Neuntes Capitel.
Cyrus ist ja da! – Pencroff's Versuche. – Geriebenes Holz. – Insel oder Festland? – Des Ingenieurs Projecte. – Auf welchem Punkte des Pacifischen Oceans? – Mitten im Walde. – Die Pinie. – Eine Wasserschweinjagd. – Rauch von guter Vorbedeutung.

[85] Mit wenigen Worten erfuhren Gedeon Spilett, Harbert und Nab den betrübenden Zufall. Bei den schweren Folgen, welche dieser, wenigstens nach Pencroff's Meinung, haben konnte, machte derselbe doch auf die Gefährten des wackeren Seemanns einen sehr verschiedenen Eindruck.

Ueber der Freude, seinen Herrn wieder gefunden zu haben, hörte Nab entweder gar nicht, oder schien doch keine Luft zu haben, sich wegen der Worte Pencroff's Sorge zu machen.

Harbert theilte bis zu gewissem Grade die Befürchtungen des Seemanns.

Der Reporter endlich antwortete Pencroff hingeworfen:

»Meiner Treu, Pencroff, das ist mir ganz gleichgiltig!

– Ich wiederhole Ihnen aber, daß wir kein Feuer mehr haben.

– Was will das sagen!

– Und daß wir keines wieder anzünden können.

– Bah!

– Aber, Mr. Spilett ...

– Nun, ist denn Cyrus nicht da? fiel ihm der Reporter in's Wort. Lebt er etwa nicht, unser Ingenieur? Er wird schon Mittel finden, uns Feuer zu verschaffen!

– Und womit und woraus?

– Mit und aus Nichts!«[85]

Was antwortete Pencroff hierauf? – Er antwortete eben gar nicht, denn im Grunde theilte er das Vertrauen seiner Genossen zu Cyrus Smith. Der Ingenieur bildete für sie eine Welt im Kleinen, ein Conglomerat aller menschlichen Einsicht und Weisheit. Sich mit Cyrus auf einer wüsten Insel zu befinden, war dasselbe, als ohne ihn in der gewerbfleißigsten Stadt der Union zu sein. Mit ihm konnte es an Nichts schien; mit ihm war nie zu verzweifeln. Hätte man den braven Leuten gesagt, daß eine Vulkaneruption dieses Land verwüsten, daß es in die Tiefen des Stillen Oceans versinken werde, sie hätten gewiß gerufen: »Oho, Cyrus ist ja da!«

In Folge des Transportes war der Ingenieur aufs Neue einer tiefen Erschöpfung verfallen und konnte man für den Augenblick wenigstens sich keinen Rath von ihm erholen Das Abendbrod fiel nothwendigerweise sehr mager aus. Nicht nur hatte man das Tetrafleisch bis zur Neige aufgezehrt, sondern man besaß auch kein Mittel, ein Stück Wild zuzurichten. Der Vorrath von Kurukus war verschwunden und nun wurde guter Rath theuer.

Vor Allem schaffte man Cyrus Smith in den mittleren Raum der Höhle. Dort gelang es, ihm aus trocken gebliebenen Algen und Varecbüscheln ein leidliches Lager zurecht zu machen. Der tiefe Schlaf, der ihn umfing, versprach ja seine Kräfte schneller wieder herzustellen, als das eine, wenn auch reichliche Nahrung vermocht hätte.

Die Nacht sank herab und mit ihr kühlte sich die Luft merklich ab, da der Wind inzwischen nach Nordosten umschlug. Da nun das Meer gleichzeitig Pencroff's Verschluß zwischen den einzelnen Lücken der verschiedenen Abtheilungen hinweggespült hatte, so entstand ein Luftzug, der den Aufenthalt in den Kaminen sehr unbehaglich machte. Der Ingenieur wäre gewiß sehr übel daran gewesen, wenn seine Genossen sich nicht ihrer entbehrlichen Kleidungsstücke entledigt und Jenen sorgsam damit zugedeckt hätten.

