Elftes Capitel.
Der Abend des 2. März.

[136] James Burbank, seine Freunde und der größte Theil der Schwarzen waren zum Kampfe gerüstet und erwarteten nur noch den Angriff. Nach den getroffenen Anordnungen sollte man diesem zuerst hinter den Planken der Umzäunung, welche den reservirten Park abschlossen, begegnen und den Kampf unter dem Schutze der Mauern des Castle-House fortsetzen, im Falle man nach Erstürmung des Parkes in dieses flüchten müßte.

Gegen fünf Uhr verkündete ein schon ziemlich deutlich vernehmbares Geschrei, daß die Angreifer nicht mehr fern sein konnten. Doch auch ohne dieses Zeichen hätte man leicht genug erkannt, daß sie schon in dem ganzen nördlichen Theil der Pflanzung hausten. An verschiedenen Stellen wirbelten nämlich schwarze Rauchsäulen über die den Horizont abschließenden Waldungen empor. Offenbar waren die Sägemühlen in Brand gesteckt worden und jedenfalls fielen auch die Baracken der Schwarzen nach vorhergegangener Plünderung dem gierigen Elemente zum Raube. Die armen Neger hatten kaum Zeit gehabt, nur einige Gegenstände aus ihren verlassenen Hütten in Sicherheit zu bringen, Gegenstände, welche erst durch den Act der Freigebung wirklich in ihren Besitz übergegangen waren. Natürlich antworteten von ihrer Seite vielfache Ausrufe berechtigter Wuth auf das Geheul der feindlichen Bande. Es war ja ihr eigenes Gut, das die Uebelthäter bei diesem Einbruch nach Camdleß-Bay vernichteten.

Inzwischen näherte sich das Geschrei dem Castle-House immer mehr und mehr. Ein dunkler Schein beleuchtete den Horizont im Norden, als wenn die Sonne in dieser Himmelsgegend untergegangen wäre. Manchmal wälzte sichein warmer Rauch bis zum Herrenhause und man hörte heftige Detonationen, die von dem Krachen der trockenen, auf den Zimmerplätzen der Pflanzung aufgestapelten Hölzer herrührten; dann wieder verrieth eine gewaltige Explosion, daß ein Dampfkessel in den Sägemühlen gesprungen war, mit einem Wort, Alles bewies, daß die Verwüstung im vollem Gange war.

Noch befanden sich die Herren James Burbank, Carrol und Stannard außerhalb des engen Thores der Umzäunung. Hier empfingen und vertheilten sie die letzten Abtheilungen der Schwarzen, die noch nachträglich herangezogen, wo man die Angreifer schon jeden Augenblick erscheinen zu sehen erwarten durfte. Gewiß zeigte ein wohlgenährtes Gewehrfeuer den Augenblick an, wo sie sich nur noch in geringer Entfernung von den Palissaden befanden. Sie konnten diese übrigens um so leichter angreifen, weil die ersten Baumgruppen kaum fünfzig bis sechzig Schritte von den Planken derselben standen, und sie sich diesen also fast vollständig gedeckt nähern und die ersten Kugeln eher einschlagen konnten, als die Gewehre selbst zu sehen waren.


Die Angreifer hausten im nördlichen Theile... (S. 136.)
Die Angreifer hausten im nördlichen Theile... (S. 136.)

Nach kurzer Berathschlagung einigten James Burbank und seine Freunde sich dahin, ihr Personal unter dem Schutze der Palissaden geeignet aufzustellen. Dort würden die mit Flinten bewaffneten Schwarzen weniger der Gefahr ausgesetzt sein, wenn sie durch den Winkel, den die oben zugespitzten Planken bildeten, Feuer gaben, und wenn die Angreifer versuchen sollten, den Wasserlauf zu überschreiten, um die Umzäunung mit Gewalt zu nehmen, gelang es vielleicht, sie zurückzuweisen.

Dieser Befehl wurde ausgeführt. Die Schwarzen zogen sich nach dem inneren Raume zurück und das Thor wurde geschlossen, als James Burbank, der noch einen letzten Blick nach außen warf, einen in voller Hast heraneilenden Mann bemerkte, der sich unter die Vertheidiger des Castle-House flüchten zu wollen schien.

Das wurde dadurch noch mehr bekräftigt, daß ihm aus dem Walde einige Kugeln nachflogen, glücklicher Weise ohne ihn zu treffen. Mit gewaltigem Sprung gelangte er nach der kleinen Brücke und befand sich bald in Sicherheit hinter der Umzäunung, deren Thür nun fest geschlossen und nach Möglichkeit befestigt wurde.

»Wer sind Sie? fragte ihn James Burbank.

– Einer der Angestellten des Mr. Harvey, Ihres Geschäftsfreundes in Jacksonville, antwortete jener fast athemlos.[139]

– Wie? Herr Harvey hat Sie mit einer Nachricht nach Castle-House gesendet?

