Fünftes Capitel.
Materielle Beweise.

[222] Als der selbstbewußte Beamte, gleich einem Manne, der über sich Herr geworden ist, seinen Platz wieder einnahm, lehnte er sich in dem Armsessel weit zurück, heftete die Augen an die Decke und sprach im Tone vollster Gleichgiltigkeit, ohne den Angeklagten nur dabei anzusehen:

»So reden Sie!«

Joam Dacosta schwieg noch einen Augenblick, als zögerte er auf diesen Gedankengang einzugehen, entschloß sich aber doch zu folgender Antwort:

»Bisher, Herr Richter, brachte ich Ihnen für meine Unschuld nur moralische Beweise bei, welche sich auf die Art und Weise meines Lebens, dessen[222] ich mich nicht schämen zu brauchen glaube, gründeten. Ich nahm an, solche Beweise hätten auch vor Gericht den durchschlagendsten Werth...«

Der Richter Jarriquez konnte sich nicht enthalten, mit den Achseln zu zucken, als wollte er damit sagen, daß das seine Ansicht nicht sei.

»Da dieselben nicht hinzureichen scheinen, so vernehmen Sie die materiellen Beweise, welche ich vielleicht anzuführen im Stande bin, fuhr Joam Dacosta fort. Ich sage absichtlich »vielleicht«, denn es ist mir unbekannt, wie viel Werth ihnen beizumessen sein dürfte. Meiner Frau und meinen Kindern gegenüber habe ich davon nichts erwähnt, um in diesen nicht eine am Ende doch ungerechtfertigte Hoffnung zu erwecken.

– Zur Sache, murmelte der Richter Jarriquez.

– Ich habe Ursache anzunehmen, daß meine Verhaftung am Tage vor dem Eintreffen der Jangada in Manao auf Grund einer an den Chef der Polizei gerichteten Denunciation erfolgte.

– Es ist, wie Sie sagen, Joam Dacosta, ich muß Ihnen freilich bemerken, daß diese Denunciation eine anonyme war.

– Das thut nichts, denn ich weiß, daß sie nur von einem elenden Schurken Namens Torres ausgehen konnte.

– Mit welchem Rechte, fragte der Richter Jarriquez, wagen Sie jenen Denuncianten in dieser Weise zu beschimpfen?

– Ja, ich wiederhole, in meinen Augen ist er ein erbärmlicher Schurke, Herr Richter, antwortete Joam Dacosta schnell. Dieser Mann, den ich gastfreundlich aufgenommen, hatte sich nur an mich gedrängt, um sich sein Stillschweigen abkaufen zu lassen; er versuchte, mich zu einem verabscheuungswürdigen Handel zu drängen, den abgelehnt zu haben, ich niemals bereuen werde, mögen die Folgen seiner Denunciation auch sein, welche sie wollen.

– S'ist doch immer die alte Geschichte, dachte der Richter Jarriquez, man klagt Andere an, um sich selbst rein zu waschen!«


»So reden Sie!« (S. 222.)
»So reden Sie!« (S. 222.)

Nichtsdestoweniger lauschte er mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit der Schilderung Joam Dacosta's über dessen Beziehungen zu dem Abenteurer bis zu dem Augenblicke, wo Torres Jenem mittheilt, daß er den wirklichen Urheber jenes verrätherischen Ueberfalles bei Tijuco kenne und denselben auch mit Namen zu bezeichnen wisse.

»Und wie hieß der Schuldige? fragte der Richter Jarriquez, der allmählich aus seiner Indifferenz aufgerüttelt wurde.[223]

– Das weiß ich nicht, antwortete Joam Dacosta, Torres hütete sich wohl, mir dessen Namen zu nennen.

– Ist er noch am Leben?

– So viel ich weiß, nein.«

Die Finger des Richters Jarriquez trommelten »allegro«.

»Derjenige, der den Beweis für die Unschuld eines Angeklagten liefern soll, ist gewöhnlich todt, das ist mir nichts Neues!

– Wenn der wirklich Schuldige todt ist, Herr Richter, fuhr Joam Dacosta[224] fort, so lebt doch der genannte Torres noch und hat mir versichert, den schriftlichen Beweis in Händen zu haben, wer der Urheber jenes Verbrechens gewesen sei. Er bot mir diesen Beweis zum Kauf an.

