Siebenzehntes Capitel.
Hohe See und Nebel. – Entertainment des Kapitän Anderson.

[76] Während der Nacht von Montag auf Dienstag ging das Meer außerordentlich hoch; die Deckzimmer ächzten wieder erbärmlich, und die Collis begannen von Neuem, in den Sälen auf und ab zu laufen. Als ich gegen sieben Uhr Morgens auf das Verdeck stieg, hatte sich ein frischer Wind aufgemacht, und es regnete. Der wachthabende Officier ließ die Segel reffen, und nun, da der Steamer nicht mehr gestützt wurde, begann er heftig zu rollen. Während dieses ganzen Tages, wir hatten den 2. April, war das Verdeck total verlassen, ja, sogar die Salons blieben leer. Die Passagiere hatten sich in die Cajüten geflüchtet, und beim Lunch und Mittagessen fehlten fast zwei Drittel der Gäste.

Jede Partie Whist war unmöglich geworden, denn die Tische glitten den Spielern unter den Händen fort; auch das Schachspiel verbot sich von selbst. Einige der Unerschrockensten lagen auf den Sophas und lasen oder schliefen, und die Matrosen gingen in Theerjacke und Regenmantel philosophisch auf dem Verdeck spazieren. Der Obersteuermann hielt, in seinen Kautschuk mantel gehüllt, auf dem Stege Wache; seine kleinen Augen glänzten vor Vergnügen bei diesen Regengüssen und Windstößen, er liebte solch' Wetter, und es schien fast, als rollte das Dampfschiff zu seinem ganz besondern Privatvergnügen.

Einige Kabellängen vom Schiffe ab verschwammen die Wasser des Himmels und der Erde in einen dichten Nebel; so weit man sehen konnte, Alles grau in grau; nur hier und da flogen einige Vögel schreiend durch den Sturm. Um zehn Uhr wurde von Steuerbord her eine Dreimaster-Barke signalisirt, die hinter dem Winde segelte; ihre Nationalität war jedoch nicht zu erkennen.

Gegen elf Uhr erschlaffte der Wind und drehte sich um zwei Viertel; die Brise wandte sich gegen Nordwest, und der Regen hörte fast plötzlich auf. Bald schien das Blau des Himmels hier und da durch die Wolken, die[76] Sonne brach sich Bahn und gestattete, genauere Beobachtungen anzustellen. Die Notiz an der Saalthür enthielt folgende Ziffern:


Lat. 46°29' N.

Long. 42°25' W.

Distance: 256 Miles.


Die Schnelligkeit des Great-Eastern hatte sich also, trotzdem der Druck in den Kesseln gestiegen war, nicht vermehrt, und hieran war der Westwind schuld, der das Schiff von vorn erfaßte und beträchtlich in seinem Gange hemmte.

Um zwei Uhr verdichtete sich der Nebel wieder, die Brise setzte abermals ein und wurde frisch, und der Nebel consolidirte sich dermaßen, daß die auf den Stegen postirten Officiere nicht mehr die Personen auf dem Vordertheil des Schiffes sehen konnten. Diese über der Fluth zusammengeballten Dünste machen die größte Gefahr der Schifffahrt aus; sie verursachen Zusammenstöße, die nicht vorhergesehen und daher nicht vermieden werden können, und ein solches Unglück ist noch furchtbarer als selbst eine Feuersbrunst.

Aus diesem Grunde wachten Officiere wie Matrosen mit größter Sorgfalt, und wie sich alsbald herausstellte, nicht umsonst. Gegen drei Uhr erschien ganz plötzlich, in etwa zweihundert Meter Entfernung von unserm Steamer, ein Dreimaster, dessen Segel durch ein Umspringen des Windes maskirt waren; steuern konnte er nicht mehr. Der Great-Eastern schwenkte bei Zeiten ab und ging ihm, Dank der Schnelligkeit, mit der der Steuermann ihn signalisirt hatte, aus dem Wege.

Die ausgezeichnet regulirten Signale wurden mit einer Glocke gegeben, die auf dem Deckzimmer des Vordertheils befestigt war. Wurde sie ein Mal angezogen, so bedeutete es: Schiff vorn. Zwei Mal: Schiff Steuerbord, und drei Mal: Schiff Backbord, und als bald steuerte der Mann am Ruderhause so, daß ein Zusammenstoß unmöglich wurde.

Der Wind wehte frisch, bis der Abend hereinbrach, trotzdem aber nahm das Rollen ab, denn das Meer wurde schon aus der Ferne durch die seichten Gründe von Neufundland gedeckt und konnte sich nicht mehr vollständig entwickeln. Auch wurde von Sir James Anderson für heute ein neues »Entertainment« angekündigt, und zur angesagten Stunde füllten sich von Neuem die Säle. Dies Mal aber gedachte er uns nicht mit Kartenkunststücken zu unterhalten, sondern erzählte uns von seiner Legung des transatlantischen Kabels. Er zeigte verschiedene photographische Aufnahmen von Maschinen,[77] die eigens für die Versenkung desselben erfunden waren, und ließ das Modell der Splissungen circuliren, die zum Aneinanderflechten der Kabel-Stücke gedient hatten. Kurz, er verdiente mit vollem Recht die drei Hurrahs, mit denen seine Mittheilungen aufgenommen wurden, und die auch zugleich dem sehr ehrenwerthen Cyrus Field galten, der bei dieser Soirée mit zugegen war.

Quelle:
Jules Verne: Eine schwimmende Stadt. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 76-78.
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