Das Abendbrod bestand an diesem Tage nur aus den unvermeidlichen Steinmuscheln, welche Harbert und Nab in reichlicher Menge am Strande einsammelten. Zu diesen Mollusken fügte der junge Mann noch eine gewisse Quantität eßbarer Algen, die er auf den hohen Felsen, deren Wand das Meer nur bei der Springfluth benetzte, antraf. Diese zu der Familie der Meergräser gehörende Art schwimmenden Tangs bildete eine gallertartige, ziemlich nahrhafte Masse Nachdem der Reporter und seine Gefährten nicht wenige Steinmuscheln verzehrt hatten, kosteten sie jenen Tang und fanden[86] ihn von ganz erträglichem Geschmacke. Derselbe gehört übrigens an den asiatischen Küsten zum nicht geringsten Theile zur Nahrung der Eingeborenen.

»Ganz gleich! sagte der Seemann, es ist Zeit, daß Mr. Cyrus uns zu Hilfe kommt!«

Inzwischen wurde die Kälte recht lebhaft und kein Mittel besaß man, sie zu bekämpfen.

Durch alle möglichen Mittel versuchte der wirklich genarrte Seemann, sich Feuer zu verschaffen. Nab half ihm treulich dabei. Er hatte einige trockene Moose gefunden und schlug über diesen zwei Kiesel aneinander, welche wohl Funken gaben, aber nicht hinreichend, um das etwas schwer entzündliche Moos in Brand zu setzen.. Mit einem Worte, der Versuch mißlang trotz aller darauf verwendeten Mühe.

Obwohl Pencroff kein Vertrauen zu dem Verfahren hatte, so ging er doch auch daran, nach Art der Wilden zwei Hölzer aneinander zu reiben. Hätte die von Nab und ihm ausgeführte Bewegung sich, entsprechend den neueren Theorien, in Wärme umgesetzt, so mußte diese wohl hinreichen, einen Dampfkessel zum Sieden zu bringen! Auch das hieraus entspringende Resultat war gleich Null. Die Holzstücke erwärmten sich wohl etwas, aber noch weit weniger, als die Arbeitenden selbst.

Nach einer Stunde fruchtloser Bemühung warf Pencroff die Holzstücke ärgerlich bei Seite.

»Wenn mir wieder Einer weismachen will, daß sich die Wilden auf diese Weise Feuer verschaffen, sagte er, so wird mir's gleich selbst warm, selbst im Winter. – Da bring' ich doch noch eher meine Arme in Flammen, wenn ich sie übereinander reibe!«

Dennoch hatte der Seemann Unrecht, dieses Verfahren ganz zu leugnen. Es steht fest, daß die Wilden sich durch rasche Reibung zweier Holzstücken Feuer zu entzünden verstehen. Einmal eignet sich aber nicht jedes beliebige Holz hierzu, und dann verlangt es auch einen gewissen Kunstgriff, der Pencroff wahrscheinlich fehlte.

Pencroff's üble Laune war übrigens nicht von langer Dauer; Harbert hatte die von ihm weggeworfenen Holzstücke aufgenommen und that sein Möglichstes, sie nach besten Kräften zu reiben. Der robuste Seemann konnte[87] sich des Lächelns nicht enthalten, als er bemerkte, daß der junge Mann da Etwas zu erreichen versuchte, wo es ihm selbst fehl geschlagen war.

»Immer reibe, mein Junge, reibe nur zu! sagte er.

– Ich reibe, entgegnete Harbert lächelnd, nur mit der Absicht, mich selbst warm zu machen, und das wird mir bald ebenso gelungen sein, wie Dir, Pencroff.«


Auf der Tragbahre eingeschlafen. (S. 84.)
Auf der Tragbahre eingeschlafen. (S. 84.)

Das geschah denn auch. Leider mußte man für diese Nacht auf Feuer[88] vollkommen verzichten. Gedeon Spilett wiederholte zum zwanzigsten Male, daß Cyrus Smith einer solchen Kleinigkeit wegen nicht in Verlegenheit sein werde.


Pencroff's Versuche, Holz zu entzünden. (S. 87.)
Pencroff's Versuche, Holz zu entzünden. (S. 87.)

Geduldig streckte er sich auf sein Lager im Sande. Harbert, Nab und Pencroff folgten ihm nach, während Top zu Flißen seines Herrn schlief.

Als der Ingenieur am Morgen des 28. März erwachte, sah er seine Gefährten neben sich, die seinen Schlaf bewachten, und so wie Tags vorher waren seine ersten Worte:[89]

»Insel oder Festland?«

Man erkannte, daß das zur fixen Idee bei ihm geworden war.

»Schön, schön, antwortete Pencroff, wir wissen darüber nur leider noch Nichts, Mr. Smith.

