Siebentes Capitel.
Treibjagden.

[292] Es handelt sich um die gänzliche Vernichtung der Thiere, die nach Standard-Island eingedrungen sind. Bleibt ein einziges Paar dieser Saurier oder Raubthiere übrig, so ist es um die zukünftige Sicherheit geschehen. Dieses Paar würde sich vermehren, und dann könnte man ebensogut in den Urwäldern Indiens oder Afrikas wohnen wollen. Nein, ein Bauwerk aus Stahl hergestellt, es auf die Gewässer des Großen Oceans gebracht zu haben, ohne daß es jemals verdächtige Küsten oder Inselgruppen berührte, alles vorgesehen zu haben, um es gegen jede Epidemie, wie gegen feindliche Einfälle zu schützen, und nun... in einer einzigen Nacht... wahrlich, die Standard-Island Company hatte alle Ursache, das Vereinigte Königreich bei einem internationalen Gerichtshof anzuklagen und eine ungeheure Entschädigung zu verlangen. Lag denn hier keine schreiende Verletzung des Völkerrechtes vor? Ja gewiß, und wenn dafür jemals der Beweis erbracht wurde...

Doch wie der Notabelnrath beschlossen hat, gilt es jetzt erst das nothwendigste.

Entgegen den von mehreren Familien unter der Herrschaft des Schreckens geäußerten Wünschen kann nicht davon die Rede sein, daß sich die Bevölkerung auf die in beiden Häfen liegenden Dampfer flüchtet und von Standard-Island wegwendet. Diese Schiffe würden dazu auch gar nicht ausreichen.

Nein, die Raubthiere englischen Transports sollen verfolgt, sollen ausgerottet werden, und dem Juwel des Stillen Oceans wird der Friede bald wie früher wieder lächeln.

Die Milliardeser gehen unverzüglich ans Werk. Einzelne haben gleich Gewaltmittel vorgeschlagen, z. B. das Meer über die Insel wegströmen zu lassen, den Park und die Felder durch Feuer zu verwüsten, um das ganze Gezücht zu ertränken oder zu verbrennen. In jedem Falle blieb das aber wenigstens bezüglich der Amphibien ohne Erfolg, und es schien rathsamer, mittelst Treibjagden vorzugehen.[292]

Das geschieht denn auch.

Hier möge erwähnt sein, daß der Kapitän Sarol, die Malayen und die Neu-Hebridier ihre Mithilfe angeboten haben, die vom Gouverneur angenommen wurde. Die wackern Leute wollten sich erkenntlich zeigen für das, was man für sie gethan. Eigentlich fürchtete der Kapitän Sarol freilich, daß dieser Zwischenfall die Fahrt unterbrechen, daß die Milliardeser und ihre Familien Standard-Island vielleicht verlassen oder wenigstens das Verlangen stellen könnten, sofort nach der Madeleinebay zurückzukehren, was ihm einen starken Strich durch die Rechnung machen würde.

Das Quartett erweist sich als auf der Höhe der Situation und seiner Nationalität würdig. Es sollte niemand sagen können, daß die vier Franzosen nicht mit ihrer Person eingetreten wären, wo es galt, einer Gefahr ins Gesicht zu sehen. Sie stellten sich also unter die Führung Calistus Munbar's, der seiner Rede nach ganz andre Dinge erlebt hat und über diese Löwen, Tiger, Panther und andre unschuldige Bestien mit den Achseln zuckt. Vielleicht ist er früher Thierbändiger gewesen, dieses Enkelkind Barnum's, oder ist mindestens mit einer Menagerie im Lande umhergereist.

Die Treibjagden beginnen noch an demselben Morgen und sind zu Anfang vom Glücke begünstigt.

Am ersten Tage hatten zwei Krokodile die Unklugheit, sich aus dem Serpentineflusse herauszuwagen, und bekanntlich sind diese Saurier zwar im flüssigen Elemente sehr zu fürchten, weit weniger aber auf festem Lande, weil sie sich nur sehr beschwerlich drehen und wenden können. Der Kapitän Sarol und seine Malayen griffen sie beherzt an und, wenn es bei dem einen auch nicht ohne eine Verwundung abging, säuberten von ihnen den Park.

