Dreizehntes Capitel.
Auf Tahiti.

[178] Der Archipel der Gesellschaftsinseln oder von Tahiti liegt zwischen 15°52' und 17°49' südlicher Breite und zwischen 150°8' und 156°30' westlicher Länge von Paris. Er bedeckt gegen zweitausendzweihundert Quadratkilometer.

Zwei gesonderte Gruppen bilden denselben: 1. Die Inseln des Windes, Taïti oder Tahiti-Tahaa, Tapamanoa, Eimeo oder Morea, Tetiaroa und Meetia, die unter französischer Schutzherrschaft stehen; 2. Die Inseln Unter dem Winde, Tubuai, Manu, Huahine, Raiatea-Thao, Bora-Bora, Mossy-Iti, Maupiti, Mapetia, Bellingshausen und Scilly, die von eingebornen Häuptlingen beherrscht werden. Die Engländer nennen sie Georgsinseln, obgleich ihr Entdecker Cook sie zu Ehren der Königlichen Gesellschaft in London den »Archipel der Gesellschaftsinseln« getauft hatte. Zweihundertfünfzig Seemeilen von den Marquisen gelegen, zählt diese Gruppe nach den neuesten Aufnahmen vierzigtausend eingeborne und fremde Bewohner.

Von Nordost aus ist Tahiti die erste der Inseln des Windes, die vor dem Auge der Seefahrer auftaucht. Die Wachposten des Observatoriums signalisieren sie auch schon aus weiter Ferne, da der Maiao oder Diademberg eintausendzweihundertneununddreißig Meter über das Meer emporragt.

Die Fahrt hierher ist ohne Unfall verlaufen. Unterstützt vom Passatwinde hat Standard-Island die prächtigen Gewässer durchschnitten, über denen die Sonne jetzt dem Wendekreis des Steinbocks zueilt. Noch zwei Monate und einige Tage, und sie wird ihn erreicht haben, wird darauf nach dem Aequator hin zurückkehren und auf der Schraubeninsel wird, mit der Sonne im Zenith, mehrere[178] Wochen lang eine starke Hitze herrschen, und schließlich wird diese jener in gemessner Entfernung nachfolgen.

Die Milliardeser sollen jetzt zum erstenmale bei Tahiti Aufenthalt nehmen. Vergangnes Jahr wurde die Fahrt zu spät angetreten. Sie waren nach Westen nicht weiter als bis Pomotou gekommen und dann gleich wieder nach dem Aequator hin umgekehrt. Der Archipel der Gesellschaftsinseln ist aber gerade der schönste im Stillen Ocean. Bei der Fahrt durch denselben sind unsre Pariser auch des Lobes übervoll über den Reiz der Fortbewegung eines Bauwerks, dem es freisteht, sich Lage und Klima nach Belieben auszuwählen.

»Ja, wir werden aber noch sehen, wie dieses unsinnige Abenteuer ausläugft! schloß Sebastian Zorn in gewohnter Weise.

– Ich wünschte nur, daß es niemals ein Ende nähme!« rief Yvernes.

Mit dem Morgenrothe des 17. Octobers trifft Standard-Island in Sicht von Tahiti, und zwar gegenüber dessen Nordküste, ein. Während der Nacht war der Leuchtthurm der Venusspitze gepeilt worden. Es wäre heute noch Zeit gewesen, bis vor die nordwestlich und jenseits dieser Landspitze gelegne Hauptstadt Papeete zu gelangen. Nun war aber der Rath der Notabeln zusammengetreten. Wie in allen solchen Fällen befehden sich darin zwei Parteien. Die eine, unter der Führung Jem Tankerdon's, spricht sich für einen westlichen, die andre, mit Nat Coverley, für einen östlichen Curs aus. Cyrus Bikerstaff, dem bei Meinungsverschiedenheiten die entscheidende Stimme zukommt, erklärt darauf, daß man nach Papeete mittelst Umschiffung der Insel im Süden gehen werde. Diese Entscheidung kann dem Quartett nur höchst gelegen kommen, denn sie gestattet ihm, die ganze Schönheit dieser Perle des Oceans, der Neuen Kythera Bougainville's, zu bewundern.