– Das wißt Ihr noch nicht?

– Werden es aber sofort erfahren, fügte Pencroff hinzu, wenn wir Sie als Lootsen durch dieses Land haben werden.

– Ich glaube im Stande zu sein, das unternehmen zu können, erwiderte der Ingenieur, erhob sich ohne große Anstrengung und blieb auch stehen.

– Das ist ja prächtig! rief der Seemann.

– Doch komme ich bald vor Erschöpfung um, sagte Cyrus Smith, gebt mir etwas zu essen, meine Freunde, dann wird's vorüber sein. Ihr habt doch Feuer, nicht wahr?«

Auf diese Frage folgte keine sofortige Antwort, doch sagte Pencroff nach einigen Augenblicken:

»Ach nein, wir haben kein Feuer, Mr. Cyrus, oder vielmehr, wir haben keines mehr!«

Der Seemann erzählte, was sich am Tage vorher zugetragen hatte, und erheiterte den Ingenieur weidlich durch seinen drastischen Bericht über das einzige Zündhölzchen und seinen vergeblichen Versuch, nach Art der Wilden Feuer zu machen.

»Das werden wir uns gut überlegen müssen, antwortete der Ingenieur, und im Falle wir keine Substanz, etwa wie Schwamm, entdecken ...

– Nun dann? fragte der Seemann.

– Nun, dann machen wir uns Streichhölzchen

– Chemische?

– Chemische!

– Da ist das Eine nicht schwerer als das Andere«, bemerkte der Reporter, und schlug dem Seemann auf die Schulter.

Dieser fand die Sache gar nicht so einfach, widersprach aber nicht. Alle gingen hinaus, da das Wetter recht freundlich geworden war. Hell glänzte die Sonne über dem Meere und vergoldete die Vorsprünge der Felsenmauer mit blitzenden Lichtern.

Nachdem er einmal schnell umhergeblickt hatte, setzte sich der Ingenieur[90] auf einen Felsblock. Harbert bot ihm eine Handvoll Miesmuscheln und Seetang an.

»Das ist Alles, was wir besitzen, Mr. Cyrus, sagte er.

– Ich danke, mein Sohn, antwortete Cyrus Smith, für diesen Morgen genügt es ja.«

Mit Vergnügen verzehrte er diese magere Nahrung, die er mit etwas frischem, in einer großen Muschel aus dem Flusse geschöpftem Wasser benetzte.

Schweigend umstanden ihn seine Gefährten. Nachdem sich Cyrus Smith, so gut es eben anging, gestärkt hatte, kreuzte er die Arme und sagte:

»Meine lieben Freunde, Ihr wißt also noch nicht, ob das Schicksal uns nach einer Insel oder einem Festlande geworfen hat?

– Nein, Mr. Cyrus, antwortete der junge Mann.

– Morgen werden wir uns darüber klar werden, fuhr der Ingenieur fort; bis dahin ist Nichts zu machen.

– Doch, versetzte Pencroff.

– Was denn?

– Feuer, sagte der Seemann, der auch seinerseits von einer fixen Idee geplagt wurde.

– Darum sorgen Sie sich nicht, Pencroff, erwiderte Cyrus Smith. – Als Ihr mich hierher trugt, glaubte ich im Westen einen höheren, die ganze Umgebung beherrschenden Berg zu sehen?

– Gewiß, bestätigte Gedeon Spilett, einen Berg von sehr beträchtlicher Höhe ...

– Gut, unterbrach ihn der Ingenieur, morgen besteigen wir dessen Gipfel und halten Umschau. Bis dahin, wiederhole ich, ist Nichts zu thun.

– Und doch, wir müssen Feuer machen, wiederholte auch nochmals der Seemann.

– Das soll und wird ja geschehen! erwiderte Gedeon Spilett. Nur etwas Geduld, Pencroff!«

Der Seemann maß Gedeon Spilett mit einem eigenthümlichen Blicke, so als wollte er sagen: »Wenn's nur auf den ankäme, würden wir noch lange auf ein Stück Braten zu warten haben!« Doch er schwieg.