– Ei, Joam Dacosta, ein solches Beweismittel hätten Sie mit Ihrem ganzen Vermögen nicht zu theuer bezahlt.


Sie fragten selbst die ihnen Begegnenden. (S. 230.)
Sie fragten selbst die ihnen Begegnenden. (S. 230.)

– Hätte Torres nichts Anderes dafür verlangt, als mein Hab und Gut, so würde ich es ohne Zögern hingegeben haben, und gewiß hätte Niemand von den Meinigen dagegen Einspruch erhoben. Gewiß, Sie haben völlig recht, daß[225] man seine Ehre nicht theuer genug erkaufen kann. Der Elende, der mich in seiner Gewalt zu haben glaubte, forderte aber mehr als mein Vermögen.

– Was denn?...

– Er wollte als Preis für den Handel die Hand meiner Tochter haben; das schlug ich ihm ab, er denuncirte mich, und so kam es, daß Sie mich hier vor sich sehen.

– Und wenn Torres Sie nicht angezeigt hätte, fragte der Richter Jarriquez, wenn er Ihnen auf der Reise hierher überhaupt nicht begegnet wäre, was würden Sie gethan haben, wenn Sie hier von dem Ableben des Oberrichters Ribeiro hörten? Hätten Sie sich auch dann dem Gerichte gestellt?

– Das unterliegt keinem Zweifel, versicherte Joam Dacosta mit fester Stimme, da ich, wie ich hiermit wiederhole, schon bei der Abfahrt von Iquitos nach Manao keine andere Absicht hatte.«

Der Fazender sprach diese Worte in so überzeugender Weise, daß der Richter im Herzen doch eine gewisse Erregung empfand; er widerstand jedoch noch derselben nachzugeben.

Man darf sich darüber wohl nicht wundern. Dem Beamten waren, als er dieses Verhör vornahm, ja alle Nebenumstände nicht so bekannt, wie Denen, welche Torres seit Anfang unserer Erzählung folgten. Diese konnten nicht daran zweifeln, daß Torres den schriftlichen unumstößlichen Beweis der Unschuld Joam Dacosta's in den Händen hatte. Sie haben die feste Ueberzeugung, daß jenes Document vorhanden ist und vielleicht neigen sie zu dem Glauben, daß der Richter Jarriquez eine unverantwortliche Ungläubigkeit beweise. Freilich sollten sie nicht vergessen, daß der Justizbeamte sich mit ihnen nicht in gleicher Lage befindet und gewöhnt ist, von allen Angeschuldigten ähnliche Ausreden, welche meist grundlos sind, mit anhören zu müssen; das Document, auf welches Joam Dacosta sich berief, liegt ihm zur Ansicht nicht vor; er weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob es überhaupt vorhanden ist, und endlich steht er einem Manne gegenüber, dessen Schuld durch eine frühere Untersuchung dargethan und durch schwere Verurtheilung besiegelt ist. Immerhin bemühte er sich, vielleicht aus reiner Neugier, Joam Dacosta in die Enge zu treiben.

»Ihre ganze Hoffnung, begann er auf's Neue, beruht also auf den Erklärungen, welche Ihnen Torres abgegeben hat.

– Ja freilich, Herr Richter, antwortete Joam Dacosta, wenn mein bisher geführtes Leben gar nicht in Anschlag kommt.[226]

– Wo glauben Sie, daß jener Torres sich jetzt aufhalten möge.

– So weit ich das wissen kann, hier in Manao.

– Und Sie hoffen, daß er auch vor Gericht eine solche Erklärung abgeben und Ihnen freiwillig jenes Document überlassen werde, das Sie mit dem von ihm geforderten Preise nicht einlösen wollten?