Tahiti hat eine Oberfläche von tausendundzweiundvierzig Quadratkilometern. Seine Bevölkerung, die sich 1876 auf siebentausend Eingeborne, dreihundert Franzosen und elfhundert andre Ausländer belief, zählt jetzt nicht mehr als siebentausend Köpfe. Geometrisch zeigt es genau die Form einer Kürbisflasche, deren weiten Theil die Hauptinsel bildet, welche mit dem von der Halbinsel Tatarapu gebildeten Halse durch den schmalen Isthmus von Taravao zusammenhängt.

Frascolin war es, der diesen Vergleich anstellte, da er eine in großem Maßstabe gehaltene Karte des Archipels studiert hat, und seine Kameraden finden jenen so zutreffend, daß sie Tahiti noch auf den neuen Namen »Die Kürbisflasche der Tropen« taufen.[179]

Seit Errichtung der Schutzherrschaft am 9. September 1842 zerfällt Tahiti administrativ in sechs Aemter, die in einundzwanzig Bezirke zerstückelt sind. Noch sind die Schwierigkeiten nicht vergessen, wozu es damals zwischen dem Admiral Dupetit-Thouars, der Königin Pomare und England kam, und zwar in Folge der Aufhetzungen jenes verächtlichen Bibel-Baumwollenhändlers, der sich Pritchard nannte und der in den »Guêpes« Alphonse Karr's so geistvoll carikiert wurde.

Doch das gehört der Geschichte an und es wird davon jetzt ebensowenig gesprochen, wie von den Thaten des angelsächsischen Krämers.

Standard-Island kann sich bis auf eine Meile an die Küste der Kürbisflasche der Tropen heranwagen. Diese Flasche ruht nämlich auf Korallenuntergrund, der ganz steil in die Tiefen des Oceans abfällt. Ehe man aber so nahe herankommt, haben die Milliardeser ihre imposante Masse, ihre von der Natur mehr als die der Sandwich-Inseln begünstigten Berge, ihre grünenden Gipfel und waldigen Thäler, ihre Pics, die wie die Pinakeln eines gothischen Domes aufstreben, und ihren Gürtel von Cocospalmen, der sich im Schaume der Brandung badet, bewundern können.

Im Laufe des Tages und während der Fahrt längs der Westküste haben alle Neugierigen vom Steuerbordhafen aus, das Lorgnon vor den Augen – natürlich führt ein jeder Pariser ein solches mit sich – die tausend Einzelheiten der Küste betrachten können; den Bezirk Papenoo, in dessen breiten Thale am Fuße der Berge man einen Fluß gewahrt, der sich an einer Stelle, wo sich auf der Strecke von einigen Meilen kein Riffgürtel erhebt, in den Ocean ergießt; ferner Hitiaa, einen recht sichern Hafen, von dem aus ungezählte Millionen von Orangen nach San-Francisco ausgeführt werden, und endlich Mahaena, wo die Eroberung der Insel 1845 nur nach heftigem Kampfe mit den Eingebornen ihren letzten Abschluß fand..

Des Nachmittags kommt man gegenüber der schmalen Landzunge von Taravao an. Die Halbinsel umschiffend, nähert der Commodore Simcoë sich dieser genug, um die fruchtbaren Gefilde von Tautira ebenso erkennen zu können, wie die zahlreichen Wasserläufe, die daraus eines der reichsten Gebiete des Archipels machen. Auf einem Teller von Korallen ruhend, sendet Tatarapu majestätisch die rauhen Abhänge seiner erloschenen Krater zum Himmel empor.

Mit dem nahen Untergange der Sonne kleiden diese sich noch einmal in glühenden Purpur, die Schattierungen werden milder und die Farben schmelzen[180] zu warmen, durchsichtigen Dünsten zusammen. Bald erscheint alles nur noch als unbestimmte Masse, von der aus der Duft der Orangen- und Citronenbäume sich mit dem Abendwinde verbreitet. Nach sehr kurzer Dämmerung ist es vollständig Nacht geworden.