Inzwischen werden noch etwa zehn Stück gesehen, woraus wahrscheinlich die ganze Bande besteht. Es sind große, vier bis fünf Meter lange, also recht gefährliche Thiere. Da sie sich in den Fluß geflüchtet haben, halten sich die Seeleute bereit, sie mit einigen jener explodierenden Kugeln zu begrüßen, die auch den solidesten Schuppenpanzer zu sprengen vermögen.

Andrerseits streifen die Jäger in einzelnen Abtheilungen durch die Felder. Einer von den Löwen wird von Jem Tankerdon erlegt, der damit den Beweis liefert, daß er seinen Jungfernschuß hinter sich und die alte Kaltblütigkeit des Waidmanns im Far-West wiedergefunden hat. Es ist ein prächtiges Exemplar... eines von denen, die mit fünf- bis sechstausend Francs bezahlt werden.[293]

Ein cylindrisches Stahlgeschoß hat dem Thiere das Herz durchbohrt, als es gerade auf das Quartett zusprang, und Pinchinat behauptet, »beim Vorüberfliegen den Wind von seinem Schwanze gefühlt zu haben«.

Am Nachmittage, wo ein Mann von den Milizen einen Biß an der Schulter davonträgt, streckt der Gouverneur eine schöne Löwin zu Boden. John Bull's Hoffnung auf eine spätere Vermehrung der Raubthiere scheint also zu Schanden zu werden.

Im Laufe des Tages fallen einige Tiger von den Kugeln des Commodore Simcoë, der eine Abtheilung Seeleute anführt. Von letzteren ist einer durch einen Tatzenschlag so schwer getroffen worden, daß er nach dem Steuerbordhafen geschafft werden mußte. Nach den eingehenden Meldungen schienen jene greulichen Katzen am zahlreichsten unter den auf die Insel losgelassenen Raubthieren vertreten zu sein.

Mit Einbruch der Dunkelheit ziehen sich die Thiere vor der unausgesetzten Verfolgung nach der Seite der Rammspornbatterie ins Gehölz zurück, woraus sie mit Tagesanbruch vertrieben werden sollen.

Die ganze Nacht dauert das schreckliche Heulen und Brüllen fort und setzt die Frauen und Kinder von Milliard-City in Angst und Schrecken. Standard-Island konnte ja nicht eher wieder zur Ruhe kommen, als bis nachgewiesen war, daß es sich von diesem Vortrab der englischen Armee endgiltig befreit hatte. Das perfide Albion wird natürlich auch jetzt nicht mit den schmeichelhaftesten Ausdrücken belegt.

Früh am Morgen beginnen die Treibjagden wieder wie am Morgen vorher. Auf Anordnung des Gouverneurs und unter Zustimmung des Commodore Simcoë soll der Colonel Stewart nun auch Artillerie verwenden, um die Raubthiere aus ihren Schlupfwinkeln wegzufegen. Von der Rammspornbatterie werden also zwei Geschütze herbeigeschafft, die zum Kartätschenfeuer geeignet sind.

An dieser Stelle ist die Nesselbaumwaldung von einer Trambahnlinie, die sich nach dem Observatorium zu abzweigt, durchzogen. Hier haben eine Anzahl Raubthiere in der Nacht Schutz gesucht. Unter dem niedrigen Gezweig werden einzelne Köpfe von Löwen und Tigern mit unheimlich funkelnden Augen sichtbar. Die Seeleute, die Milizen und die von Jem Tankerdon, Nat Coverley und Hubley Harcourt angeführten Jäger nehmen links von dem Gehölz Aufstellung, um die wilden Thiere abzufangen, die nicht durch den Kartätschenhagel getödtet wurden.[294]

Auf ein Zeichen des Commodore Simcoë geben beide Geschütze gleichzeitig Feuer. Ein furchtbares Geheul ertönt als Antwort. Offenbar sind verschiedne von den Bestien getroffen worden. Die übrigen – gegen zwanzig – stürmen hervor, an deim Quartett vorüber und zwei derselben werden dabei tödtlich von den Kugeln getroffen. In diesem Augenblick stürzt noch ein gewaltiger Tiger heraus und wirft dabei Frascolin so heftig zu Boden, daß er zehn Schritte weit hinrollt.