Cyrus Smith hatte bei diesem Zwiegespräch kein Wort fallen lassen. Die[91] Frage wegen des Feuers schien ihn nur wenig zu bekümmern. Einige Augenblicke blieb er in Gedanken versenkt, dann begann er:

»Meine Freunde, wir befinden uns zwar in einer recht bedauerlichen Lage, doch ist diese sehr einfach. Entweder beherbergt uns jetzt ein Festland, dann werden wir um den Preis größerer oder geringerer Anstrengung irgend einen bewohnten Punkt zu erreichen suchen; oder aber, wir sind auf einer Insel. Im letzteren Falle ist zweierlei möglich: entweder hat sie Bewohner, dann werden wir uns mit denselben so gut als möglich abfinden müssen, oder sie ist wüst, dann gilt es, uns mit eigenen Kräften zu helfen.

– Gewiß liegt das auf der Hand, meinte Pencroff.

– Doch, ob Festland oder Insel, fragte Gedeon Spilett, wohin meinen Sie überhaupt, Mr. Cyrus, daß uns dieser Orkan verschlagen habe?

– Ganz genau kann ich das natürlich nicht wissen, entgegnete der Ingenieur, doch sprechen alle Annahmen für ein Land des Pacifischen Oceans. Als wir Richmond verließen, wehte der Wind aus Nordosten, und seine Stärke macht es wahrscheinlich, daß er diese Richtung auch beibehalten hat. Darnach wären wir über die Staaten Nord-Carolina, Süd-Carolina und Georgia, über den Mexicanischen Golf und Mexico selbst, und endlich über einen Theil des Stillen Oceans geflogen. Die vom Ballon zurückgelegte Entfernung schätze ich nicht unter 6 bis 7000 Meilen; im Fall die Richtung des Windes aber sich etwas geändert hat, so müßte er uns entweder nach dem Mendana-Archipel oder nach den Pomotu-Inseln, hätte er aber eine noch größere Geschwindigkeit besessen, als ich annehme, vielleicht nach Neu-Seeland geführt haben. Sollte sich letztere Annahme bestätigen, so würden wir leicht nach Hause zurückkehren können. Ob Engländer oder Maoris, wir träfen auf jeden Fall Menschen. Gehört diese Küste im Gegentheil aber zu einer wüsten Insel eines mikronesischen Archipels, was von dem Berggipfel im Innern aus vielleicht zu erkennen ist, so werden wir uns hier, so als sollten wir nimmer fortkommen, möglichst gut einzurichten suchen.

– Nimmer! rief der Reporter, Sie sagen: Nimmer! Lieber Cyrus?

– Besser ist, entgegnete der Ingenieur, zuerst den schlimmsten Fall in's Auge zu fassen, dann kann jeder Zufall unsere Lage nur noch verbessern.

– Sehr wahr, bemerkte der Seemann. Zudem steht zu hoffen, daß diese Insel, wenn es überhaupt eine solche ist, nicht ganz und gar außerhalb der gewöhnlichen Schiffsstraßen liegt. Das hieße sonst wahrlich unglücklich spielen.[92]

– Woran wir sind, können wir vor Besteigung jenes Berges zunächst nicht wissen, antwortete der Ingenieur.

– Doch, Mr. Cyrus, fragte Harbert, werden Sie morgen schon im Stande sein, sich der Strapaze einer Besteigung auszusetzen?

– Das hoffe ich, mein junger Freund, erwiderte der Ingenieur, in der Voraussetzung freilich, daß Meister Pencroff und Du Euch als geschickte Jäger erweist.

– Mr. Cyrus, antwortete der Seemann, da Sie vom Jagen sprechen, wenn ich ebenso gewiß wäre, bei der Rückkehr ein Stück Wild hier braten zu können, wie ich es bin, ein solches heim zu bringen ...

– Bringen Sie nur solches, Pencroff«, fiel ihm Cyrus in's Wort.

Man kam demnach überein, daß der Reporter und der Ingenieur zum Zwecke der Untersuchung der nördlicheren Küste und ihres Oberlandes zurückbleiben, Nab, Harbert und der Seemann aber nach dem Walde gehen sollten, um sowohl den Holzvorrath wieder zu erneuern, als auch Alles nieder zu machen, was ihnen von Vögeln oder Vierfüßlern an eßbarem Wilde in die Hände fiele.

Gegen zehn Uhr Morgens brachen sie auf, Harbert voll Vertrauen, Nab sehr lustig, Pencroff die Worte murmelnd:

»Wenn ich bei meiner Rückkehr im Hause Feuer antreffe, dann hat es der Blitz in höchsteigener Person angezündet!«

Alle drei gingen längs des Ufers bis nach der Stelle, wo der Fluß den scharfen Winkel bildete. Dort blieb der Seemann stehen und sagte zu seinen Begleitern:

»Was beginnen wir zunächst, die Jagd oder das Holzsammeln?