Standard-Island umschifft noch die äußerste südwestliche Ecke der Insel und schwimmt mit Tagesanbruch vor der Westküste des Isthmus.

Der fleißig cultivierte und volkreiche Bezirk Taravao hat zwischen den Orangenwäldern treffliche Straßen, die ihn mit dem Bezirk Papeari verbinden. Auf seinem höchsten Punkte liegt ein Fort, das beide Seiten des Isthmus beherrscht und dessen wenige Kanonen außerhalb der Schießscharten eine nach unten weisende Mündung ihrer Rohre zeigen. Im Hintergrunde dehnt sich der Phaëtonhafen aus.

»Warum glänzt der Name jenes tollkühnen Lenkers des Sonnenwagens auf diesem Isthmus?« fragt sich Yvernes.

Bei langsamer Fahrt folgt man ihren, den Korallenuntergrund mehr aufweisenden Conturen, die die Westküste Tahitis kennzeichnen. Neue Bezirke von wechselndem Aussehen tauchen nach einander auf: Papeïri mit zuweilen sumpfigen Ebenen, Mataiea, der herrliche Hafen von Papeuriri, dann ein langes, von dem Vaihiriaflusse durchströmtes Thal, und im Hintergrunde ein fünfhundert Meter hoher Berg, der fast einem Waschtische mit einem einen halben Kilometer weiten Becken darauf ähnelt. Dieser alte, jedenfalls mit Süßwasser erfüllte Krater scheint mit dem Meere in gar keiner Verbindung zu stehen.

Nach dem Bezirke Ahauraono, wo Baumwolle in großer Menge gebaut, und nach dem von Papara, in dem ebenfalls starker Landbau getrieben wird, sieht man von Standard-Island aus und jenseit der Landspitze von Mara das große Thal von Paruvia, das sich vom Diademberge herabzieht und vom Punarun bewässert wird. Jenseit Taapunas, der Talaospitze und der Mündung der Faa wendet sich der Commodore Simcoë ein wenig nach Nordost, vermeidet geschickt das Eiland Motu-Uta und trifft am Abend um sechs Uhr vor dem Einschnitte ein, der den Zugang nach der Bay von Papeete bildet.

Am Eingange zeigt sich der in wunderlichen Windungen durch das Korallenriff verlaufende Canal, den bis zur Farentespitze kaum je gebrauchte Kanonen kennzeichnen. Selbstverständlich braucht Ethel Simcoë, Dank seinen Karten, hier keine Lootsen, wie die Walfängerschiffe, die vor dem Canale liegen. Bald erscheint ein Boot mit gelber Flagge. Es ist »die Sanität«, die Gesundheitspolizei, die im[181] Steuerbordhafen Erkundigungen einzieht. Man ist auf Tahiti sehr streng und niemand darf hier ans Land geben, ohne von dem Hafenarzte, der in Begleitung eines Officiers erscheint, dazu Erlaubniß erhalten zu haben.

Im Steuerbordhafen angelangt, setzt sich der Arzt sofort mit den Behörden von Standard-Island in Verbindung. Es handelt sich nur um eine Formalität. Kranke giebt es weder in Milliard-City, noch in dessen Umgebung. Jedenfalls sind alle epidemischen Krankheiten, wie Cholera, Influenza, Gelbes Fieber u. dgl., hier unbekannt. Nach Gebrauch wird also ein »reines Patent« gewährt. Doch da nach dem schwachen Versuche einer Dämmerung schon die Nacht hereinbricht, verschiebt man die Ausschiffung bis zum folgenden Morgen, und Standard-Island entschlummert in Erwartung des kommenden Tages.

Mit dem Morgenrothe krachen Schüsse. Die Rammspornbatterie begrüßt mit einundzwanzigfachem Donner die Inselgruppe und Tahiti, die Hauptstadt des französischen Protectorats. Gleichzeitig hebt und senkt sich auf dem Thurme des Observatoriums dreimal die rothe Flagge mit goldner Sonne.