– Das hoffe ich, Herr Richter, erwiderte Joam Dacosta. Die Sachlage hat sich jetzt, für Torres wenigstens, geändert. Er hat mich angezeigt und kann in Folge dessen keinen Schimmer von Hoffnung hegen, daß aus dem Handel in der von ihm vorgeschlagenen Weise je etwas werden könne. Das Document könnte für ihn aber doch noch einen großen Kaufwerth haben, der ihm, ob ich nun freigesprochen oder verurtheilt werde, auf jeden Fall entgeht. Da es nun in seinem Interesse liegt, mir jenes Schriftstück zu verkaufen, ohne daß ihm das doch in irgend einer Weise Schaden bringen kann, so denke ich, er wird sich durch sein Interesse bestimmen lassen.«

Gegen Joam Dacosta's Darstellung war nicht wohl etwas einzuwenden, das fühlte der Richter Jarriquez recht gut. Er machte dagegen nur noch eine Bemerkung.

»Zugegeben, sagte er, daß es in Torres' Interesse liegt, Ihnen jenes Document zu verkaufen... vorausgesetzt, daß dasselbe überhaupt existirt!

– Wenn das nicht der Fall wäre, Herr Richter, antwortete Joam Dacosta mit eindringlicher Stimme, so bleibt mir nichts übrig, als der menschlichen Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen, um vor dem Throne Gottes freigesprochen zu werden!«

Auf diese Worte erhob sich der Richter Jarriquez.

»Joam Dacosta, fuhr er in weniger indifferentem Tone als bisher fort, wenn ich Sie in der Weise fragte, wie das eben geschehen ist, Sie alle Einzelheiten aus Ihrem Leben erzählen ließ und die Betheuerungen Ihrer Schuldlosigkeit mit anhörte, so bin ich eigentlich weiter gegangen, als mein Mandat das vorschreibt. In Ihrer Angelegenheit ist ja schon ein Wahrspruch abgegeben worden. Wegen Anstiftung und Theilnahme an der Ermordung der Soldaten und wegen des Diamantenraubes ist gegen Sie das Todesurtheil ja schon ausgesprochen, und nur Ihrer Flucht aus dem Gefängniß verdanken Sie es, der Hinrichtung bisher entgangen zu sein. Jetzt nach dreiundzwanzig Jahren sind Sie, ob es nun in Ihrer Absicht lag, sich den Gerichten zu stellen oder nicht, jedenfalls wieder in Hast gekommen. Ich frage Sie also zum letzten Male, sind[227] Sie jener Joam Dacosta, der wegen Raubmordes im Diamantendistricte verurtheilt worden war?

Ich bin Joam Dacosta.

– Sind Sie auch bereit, diese Aussage schriftlich zu bezeugen?

– Auf der Stelle!«

Mit vollkommen ruhiger Hand setzte Joam Dacosta seinen Namen unter das Protokoll und unter den Bericht, welchen der Richter Jarriquez durch seinen Actuar aufsetzen ließ.

»Dieser, an den Justizminister adressirte Bericht wird nach Rio de Janeiro abgesendet werden, sagte der Beamte. Es wird immerhin einige Zeit vergehen, bevor wir die Ordre erhalten, das Urtheil, welches über Sie gefällt wurde, auszuführen. Wenn jener Torres, wie Sie angeben, das wichtige Document besitzt, das Ihre Unschuld beweist, so bemühen Sie sich selbst, durch Ihre Familie und durch Vermittlung jedes Anderen darum, daß dasselbe rechtzeitig bei Gerichtsstelle eingeliefert werde. Trifft die Ordre einmal ein, so kann von weiterem Aufschube keine Rede sein, und die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben!«

Joam Dacosta verneigte sich.

»Wird es mir nun gestattet sein, mein Weib und meine Kinder zu sehen? fragte er.

– Von jetzt ab, wann Sie wollen, antwortete der Richter Jarriquez; Sie kommen nicht wieder in so strenge Hast, und man wird Jene zu Ihnen führen, sobald sie sich anmelden lassen.«

Der Beamte klingelte. Einige Wärter traten in den Saal und führten Joam Dacosta ab.

Als Jarriquez ihn zur Thür gehen sah, schüttelte er den Kopf.

»Hm, hm, murmelte er, die Sache scheint mir doch eigenthümlicher, als ich zu Anfang geglaubt hätte!«[228]

Quelle:
Jules Verne: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX–XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 222-229.
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