– Die Jagd, die Jagd! drängte Harbert. Top spürt ja schon umher.

– Nun gut, versetzte der Seemann, so fassen wir hier unseren Holzvorrath später.«

Harbert, Nab und Pencroff bewaffneten sich hierauf mit abgebrochenen Tannenästen und folgten Top, der in dem hohen Grase voraus sprang.

Statt dem Flußufer weiter zu folgen, drangen die Jäger diesmal tiefer in das Innere des Waldes ein, welches überall dieselben, meist zur Familie der Fichten gehörigen Baumarten zeigte. An manchen Stellen verriethen einzelne oder in kleineren Gruppen stehende Fichten von beträchtlichem Umfange, daß dieses Land wohl unter höheren Breitegraden liegen möchte, als[93] der Ingenieur es annahm. Einige mit gestürzten Stämmen bedeckte Waldblößen versprachen einen unerschöpflichen Vorrath von Heizmaterial. Weiterhin standen die Bäume wieder dichter, so daß man nur mit Mühe zwischen ihnen hindurchdringen konnte.

Da es schwierig erschien, sich in diesem Baumlabyrinthe zurecht zu finden, bezeichnete der Seemann den eingeschlagenen Weg durch halb abgebrochene Aeste. Vielleicht hatten die Jäger aber Unrecht gethan, nicht dem Wasserlaufe nachzugehen, so wie Harbert und Pencroff bei ihrem ersten Ausfluge, denn schon war eine Stunde verlaufen, ohne daß ihnen irgend ein Stück Wild zu Gesicht kam. Wenn Top unter den niedrig hängenden Zweigen hinlief, scheuchte er nur Vögel auf, die man nicht erlangen konnte. Selbst Kurukus blieben vollkommen unsichtbar, und es erschien dem Seemanne nicht unwahrscheinlich, sich zur Rückkehr nach jener sumpfigen Stelle genöthigt zu sehen, an der er mit der Tetra-Angelei so entschiedenes Glück gehabt hatte.

»Nun, Pencroff, sagte Nab mit leicht spöttelndem Tone, wenn das das ganze Wild ist, das Sie meinem Herrn nach Hause zu bringen versprachen, dann wird es kein großes Feuer zum Braten nöthig haben.

– Nur Geduld, Nab, erwiderte der Seemann, an Jagdbeute soll es uns bei der Rückkehr nicht fehlen.

– Sie haben also kein Zutrauen zu Mr. Smith?

– O doch!

– Sie glauben aber nicht daran, daß er uns Feuer verschaffen wird?

– Das glaube ich erst, wenn ich es auf dem Herde flackern sehe.

– Mein Herr hat's aber gesagt, es wird also der Fall sein.

– Wir werden ja sehen!«

Noch hatte die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel nicht erreicht. Man zog also weiter, wobei Harbert zunächst einen Baum mit eßbaren Früchten entdeckte. Es war das eine Pinie, welche eine ausgezeichnete, in den gemäßigten Theilen Amerikas und Europas hochgeschätzte Kernfrucht liefert. Die Früchte erwiesen sich eben als vollkommen reif, und Harbert empfahl sie seinen beiden Begleitern, welche sich daran ein Gütchen thaten.

»Nun, meinte Pencroff, Algen an Stelle des Brodes, rohe Miesmuscheln[94] an der des Fleisches und Mandeln1 zum Nachtisch, so klingt die passende Speisekarte für Leute, die kein einziges Zündhölzchen mehr besitzen!

– Darüber ist auch noch nicht zu klagen, erwiderte Harbert.

– Ich beklage mich auch nicht, mein Junge, entgegnete Pencroff, ich wiederhole nur, daß das Fleisch bei dieser Diät etwas gar zu sehr mangelt.

– Das scheint Top's Ansicht nicht zu sein ...« rief Nab, der auf ein Dickicht zusprang, in welchem der Hund eben bellend verschwand, und ihm ein eigenthümliches Grunzen antwortete.

Der Seemann und Harbert folgten Nab. Wenn man ein Stück Wild erlegen konnte, so war jetzt nicht die Zeit, darüber zu streiten, ob man es werde braten können oder nicht.