Von der Batterie an der Spitze der großen Einfahrt nach Tahiti wird der Salut Schuß für Schuß erwidert.

Schon zu früher Stunde ist der Steuerbordhafen sehr belebt. Die Trambahnen bringen eine große Menge Touristen, die nach der Hauptstadt des Archipels wollen, und Sebastian Zorn und seine Kameraden gehören darunter zu den ungeduldigsten. Da die Boote der Schraubeninsel nicht alle aufzunehmen vermögen, bieten sich sogleich Eingeborne an, die Fremden über die kurze, sechs Kabellängen messende Strecke zwischen dem Steuerbordhafen und der Insel zu befördern.

Der Gouverneur muß natürlich zuerst übergeführt werden, da er sich den Civil- und Militärbehörden Tahitis vorstellen und auch einen Besuch bei der Königin machen muß.

Gegen neun Uhr morgens nehmen Cyrus Bikerstaff, seine Adjuncten Barthelemy Ruge und Hubert Harcourt, alle in großer Uniform, in der Galaschaluppe Platz. Ihnen schließen sich noch die ersten Notabeln beider Stadthälften, darunter Nat Coverley und Jem Tankerdon, der Commodore Simcoë nebst seinen Officieren in glänzenden Uniformen, sowie Colonel Stewart nebst Begleitung an, und alle begeben sich nach dem nahen Hafen von Papeete.

Sebastian Zorn, Frascolin, Yvernes und Pinchinat, sowie Athanase Dorémus und Calistus Munbar besteigen mit noch einigen städtischen Beamten ein[182] andres Boot. Viele Canots und Piroguen der Eingebornen geben der officiellen Welt von Milliard-City das Geleite.

Der Hafen von Papeete ist ganz ausgezeichnet und von solcher Tiefe, daß selbst die größten Schiffe darin vor Anker gehen können. Er hat drei Zugänge: den sogenannten Canal, der siebzig Meter breit und achtzig lang, doch durch eine kleine, mit Baken bezeichnete Untiefe verengt ist, und daneben den Canal von Tanoa im Osten und den von Tapuna im Westen des ersteren.

Majestätisch gleiten die elektrischen Schaluppen vor dem mit Villen und Lusthäusern bedeckten Strande und längs der Quais mit den daran vertäuten Schiffen hin. Die Landung erfolgt am Fuße eines schönen Springbrunnens, der gleichzeitig als Sammelbecken dient und von den rauschenden Rios der benachbarten Berge, unter denen einer den semaphorischen Apparat trägt, überreichlich gespeist wird.

Cyrus Bikerstaff und sein Gefolge verlassen ihr Boot unter dem Zulaufe der eingebornen und fremdländischen Bevölkerung, die das Juwel des Stillen Oceans als das außerordentlichste Wunderwerk des menschlichen Geistes mit lautem Jubel begrüßt.

Nachdem der erste Enthusiasmus beim Empfange verrauscht ist, begeben sich die Neuangekommenen nach dem Palaste des Gouverneurs von Tahiti.

Calistus Munbar, der in seiner nur für besondre Ceremonien bestimmten Galatracht ganz prächtig aussieht, ladet das Quartett ein, ihn zu begleiten, und dieses beeilt sich, dem Wunsche des Oberintendanten Folge zu leisten.