– Ja, und da der Fluß überwacht wurde, habe ich den geraden Weg über den Saint-John nicht einschlagen können.

– Und haben Sie sich jenen Milizen, ohne Verdacht zu erregen, anschließen können?

– Ja, ihnen folgt eine ganze Bande Raubgesindel. Ich mischte mich unter sie, und sobald ich eine Gelegenheit sah, zu entfliehen, that ich es, auf die Gefahr hin, einige Flintenschüsse nachgeschickt zu bekommen.

– Schön, junger Freund, ich danke Ihnen! Sie bringen mir jedenfalls etwas von Harvey.

– Ja, hier, Herr Burbank, hier ist es.«

James Burbank nahm ein kleines Schreiben entgegen und las. Mr. Harvey sagte darin zuerst, daß er dem Boten rücksichtslos vertrauen könne, denn John Bruce gehöre zu seinen getreuesten Leuten. Nachdem er ihn angehört, werde Herr Burbank wissen, was er zu seiner und der Seinigen Sicherheit zu thun habe.

Im nämlichen Augenblicke krachten draußen vielleicht ein Dutzend Flintenschüsse. Jetzt galt es, keinen Augenblick zu verlieren.

»Was wünscht mir Herr Harvey denn durch Sie mitzutheilen? fragte James Burbank.

– Zunächst folgendes, antwortete John Bruce. Der bewaffnete Hause, der den Saint-John überschritten hat, um sich auf Camdleß-Bay zu stürzen, zähle mindestens vierzehn- bis fünfzehnhundert Mann.

– Ich hatte ihn nicht geringer geschätzt. Weiter. Befindet sich etwa Texar an der Spitze desselben?

– Das hat Herr Harvey nicht auskundschaften können, erwiderte John Bruce. Gewiß ist dagegen, daß Texar sich seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr in Jacksonville befindet.

– Das deutet auf einen neuen Schurkenstreich des Elenden, sagte James Burbank.

– Ja freilich, bestätigte John Bruce, Herr Harvey meinte ganz dasselbe. Uebrigens hat Texar nicht nöthig, selbst anwesend zu sein, um seiner Verordnung wegen Ausweisung der Sclaven Nachdruck zu geben....

– Die Ausweisung!... rief James Burbank, eine Ausweisung mit Hilfe von Brandstiftung und Plünderung!...[140]

– Auch meint Herr Harvey, Sie würden jetzt, da es noch Zeit ist, gut thun, Ihre Familie in Sicherheit zu bringen, indem Sie dieselbe Castle-House sofort zu verlassen überreden.

– Castle-House ist in der Lage Widerstand zu leisten, antwortete James Burbank, und wir werden es nicht aufgeben, so lange die Lage nicht ganz unhaltbar geworden ist. – Von Jacksonville gibt es nichts Neues?

– Nichts, Herr Burbank.

– Und die föderalistischen Truppen haben ihren Vormarsch auf Florida noch nicht begonnen?

– Wenigstens nicht weiter, als daß sie Fernandina und die Bai von Saint-Mary besetzt haben.

– Der Zweck Ihrer Sendung wäre also?...

– Sie zuerst darüber aufzuklären, daß die Ausweisung der Sclaven nur ein von Texar erfundener Vorwand ist, um Ihre Pflanzung zu zerstören und sich Ihrer Person zu bemächtigen.

– Sie wissen also, erkundigte sich James Burbank noch einmal, nicht, ob Texar jene Uebelthäter dort anführt?

– Nein, Herr Burbank – Herr Harvey hat sich vergeblich bemüht, darüber Aufschluß zu erhalten. Auch ich selbst habe mich, seit ich von Jacksonville fort bin, darüber nicht unterrichten können.

– Sind die Mitglieder der Miliz, welche jene Bande von Angreifern begleiten, auch zahlreich?

– Höchstens ein Hundert, erwiderte John Bruce. Der Pöbel aber, den sie mit hierher ziehen, gehört zur allerschlimmsten Sorte. Texar verschaffte ihnen die Waffen, und es ist zu befürchten, daß sie jedes Excesses fähig sind. Ich widerhole Ihnen, Herr Burbank, Herrn Harvey's Rath geht dahin, daß Sie am besten thun, Castle-House sofort zu verlassen. Herr Harvey hat mich auch beauftragt, Ihnen zu melden, daß er Ihnen sein Landhaus in Hampton-Red zur Verfügung stellt. Dieses Landhaus liegt etwa zehn Meilen stromaufwärts am rechten Flußufer. Dort wären Sie für einige Tage in Sicherheit....

– Ja, ja, ich weiß es!