Seine Kameraden eilen ihm zu Hilfe. Man hebt ihn fast bewußtlos auf, doch kommt er schnell wieder zu sich. Er hat nur einen Stoß erlitten... doch was für einen!

Auch den Kaimans im Flusse ist inzwischen eifrig nachgestellt worden, ohne daß jemand anfänglich weiß, wie es möglich sein wird, sich zu überzeugen, daß man sich wirklich von diesen gefräßigen Thieren befreit habe. Da kommt der Adjunct Hubley Harcourt auf den glücklichen Gedanken, die Schleusen des Flusses öffnen zu lassen, wodurch es möglich wird, gegen die Saurier unter günstigeren Verhältnissen und mit besserem Erfolge vorzugehen.

Ein schöner Hund Nat Coverley's ist das einzige Opfer, das hierbei zu beklagen ist. Von einem Alligator gefaßt, wird das arme Thier gleich in zwei Hälften zerbissen. Dafür sind aber ein Dutzend Saurier unter den Kugeln der Milizen gefallen, und vielleicht ist Standard-Island schon endgiltig von den furchtbaren Amphibien befreit.

Im übrigen beläuft sich die Jagdbeute des Tages auf sechs Löwen, acht Tiger, fünf Jaguare und neun Panther männlichen und weiblichen Geschlechts.

Am Abend sitzt das Quartett, Frascolin, der sich von seinem erlittenen Stoße erholt hat, inbegriffen, an der Tafel im Casino beisammen.

»Ich glaube, wir haben das Schlimmste nun überstanden, meint Yvernes.

– Wenigstens, wenn jener Dampfer als zweite Arche Noahs, antwortet Pinchinat, nicht alle Thiere der Schöpfung mit sich führte...«

Das ist nicht wahrscheinlich, und selbst Athanase Dorémus fühlt sich soweit beruhigt, daß er nach seiner Wohnung in der Fünfunddreißigsten Avenue zurückkehrt. Hier in seinem verbarrikadierten Hause findet er seine alte Wirthschafterin wieder, die schon halb verzweifelt ist bei dem Gedanken, daß von ihrem alten Herrn vielleicht nur noch unförmliche Ueberreste vorhanden sein möchten.


Kapitän Sarol und seine Malayen griffen die Krokodile herzhaft an. (S. 293.)
Kapitän Sarol und seine Malayen griffen die Krokodile herzhaft an. (S. 293.)

Die Nacht vergeht ziemlich ruhig. Kaum vernimmt man aus der Ferne vom Backbordhafen her dann und wann ein Gebrüll, so daß die Annahme[295] gerechtfertigt erscheint, daß eine allgemeine Treibjagd durch die Felder morgen mit der gänzlichen Vernichtung der Raubthiere enden werde.

Mit dem ersten Tagesgrauen treten die einzelnen Abtheilungen der Jäger wieder zusammen. Selbstverständlich ist Standard-Island die letzten vierundzwanzig Stunden auf derselben Stelle liegen geblieben, da auch das Maschinenpersonal am Rettungswerke vollzählig theilnehmen muß.

Zu je zwanzig Mann vereinigt und mit Schnellfeuergewehren ausgerüstet, durchstreifen die einzelnen Abtheilungen nun die ganze Insel. Von der nochmaligen[296] Verwendung von Kanonen hat der Colonel Stewart jetzt, wo sich die Raubthiere mehr zerstreut haben, absehen zu sollen geglaubt. Dreizehn Raubthiere erliegen den wohlgezielten Kugeln in der Umgebung der Achterbatterie, doch mußte man nicht ohne Mühe zwei Zollbeamte erst von einem Tiger und einem weiblichen Panther befreien, die den Männern schwere Verletzungen beigebracht hatten.

Hiermit steigt die Zahl der seit der ersten Treibjagd erlegten Thiere auf dreiundfünfzig.[297]

Es ist um vier morgens. Cyrus Bikerstaff und der Commodore Simcoë, Jem Tankerdon und sein Sohn, Nat Coverley und die beiden Adjuncten nebst einigen Notabeln begeben sich, begleitet von einer Abtheilung Miliz, nach dem Stadthause, wo der versammelte Rath die von den beiden Häfen und von der Rammsporn- und der Achterbatterie eingehenden Berichte erwartet.