Das französische Protectorat erstreckt sich nicht nur auf die Inseln Tahiti und Morea, sondern auch auf die benachbarten Gruppen. Der Chef desselben ist ein hoher Civilbeamter mit einem ihm unterstellten Befehlshaber, der die Heeres- und Marineangelegenheiten besorgt, die Finanzen der Colonie und der Stadt überwacht und die gerichtliche Verwaltung ordnet. Dem Generalsecretär des Chefs fallen die Civilangelegenheiten des Landes zu. Auf den Inseln, wie auf Morea, auf Fakarava im Pomotouarchipel und auf dem zu Nuka-Hiva gehörigen Taio-Haë befinden sich stellvertretende Residenten und ein Friedensrichter, der zum Ressort der Marquisen gehört. Seit 1861 besteht auch ein berathender Ausschuß für Handel und Landwirthschaft, der jährlich einmal in Papeete zusammentritt. Hier befindet sich auch die Direction der Artillerie und die Leitung des Geniewesens. Die Garnison setzt sich aus Abtheilungen der Colonial-Gendarmerie und der Marine-Artillerie und- Infanterie zusammen. Ein Pfarrgeistlicher[183] nebst einem Vicar, die von der Inselverwaltung berufen werden, und neun auf die verschiednen Gruppen vertheilte Missionäre überwachen die Ausübung des katholischen Cultus. Die Pariser können wirklich glauben, in Frankreich, in einem heimatlichen Hafen zu sein, und das gewährt ihnen eine große Befriedigung.


Das große Thal von Paruvia. (S. 181.)
Das große Thal von Paruvia. (S. 181.)

Die Dörfer der verschiednen Inseln werden von einer Art eingebornem Gemeinderath verwaltet. In diesem führt ein Tavana den Vorsitz, und ihn unterstützen ein Richter, ein Mutoï Häuptling und zwei von den Bewohnern erwählte Beisitzer.
[184]

Die Landung erfolgt am Fuße eines Springbrunnens. (S. 183.)
Die Landung erfolgt am Fuße eines Springbrunnens. (S. 183.)

Im Schatten herrlicher Bäume wandelt die ganze Gesellschaft nach dem Gouvernementspalaste. Ueberall erheben sich schön gewachsene Cocospalmen, Perubalsambäume mit röthlichem Laubwerk und ganze Haine von Orangenbäumen, Goyaven, Kautschukbäumen u. s. w. Der Palast steht inmitten dieses Grüns, das er kaum mit dem Dache überragt. Er zeigt in seiner Façade ein elegantes Aeußere und besteht aus einem Erd- und einem Obergeschoß. Hier haben sich die höchsten Beamten versammelt und die Colonial-Gendarmerie macht die Honneurs.[185]

Der Civilgouverneur empfängt Cyrus Bikerstaff in einer so liebenswürdigen Weise, wie sie dieser in den englischen Archipelen der weitern Umgebung gewiß nicht zu bemerken gehabt hätte. Er dankt ihm dafür, Standard-Island in die Gewässer des Archipels geführt zu haben, und hofft, daß der Besuch, den Tahiti leider zu erwidern nicht im Stande sei, sich alljährlich wiederholen werde. Die Zusammenkunft währt eine halbe Stunde und endigt mit der Abmachung, daß Cyrus Bikerstaff die hiesigen Behörden am nächsten Tage im Stadthause von Milliard-City erwarten werde.

»Gedenken Sie einige Zeit bei Papeete zu verweilen? fragt der Civilgouverneur.

– Etwa vierzehn Tage lang, antwortet Bikerstaff.

– Dann werden Sie das Vergnügen haben, eine französische Flottendivision zu sehen, die gegen Ende dieser Woche eintreffen dürfte.

– Wir werden uns glücklich schätzen, Herr Gouverneur, sie auf unsrer Insel freundlichst zu empfangen.«

Cyrus Bikerstaff stellt die Personen seines Gefolges vor, seine Adjuncten, den Commodore Ethel Simcoë, den Befehlshaber der Miliz, die verschiednen Beamten, den Oberintendanten der schönen Künste und die Künstler des Concert-Quartetts, die hier einen Empfang finden, wie er Landsleuten zukommt.

Zu einiger Verlegenheit kommt es wegen der Vertreter der beiden Hälften von Milliard-City. Wie soll man der Eigenliebe Jem Tankerdon's und Nat Coverley's gleichzeitig genug thun, die beide das Recht haben... »Gleichzeitig zu marschiren«, bemerkt Pinchinat, einen berühmten Vers Scribe's parodierend.