Bald holten die Jäger Top ein und sahen, wie dieser ein Thier an dem einen Ohre gepackt hatte. Es war das eine Art Schwein von etwa zwei und ein halb Fuß Länge, schwarzbrauner, am Bauche hellerer Farbe, mit starren, aber nicht sehr dichten Borsten, dessen Fußzehen, welche jetzt kräftig in den Boden eingeschlagen waren, durch eine Schwimmhaut verbunden erschienen.

Harbert glaubte in diesem Thiere einen Cabiai oder sogenanntes Wasserschwein, d.h. ein Exemplar der größten Nagerfamilie, zu erkennen.

Der Cabiai vertheidigte sich nicht sonderlich gegen den Hund, und rollte nur seine, hinter dicken Fettringen halb versteckten Augen hin und her. Menschen sah er vielleicht überhaupt zum ersten Male.

Als Nab aber seinen Stock eben fester packte und dem Nager zu Leibe gehen wollte, entriß sich dieser Top's Zähnen, in welchen nur die Spitze eines Ohres zurück blieb, grunzte heftig, stürzte auf Harbert los, rannte diesen halb um und verschwand im Gebüsche.

»Ah, der Schurke!« rief Pencroff.

Alle folgten eiligst Top's Spuren, und als sie diesen eben einholten, sahen sie jenes Thier unter das Wasser eines ausgedehnten, von hundertjährigen Fichten umstandenen Sumpfes tauchen.

Verwundert blieben Nab, Harbert und Pencroff stehen. Top war in das Wasser nachgesprungen, aber der auf dem Grunde desselben versteckte Cabiai ließ sich nicht erblicken.


Tops erste Jagdbeute. (S. 95.)
Tops erste Jagdbeute. (S. 95.)

[95] »Warten wir ein wenig, sagte der junge Mann, er muß bald einmal emportauchen, um Athem zu schöpfen.

– Wird er nicht ersaufen? fragte Nab.

– O nein, antwortete Harbert, er hat ja Schwimmfüße und fast die Natur einer Amphibie. Wir wollen ihm aber aufpassen.


 »Harbert! Nab! da seht einmal!« (S. 98.)
»Harbert! Nab! da seht einmal!« (S. 98.)

Top schwamm noch immer im Wasser. Pencroff und seine Gefährten besetzten an geeigneten Stellen das Ufer, um dem Cabiai den Rückzug abzuschneiden.[96]

Harbert täuschte sich nicht. Nach einigen Minuten kam das Thier wieder auf die Oberfläche. Top stürzte, so schnell er konnte, auf dasselbe zu und hinderte es, wieder unterzutauchen. Einen Augenblick nachher hatte er dasselbe zum Ufer geschleppt, wo es einem Stockschlage Nab's erlag.

»Hurrah! rief Pencroff, der gern ein Triumphgeschrei erhob. Nun blos noch eine glimmende Kohle, und der Nager soll bald selbst bis auf die Knochen abgenagt sein!«[97]

Pencroff lud den Cabiai auf die Schulter, und da er dem Sonnenstande nach glaubte, daß es gegen zwei Uhr sei, veranlaßte er die Heimkehr.

Top's Instinct kam den Jägern trefflich zu statten, die, von jenem geführt, leicht ihren Weg wieder fanden. Eine halbe Stunde nachher erreichten sie schon die Biegung des Flusses.

Ebenso wie das erste Mal machte Pencroff eine Holzladung zurecht, eine Arbeit, die ihm trotz des noch mangelnden Feuers geboten erschien, und so gelangte man, das Floß auf dem Wasser hinleitend, nach den Kaminen zurück.

Noch fünfzig Schritte davor blieb der Seemann stehen, und mit erneutem Triumphgeschrei wies er nach der Ecke, an der sich ihre Wohnung befand.

»Harbert! Nab! Da seht einmal!« rief er.

Ein lustig wirbelnder Rauch stieg über die Felsen empor!

Fußnoten

1 Die Frucht der Pinie hat den Geschmack der süßen Mandel. D. Uebers.


Quelle:
Jules Verne: Die geheimnisvolle Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIV–XVI, Wien, Pest, Leipzig 1876, S. 98.
Lizenz:

Buchempfehlung

Bjørnson, Bjørnstjerne

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.

70 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon