gar nicht verdient, sich um ihretwillen aufs hohe Pferd zu setzen.«

Wenn der ›Punsch‹, ein satirisches Blatt, hier nicht die Gelegenheit verpaßte, seine humoristische Ader springen zu lassen, bemühten sich seine ernsteren Kollegen, eine Wissenschaft in den Himmel zu heben, in die die beiden Herren aus eigener Kraft so tief eingedrungen waren, und die sich als fähig erwies, den Neid der bestsituierten Berufsgelehrten zu erregen.

»Kepler, sagte der ›Whaston Standard‹, glaubte, daß die Feuerkugeln von Aushauchungen der Erde herrührten. Annehmbarer erscheint es, daß diese Körper nichts weiter als Aerolithen sind, deren heftige Verbrennung vielfach nachgewiesen worden ist. Seit den Zeiten des Plutarch betrachtete man sie schon als mineralische Massen, die auf die Erdkugel niederstürzen, wenn sie beim Vorüberfliegen in den Bereich ihrer Anziehungskraft kommen. Das Studium der Feuerkugeln hat gezeigt, daß ihre Substanz keineswegs von der der uns bekannten Mineralien verschieden ist und daß sie in der Hauptsache aus einfachen Stoffen bestehen. Doch welche Verschiedenheit zeigt die Agglomeration dieser Elemente! Zuweilen[63] zeigt das Gefüge ihrer Bestandteile das Bild von Feilspänen, zuweilen das von Erbsen oder kleinen Nüssen; oft sind diese Körper sehr hart und lassen Spuren von Kristallisation erkennen. Man findet auch solche, die einzig aus reinem (Magnet-) Eisen, manchmal mit einer Beimischung von Nickel, bestehen und an denen keine Spur von Oxydation zu finden ist.«

Was hier der »Whaston Standard« zur Kenntnis seiner Leser brachte, war ganz richtig. Der »Daily Whaston« hob wieder die Aufmerksamkeit hervor, die die Gelehrten des Altertums und der neueren Zeit stets dem Studium dieser meteorologischen Gesteine geschenkt haben. Er sagte:

»Erwähnt Diogenes von Apollonia nicht einen hellglühenden Stein, so groß wie ein Mühlstein, dessen Niederschlagen bei Ägos Potamos die Bewohner Thraziens furchtbar erschreckte? Wenn ein ähnlicher Himmelskörper auf den Turm der Saint-Andrewkirche niederfiele, würde er diesen von der Spitze bis zu den Grundmauern zerschmettern. Man erlaube uns bei dieser Gelegenheit, einige solcher Steine aufzuzählen, die, aus der Tiefe des Himmels kommend, in den Anziehungskreis der Erde gerieten und noch vor der christlichen Ära aufgefunden wurden; dazu gehören: der ›Blitzstein‹, den man in Galatia als das Symbol der Cybele verehrte und der später nach Rom gebracht wurde, ebenso wie ein andrer, den man in Syrien gefunden hatte und dem Kultus der Sonne weihte; ferner der ›Heilige Schild‹, der unter der Regierung Numas entdeckt worden war, der ›Schwarze Stein‹, den man in Mekka sorgsam aufbewahrt, der ›Donnerstein‹, aus dem man das Schwert Antars schmiedete usw. – Wie viele solcher Steine sind dann nach Beginn der christlichen Ära gefunden, von wie vielen die Umstände bei ihrem Falle geschildert worden! Da ist ein Stein von zweihundertsechzig Pfund, der bei Ensisheim im Elsaß gefallen war, ein metallschwarzer Stein, der die Form und Größe eines Menschenkopfes hatte und auf den Berg Vaison in der Provençe niedergefallen war. Ferner ein Stein von zweiundsiebzig Pfund, der einen schwefeligen Geruch ausströmte, als ob er aus Meerschaum bestände, und der bei Larini in Mazedonien gefunden wurde, weiter ein 1763 in Luré, nahe bei Chartres, niedergefallener Stein der noch so heiß war, daß man ihn unmöglich anrühren konnte. Hier darf auch die Feuerkugel nicht vergessen werden, die 1203 die normannische Stadt Laigle heimsuchte und von der A. v. Humboldt folgendes sagt: »Eine Stunde nach Mittag sah man eine große Feuerkugel sich von Südosten nach Nordwesten bewegen.[64]

Einige Minuten später hörte man, fünf bis sechs Minuten andauernd, eine Explosion aus einer schwarzen, fast stillstehenden kleinen Wolke, eine Explosion, der drei oder vier weitere Detonationen mit einem Geräusche folgten. das man mit dem Feuern einer Infanteriekolonne, untermischt mit lautem Trommelschlag, vergleichen konnte. Bei jeder Detonation schoß aus der schwarzen Wolke ein Teil der sie bildenden Dunstmasse hervor.


Die Menge machte keinen Unterschied zwischen den beiden Astronomen. (S. 61.)
Die Menge machte keinen Unterschied zwischen den beiden Astronomen. (S. 61.)

Ein Aufblitzen war dabei nicht zu bemerken gewesen. Darauf fielen über tausend Meteorsteine auf ein ovales Gebiet, dessen große, von Südosten nach Nordwesten gerichtete Achse elf Kilometer lang war. Die Steine rauchten ohne zu brennen, und man überzeugte sich, daß sie einige Tage nach ihrem Falle weit leichter zerbrechbar waren als später.«

In diesem Tone ging es beim »Daily Whaston« einige Spalten lang weiter, und das Blatt brachte eine Menge Einzelheiten, die mindestens für die sorgfältige Arbeit seiner Redakteure Zeugnis ablegten.

Die andern Journale blieben übrigens nicht zurück. Da die Astronomie jetzt auf der Tagesordnung stand, bildete sie das allgemeine Gespräch, und es würde jeder Whastonianer, der sich über die Frage der Feuerkugeln nicht unterrichtet erwiesen hätte, der allgemeinen Mißachtung verfallen sein.

Den Mitteilungen des »Daily Whaston« schlossen die »Whaston News« noch die ihrigen an. Sie erinnerten an die Feuerkugel, die 1254, doppelt so groß wie der Vollmond, nacheinander in Hurworth, in Darlington, Durham und in Dundee gesehen worden und ohne zu zerspringen von einem Horizont zum andern gezogen war, wobei sie einen langen, goldfarbig leuchtenden, breiten und dichten Schweif nach sich zog, der lebhaft von dem dunkelblauen Himmel abstach. Das Blatt erwähnte auch, daß, wenn die Hurworther Feuerkugel nicht explodierte, das nicht der Fall war mit der, die am 14. Mai 1864 in Castillon (Frankreich) beobachtet worden war. Obwohl dieses Meteor nur fünf Sekunden sichtbar blieb hatte es doch – so groß war seine Geschwindigkeit – einen Bogen von sechs Graden beschrieben. Seine erst blaugrüne Farbe verwandelte sich dabei zu einem leuchtenden Weiß. Zwischen seiner Explosion und dem Hörbarwerden des diese begleitenden Knalles waren zwischen drei und vier Minuten verlaufen, was also auf eine Entfernung von sechzig bis neunzig Kilometer hindeutete. Die Heftigkeit dieser Explosion muß demnach größer gewesen sein als die irgend einer solchen, die auf der Erde je vorgekommen ist. Der mit Berücksichtigung ihrer Höhenlage berechnete Durchmesser dieser Feuerkugel wurde auf fünfzehnhundert Fuß geschätzt, und sie mußte in der Sekunde über hundertdreißig Kilometer zurückgelegt haben d. i. mehr als viermal soviel wie die Erde in ihrer Bahn um die Sonne.[67]

Weiter ließen auch der »Whaston Morning« und ebenso der »Whaston Evening« von sich hören. Der Zweitgenannte behandelte vorzugsweise die Frage der – übrigens zahlreichen – fast ganz aus Eisen bestehenden Feuerkugeln. Er erinnerte seine Leser, daß man in einer Ebene Sibiriens eine solche meteorische Masse gefunden habe, die nicht weniger als siebenhundert Kilogramm wog, daß eine andere, in Brasilien entdeckte, ein Gewicht von sechstausend Kilogramm, eine dritte in Olympia, in der argentinischen Provinz Tucuman niedergegangene, ein solches von vierzehntausend Kilogramm hatte, und daß endlich eine letzte, die in der Nähe von Durango, in Mexiko, gefunden wurde, sogar neunzehntausend Kilogramm schwer war.

Es ist nicht zu viel gesagt mit der Behauptung, daß die Einwohnerschaft von Whaston bei der Durchlesung dieser Artikel recht gründlich erschrak. Das Meteor der Herren Forsyth und Hudelson mußte unter den Umständen und bei der sehr großen Entfernung, in der es gesehen worden war, die Feuerkugeln von Tucuman und Durango an Masse jedenfalls bedeutend übertreffen. Wer weiß denn, ob es an Größe nicht dem Aerolithen von Castillon gleichkam – wenn es diesen darin nicht noch übertraf – jener Feuerkugel, deren Durchmesser auf fünfzehnhundert Fuß geschätzt wurde. Wer kann sich das Gewicht einer solchen Masse vorstellen? Und wenn dieses Meteor schon im Zenith von Whaston erschienen war, mußte Whaston unbedingt in seiner Bahn liegen und es mußte deshalb auch wieder über die Stadt hinwegfliegen, wenn anders seine Bahn die Form eines geschlossenen Kreises hatte. Wenn es nun gerade in diesem Augenblick aus irgendwelchem Grunde in seinem Fluge aufgehalten wurde, mußte ja Whaston von ihm mit einer jeder Vorstellung spottenden Gewalt getroffen werden. Das wäre dann eine unübertreffliche Gelegenheit, den Bewohnern, die sie kannten, das schreckliche Gesetz der lebenden Kraft klar zu machen, und die, die sie vergessen hatten, eindringlich daran zu erinnern, das von der Masse multipliziert mit dem Quadrate der Geschwindigkeit, einer Geschwindigkeit, die nach den Fallgesetzen der Körper und für ein aus vierhundert Kilometer Höhe herabstürzendes Meteor in dem Augenblick, wo es auf der Erde zerschellte, nahezu dreitausend Meter in der Sekunde betragen würde.

Die Whastonsche Presse entzog sich dieser Pflicht (der Belehrung hierüber) nicht, und niemals – die Gerechtigkeit verlangt, das anzuerkennen – brachten die Tagesblätter eine solche Überfülle mathematischer Formeln wie jetzt.[68]

Allmählich verbreitete sich in der Stadt auch eine gewisse Besorgnis; die gefährliche und drohende Feuerkugel wurde auf jedem öffentlichen Platze, in den Vereinen wie im Schoße der Familien zum stehenden Thema jedes Gespräches. Vor allem träumten die Frauen schon von gar nichts anderem mehr als von zertrümmerten Kirchen und vom Boden weggefegten Häusern. Die Männer hielten es für anständiger, nur mit den Schultern zu zucken, sie taten das aber ohne wirkliche Überzeugung. Tag und Nacht, kann man sagen, blieben auf dem Konstitutionsplatze und in den höher gelegenen Stadtvierteln zahlreiche Gruppen ununterbrochen versammelt. Ob das Wetter trübe war oder nicht, machte dabei keinen Unterschied. Niemals hatten die Optiker so viele Fernrohre, Operngucker und andere optische Hilfsmittel verkauft. Nie war der Himmel von der Bevölkerung Whastons mit unruhigeren Augen betrachtet worden. Ob das Meteor sichtbar war oder nicht, die Gefahr blieb sich jede Stunde – um nicht zu sagen: jede Minute, jede Sekunde – gleich.