Diese Schwierigkeit wird von dem Civilgouverneur selbst überwunden. Von der Rivalität der beiden berühmten Milliardeser unterrichtet, entwickelt er solchen Takt, solche diplomatische Gewandtheit, daß die Sache so glatt verläuft, als wenn sie schon im voraus geregelt gewesen wäre. Ohne Zweifel hätte der Chef eines englischen Protectorats bei gleicher Gelegenheit noch Feuer ins Pulver geworfen, um der Politik des Vereinigten Königreichs einen Dienst zu erweisen. Zu einem ähnlichen Fehlgriff kommt es hier im Palaste des Civilgouverneurs nicht, und hochbefriedigt von dem Empfange zieht sich Cyrus Bikerstaff mit seinem Gefolge zurück.

Es versteht sich von selbst, daß Sebastian Zorn und seine Kameraden die Absicht hatten, den schon ganz außer Athem gerathenen Athanase Dorémus seine Wohnung in der Fünfundzwanzigsten Avenue wieder aufsuchen zu lassen.[186]

Sie selbst wollten so viel wie möglich in Papeete verweilen, dessen Umgebungen besuchen, Ausflüge nach den wichtigsten Bezirken unternehmen und auch die Halbinsel Tatarapu durchwandern, kurz, sie wollten die »Kürbisflasche des Stillen Oceans« bis zum letzten Tropfen leeren.

Von dem von ihnen gefaßten Beschlusse machen sie auch Calistus Munbar Mittheilung und der Oberintendant billigt ihn in allen Stücken.

»Ich empfehle Ihnen nur, sagt er, achtundvierzig Stunden zu warten, bevor Sie sich aufmachen.

– Ja, warum denn nicht heute? fragt Yvernes, der schon vor Ungeduld brennt, den Wanderstab zu ergreifen.

– Weil die Behörden von Standard-Island erst noch der Königin ihre Aufwartung machen wollen und es angezeigt erscheint, daß auch Sie Ihrer Majestät und deren Hofe vorgestellt werden.

– Und morgen?... fragt Frascolin weiter.

– Morgen wird der Civilgouverneur des Archipels den Behörden von Standard-Island den erhaltnen Besuch erwidern, und es gehört sich doch...

– Daß auch wir dabei sind, antwortet Pinchinat. Nun gut, wir werden zur Stelle sein, Herr Oberintendant.

Vom Palast des Gouverneurs aus begiebt sich Cyrus Bikerstaff mit seinem Gefolge nach dem Ihrer Majestät – eine einfache Promenade unter Bäumen hin, die kaum eine Viertelstunde in Anspruch nimmt.

Die königliche Wohnung liegt sehr schön in dichter grüner Umgebung.

Sie bildet ein Viereck mit zwei Stockwerken, dessen Dach nach Art der Schweizerhäuser noch zwei übereinanderliegende Reihen von Veranden überdeckt. Von den obern Fenstern aus umfaßt der Blick ausgedehnte Anpflanzungen, die bis zur Stadt heranreichen, und darüber hinaus schimmert ein Theil des Meeres. Es ist im Ganzen eine reizende, zwar nicht luxuriöse aber anheimelnde Wohnstätte.

Die Königin hat durch die Annahme der französischen Schutzherrschaft von ihrem Ansehen nichts verloren. Weht auch die Fahne Frankreichs von den Masten der im Hafen von Papeete liegenden oder auf der Rhede verankerten Schiffe ebenso wie von den öffentlichen Gebäuden, so leuchten über dem königlichen Palaste doch noch immer die alten Farben des Archipels, die Flagge mit rothweißen Querstreifen und dem dreifarbigen Jack in der obern innern Ecke.[187]

Im Jahre 1706 entdeckte Quiros die Insel Tahiti, der er den Namen »Sagittaria« beilegte. Nach ihm vervollständigten Wallis 1767 und Bougainville 1768 die Erforschung der Gruppe. Zur Zeit der Entdeckung herrschte hier die Königin Oberea, und nach ihrem Ableben tauchte in der Geschichte Oceaniens die Dynastie der Pomares auf.