Walter wird mit halbzerrissener Schulter aufgehoben (S. 298.)
Walter wird mit halbzerrissener Schulter aufgehoben (S. 298.)

Als sie sich kaum noch hundert Schritte von dem Gebäude befinden, ertönt ein lautes Geschrei. Eine Menge Menschen, Frauen und Kinder, fliehen, von panischem Schrecken ergriffen, längs der Neunten Avenue dahin.

Sofort eilen der Gouverneur, der Commodore Simcoë und ihre Begleiter nach dem Square, dessen Mittelthor hätte geschlossen sein sollen. In Folge einer unbegreiflichen Nachlässigkeit aber stand das Thor offen, und es erscheint nicht zweifelhaft, daß eines der Raubthiere – vielleicht das letzte – dadurch in die Stadt eingedrungen ist.

Nat Coverley und Walter Tankerdon, die den übrigen voraus sind, stürmen zuerst nach dem Square.

Plötzlich wird Walter Tankerdon, in kaum drei Schritte Entfernung von Nat Coverley, von einem mächtigen Tiger zu Boden geworfen.

Nat Coverley, der nicht Zeit gewinnen konnte, sein Gewehr zu laden, reißt das Jagdmesser aus dem Gürtel und eilt Walter Tankerdon zu Hilfe, als das Raubthier eben seine Tatzen in die Schultern des jungen Mannes einschlagen will.

Walter ist gerettet, der Tiger aber dreht sich um und greift nun Nat Coverley an.

Dieser stößt dem Thiere das Messer in den Leib, ohne damit das Herz zu treffen, und stürzt selbst rückwärts nieder.

Der Tiger weicht brüllend und mit offnem Rachen ein wenig zurück, als wolle er zum Sprunge ausholen.

Da kracht ein Schuß.

Jem Tankerdon ist es, der ihn abgegeben hat.

Eine zweite Detonation...

Es ist die Gewehrkugel, die im Leibe des Tigers explodiert.

Man hebt Walter mit halbzerrissener Schulter auf.

Wenn Nat Coverley auch nicht verletzt ist, so hat er dem Tode wohl noch nie so nahe ins Auge gesehen.

Er erhebt sich, geht auf Jem Tankerdon zu und spricht mit ernster Stimme:[298]

»Sie haben mich gerettet... ich danke Ihnen!«

Damit reichen sich beide die Hand, als Zeichen der Erkenntlichkeit, die sich vielleicht in eine innige Freundschaft verwandeln könnte.

Walter wird sofort nach dem Hôtel der Neunzehnten Avenue geschafft, wohin sich seine Angehörigen geflüchtet haben, während Nat Coverley am Arme Cyrus Bikerstaff's seine eigne Wohnung aufsucht.

Was den Tiger angeht, hat es der Oberintendant auf sich genommen, das prächtige Fell zu verwerthen. Das Thier soll bestens ausgestopft, im Naturwissenschaftlichen Museum von Milliard-City aufgestellt werden und die Inschrift erhalten:

»Geschenk des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland an das dankbare Standard-Island.«

War das Attentat auf die Schuld Englands zu schreiben, so konnte man sich wohl gar nicht passender rächen, wenigstens ist das die Ansicht Pinchinat's, der in solchen Sachen Kenner ist.

Nach dem Vorhergegangenen darf es nicht Wunder nehmen, daß Mrs. Tankerdon schon am nächsten Tage der Mrs. Coverley einen Besuch abstattet, um sich für den, dem armen Walter erwiesenen Dienst zu bedanken, und daß Mrs. Coverley den Besuch erwidert, um für den ihrem Gatten erwiesenen Dienst auch ihren Dank abzustatten. Miß Dy wollte sogar ihre Mutter begleiten, denn beiden lag ja viel daran, zu hören, wie es ihrem lieben Verwundeten ergehen mochte.

Nun hat sich alles zum Besten gewendet und Standard-Island kann, befreit von den furchtbaren Gästen, seine Fahrt nach den Fidschi-Inseln in voller Sicherheit wieder aufnehmen.[299]

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 292-300.
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