Nun wird man aber einwenden, daß diese Gefahr doch auch viele andere Gebiete und mit ihnen die in der Bahn des Meteors gelegenen Städte, Flecken, Dörfer und Weiler bedrohte. Ja, gewiß. Wenn die Feuerkugel, wie man das annahm, rund um die Erde zog, mußten alle unter dieser Kreisbahn gelegenen Punkte durch ihr Niederfallen bedroht sein. Jedenfalls hielt aber Whaston den Rekord in der Furcht – wenn dieser hochmoderne Ausdruck hier zulässig ist – und das einzig aus dem Grunde, daß die Feuerkugel zuerst in Whaston beobachtet worden war.

Ein Journal gab es aber doch, das der herrschenden Seuche widerstand und offen dagegen auftrat, die Sache so ernst zu nehmen. Auf der andern Seite sprang dieses Journal nicht sehr rücksichtsvoll um mit den Herren Forsyth und Hudelson, die es scherzweise für all das der Stadt drohende Übel verantwortlich machte.

»In was haben diese Amateure sich eingemengt? fragte der ›Punch‹. Mußten sie denn den Himmel mit ihren Fernrohren und Teleskopen absuchen? Konnten sie das Firmament nicht in Ruhe lassen, ohne seine Sterne zu necken? Gibt es nicht genug, ja gar zu viele Gelehrte, die sich in Dinge mischen, welche sie nichts angehen, und die sich indiskret in die interstellaren Gebiete einschleichen? Die Himmelskörper sind sehr schamhaft und lieben es nicht, so aus der Nähe angestarrt zu werden. Ja, unsre Stadt ist in Gefahr, keiner darin ist jetzt mehr seines Lebens sicher, und gegen diese Sachlage gibt es keine Arznei.[69]

Man versichert sich wohl gegen Feuer und Hagelschaden, gegen Sturm und Unwetter, man gehe aber einmal hin und versuche, sich gegen das Herabstürzen einer Feuerkugel zu versichern, die vielleicht zehnmal so groß ist wie die Zitadelle von Whaston! Und wenn sie im Niedersinken explodiert, was bei diesen Maschinen des Weltraums gar häufig vorkommt, wird die ganze Stadt bombardiert oder geht auch noch in Feuer auf, wenn die Geschosse glühend waren. Auf jeden Fall kommt das auf die Zerstörung unsrer geliebten Stadt hinaus, das darf man sich nicht verhehlen. Rette sich also, wer kann! Rette sich, wer kann! Warum in aller Welt sind denn die Herren Forsyth und Hudelson nicht ruhig im Erdgeschoß ihrer Wohnung geblieben, statt nach Meteoren auszuspähen? Sie sind es, die diese durch ihre Neugier gereizt, die sie durch ihre strafwürdigen Intriguen herangezogen haben. Wenn Whaston zerstört, dem Erdboden gleichgemacht oder durch Feuer vernichtet wird, wird man sich an jene beiden Herren zu halten haben. Wahrlich, wir fragen jeden unparteiischen Leser, d. h. jeden Abonnenten des ›Whaston Punch‹, wozu dienen überhaupt Astronomen, Astrologen, Meteorologen und andere Tiere auf -og? Welchen Nutzen haben ihre Arbeiten je gehabt? Diese Frage stellen, heißt schon, sie beantworten, und was uns betrifft, beharren wir mehr als je auf unsrer längst bekannten Anschauung, die in dem vortrefflichen, von einem geistreichen Franzosen, dem berühmten Brillat-Savarin, herrührenden Satz: ›Die Erfindung eines neuen schmackhaften Gerichtes hat für die Menschheit mehr Wert als die Entdeckung eines neuen Sternes!‹ so treffend ausgedrückt ist. In welch jämmerlicher Achtung hätten da bei Brillat-Savarin die beiden Übeltäter gestanden, die sich nicht gescheut haben, um des Vergnügens willen, eine einfache Feuerkugel zu entdecken, über ihre Heimat die schlimmsten Katastrophen heraufzubeschwören?«[70]

Quelle:
Jules Verne: Die Jagd nach dem Meteore. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCIII, Wien, Pest, Leipzig 1909, S. 59-65,67-71.
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