Pomare I. (1762 bis 1780), der zuerst unter dem Namen Otoo (d. i. der schwarze Reiher) regiert hatte, vertauschte diesen später gegen den Namen Pomare.

Sein Sohn, Pomare II. (1780 bis 1819), empfing 1797 die ersten englischen Missionäre mit großem Wohlwollen und bekehrte sich zehn Jahre darauf selbst zur christlichen Kirche. Das war eine Zeit der Uneinigkeit und harter Kämpfe, unter denen die Bevölkerung des Archipels von hunderttausend Seelen auf sechzehntausend zurückging.

Pomare III., der Sohn des vorigen, regierte von 1819 bis 1827, und seine Schwester Aimata, die berühmte Pomare, der Schützling des elenden Pritchard, sie selbst geboren 1812, wurde Königin von Tahiti und der benachbarten Inseln. Da sie mit ihrem ersten Gatten Tapoa kinderlos blieb, verstieß sie diesen, um sich mit Ariifaaite zu vermählen. Aus dieser Verbindung ging 1840 Arione, der muthmaßliche Thronerbe, hervor, der aber mit fünfunddreißig Jahren verstarb. Vom nächsten Jahre an schenkte die Königin ihrem Gatten, einem der schönsten Männer der Insel, noch vier Kinder: eine Tochter, Teriimaevarna, seit 1860 Fürstin von Bora-Bora; den 1842 gebornen Prinzen Tamatoa, König der Insel Raiatea, den seine Unterthanen, empört über seine rohe Grausamkeit, vom Throne stürzten; den Prinzen Teriitapunui, geboren 1846, der leider schwer hinkte, und endlich 1848 den Prinzen Tuavira, der seine Erziehung in Frankreich erhielt.

Die Regierung der Königin Pomare verlief nicht immer ganz ruhig. Seit 1835 kamen die katholischen Missionäre mit den ältern protestantischen in Streit. Erst vertrieben, wurden jene durch eine französische Expedition wieder zurückgeführt. Vier Jahre später nahmen fünf Häuptlinge die französische Schutzherrschaft an. Pomare protestierte, die Engländer protestierten. Der Admiral Dupetit-Thouars verkündete die Absetzung der Königin und jagte Pritchard aus dem Lande, Ereignisse, die zu den mörderischen Kämpfen von Rapepa und Mahaena führten. Das Vorgehen des Admirals wurde jedoch nicht völlig gebilligt, Pritchard erhielt fünfundzwanzigtausend Francs Schadenersatz und dem Admiral Bruat wurde der Auftrag ertheilt, die Sache zum guten Ende zu führen.[188]

Tahiti unterwarf sich 1846 und Pomare bequemte sich 1847 am 19. Juni zur Annahme des Schutzvertrages unter Anerkennung ihrer Souveränität über die Inseln Raiatea, Huahine und Bora-Bora. Auch dann kam es noch zu Unruhen. 1852 wurde die Königin gestürzt und die Republik proclamiert. Schließlich setzte das französische Gouvernement die Königin wieder auf den Thron und diese verzichtete auf drei ihrer Kronen: zu Gunsten ihres ältesten Sohnes auf die von Raiatea und Tahaa, zu Gunsten des zweiten auf die von Huahine, und zu Gunsten ihrer Tochter auf die Krone von Bora-Bora.

Gegenwärtig sitzt eine ihrer weiblichen Nachkommen, Pomare VI, auf dem Throne des Archipels.

Der mittheilsame Frascolin rechtfertigt bei jeder Gelegenheit den ihm verliehnen Namen eines Larousse des Stillen Oceans. Er berichtet seinen Kameraden diese biographischen und historischen Einzelheiten mit der Behauptung, daß es sich immer empfehle, die Leute, zu denen man geht und mit denen man spricht, genauer zu kennen. Yvernes und Pinchinat antworten, daß er recht daran gethan habe, sie in die Genealogie der Pomares einzuweihen, unbekmmmert um Sebastian Zorn's Erklärung, »daß ihm so etwas ganz gleichgiltig sei«.

Der leicht erregbare Yvernes fühlt sich von dem Reize der poetischen Natur Tahitis ganz ergriffen. Er erinnert sich der begeisterten Reiseberichte Bougainville's und Dumont d'Urville's und verhehlt gar nicht seine Erregung bei dem Gedanken, der Souveränin dieses neuen Kythera, einer wirklichen, echten Königin Pomare, gegenübertreten zu sollen, deren Namen allein schon...

»Die ,Hustennuß' bedeutet, fällt ihm Frascolin ins Wort.

– Sehr schön! ruft Pinchinat. Das klingt, als wenn einer von einer Göttin des Schnupfens, einer Kaiserin der Koryza spräche. Da gilt es, das Taschentuch nicht zu vergessen!«

Yvernes ist wüthend über die Spottreden des kühnen Witzbolds, die Andern lachen aber so aus vollem Herzen, daß die erste Geige schließlich in die allgemeine Heiterkeit mit einstimmt.

Der Empfang des Gouverneurs von Standard-Island, der Behörden und der Abordnung der Notabeln geht mit großer Feierlichkeit vor sich. Der Mutoï der Chef der Gendarmerie, macht dabei die Honneurs, wobei ihm auch Eingeborne zur Seite treten.

Die Königin Pomare VI. ist jetzt zweiundvierzig Jahre alt. Wie ihre Familie, trägt sie ein Staatskleid von rosenrother Farbe, die die tahitische Bevölkerung[189] vor allem liebt. Sie nimmt die Ehrenbezeugungen Cyrus Bikerstaff's mit leutseliger Würde – wenn dieser Ausdruck erlaubt ist – und mit einem Anstand entgegen, dessen sich keine Majestät Europas zu schämen gehabt hätte. Sie antwortet huldvoll und im reinsten Französisch, denn diese Sprache herrscht jetzt auf den Gesellschaftsinseln beiweitem vor. Sie gab auch dem lebhaften Wunsche Ausdruck, Standard-Island, von dem man in allen Gegenden des Stillen Oceans spreche, persönlich kennen zu lernen, und hoffte, daß dessen Anwesenheit hier nicht die letzte sein werde. Jem Tankerdon wird von ihr besonders ausgezeichnet, was Nat Coverley natürlich nicht besonders angenehm empfindet. Die Erklärung dafür liegt darin, daß die königliche Familie protestantisch und Jem Tankerdon die hervorragendste Persönlichkeit der protestantischen Hälfte von Milliard-City ist.

Auch das Concert-Quartett wird bei der Vorstellung nicht vergessen. Die Königin geruht, dessen Mitgliedern zu sagen, daß sie sie gerne hören würde. Diese verneigen sich ehrerbietig und versichern, daß sie Ihrer Majestät jederzeit zur Verfügung stehen würden und es der Oberintendant als seine Pflicht erachten werde, den Wunsch der Souveränin zu erfüllen.

Nach der eine halbe Stunde währenden Audienz werden allen beim Verlassen des Palastes wieder die gleichen Ehren, wie beim Betreten desselben, erwiesen.

Nun geht es nach Papeete zurück. Nur beim Militärcasino wird Halt gemacht, da hier die Officiere zu Ehren des Gouverneurs und der Elite der Milliardeser Einwohner einen Lunch veranstaltet haben. Der Champagner fließt in Strömen, ein Toast jagt den andern, und es ist bereits sechs Uhr, wo die Boote von den Quais Papeetes abstoßen, um nach dem Steuerbordhafen heimzukehren.

Am Abend finden sich die Pariser Künstler im Saale des Casinos zusammen.

»Da steht uns ein Concert bevor, beginnt Frascolin. Was werden wir vor Ihrer Majestät spielen? Wird sie für Mozart oder Beethoven wohl Verständniß haben?

– Da spielt man etwas von Offenbach, Varney, von Lecoq oder Audran! meint Sebastian Zorn.

– O nein, doch die Bambula wäre ganz angezeigt!« erwidert Pinchinat, der sich nach dem Takte dieses Negertanzes in den Hüften wiegt.[190]

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 178-191.
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