– Unter der Bedingung, daß Sie das Castle-House augenblicklich verlassen, könnte ich Sie selbst und Ihre Familie heimlich dahinbringen, bevor jeder Rückzug zur Unmöglichkeit wird.[141]

– Ich sage Herrn Harvey meinen Dank, ebenso wie Ihnen, junger Freund, sagte James Burbank; soweit sind wir aber noch nicht.

– Wie Sie wollen, Herr Burbank, erwiderte John Bruce. Ich bleibe auf jeden Fall zu Ihrer Verfügung, wenn Sie etwa meiner Dienste bedürfen.«

Der in diesem Augenblick beginnende Angriff nahm die volle Aufmerksamkeit James Burbank's in Anspruch.

Plötzlich krachte ein heftiges Gewehrfeuer, ohne daß man die Angreifer selbst bis jetzt wahrnehmen konnte, da sich diese durch die ersten Bäume deckten. Es regnete wirklich Kugeln auf die Palissade, freilich ohne diese besonders zu beschädigen. Unglücklicher Weise konnten James Burbank und seine Begleiter dasselbe nur leicht erwidern, da sie nicht mehr, als etwa vierzig Gewehre besaßen. Da sie sich aber andererseits in günstigerer Stellung befanden, so konnten sie auch erfolgreicher schießen als die Milizen, die an der Spitze der Feinde standen. In Folge dessen wurden nicht wenige derselben am Saume des Waldes hingestreckt.

Dieser Fernkampf hielt schon etwa eine halbe Stunde und mehr zum Vortheil des Personals von Camdleß-Bay an, dann aber vertheilten sich die Angreifer, um die Palissade mit Sturm zu nehmen. Da sie dieselbe an verschiedenen Punkten anzugreifen gedachten, hatten sie sich mit Planken und Schwellen von den Zimmerplätzen, die jetzt in hellen Flammen standen, versehen. An vielen Stellen wurden diese Planken über den kleinen Wasserlauf geworfen und gestatteten so den Leuten des Spaniers, bis an den Fuß der Umzäunung selbst zu gelangen, wobei sie freilich ernste Verluste erlitten und mancher unter wohlgezielten Kugeln zusammenbrach. Dann klammerten sie sich an die Planken kletterten Einer dem Anderen auf die Schultern, aber es gelang ihnen doch nicht, darüber hinwegzukommen.

Die gegen die Brandstifter wüthenden Schwarzen warfen sie mit tollem Muthe zurück. Leider zeigte es sich, daß die Vertheidiger von Camdleß-Bay nicht auf allen Stellen zugleich sein konnten, was durch einen an Zahl übergroßen Feind bedingt wurde.

Bis zum Anbruch der Nacht konnten sie Jenen gewiß widerstehen, zumal da Keiner von ihnen eine ernsthaftere Verwundung davon getragen hatte. James Burbank und Walter Stannard waren, obwohl sie sich gewiß nicht zurückhielten, nicht einmal gestreift worden. Nur Edward Carrol hatte eine Kugel die Schulter verletzt, und dieser mußte deshalb nach der Vorhalle zurückkehren, wo Frau Burbank, Alice und Zermah nach besten Kräften für ihn sorgten.[142]

Die Nacht kam jedoch auch den Angreifern zugute. Unter dem Schutze der Dunkelheit näherten sich fünfzig der Tollkühnsten dem engen Thore, das sie mit der Axt bearbeiteten. Dasselbe widerstand jedoch. Zweifellos hätten sie überhaupt in die Umzäunung nicht einzudringen vermocht, wenn ihnen nicht durch einen kühnen Handstreich eine Bresche eröffnet worden wäre.

Ein Theil der Dienerwohnung fing nämlich Feuer, und die von dem trockenen Holze genährten Flammen nagten gleichzeitig den Theil der Planken an, an die jene anstießen.

James Burbank stürzte nach dem brennenden Theil der Palissade, wenn auch nicht, um das Feuer zu löschen, so doch um diese wenn möglich zu vertheidigen.

Im Scheine der Flammen sah man einen Mann durch den Rauch springen, nach außen stürzen und den Wasserlauf auf der darüber geworfenen Planke überschreiten.

Es war das einer der Angreifer, dem es gelungen war, dadurch von der Seite des Saint-John in den Park zu gelangen, daß er unter den Büschen am Ufer hindurchschlich. Dann war er, ohne bemerkt zu werden, in eine der Stallungen eingedrungen. Hier legte er, auf die Gefahr hin selbst in den Flammen umzukommen, Feuer an die Strohvorräthe, um diesen Theil der Umzäunung zu zerstören.

Jetzt stand also eine Bresche offen. Vergeblich versuchten James Burbank und seine Begleiter diesen Eingang zu versperren. Eine Menge Angreifer drängten sich durch denselben, und der Park wimmelte alsbald von einigen hundert Menschen.

Nicht wenige fielen dabei von beiden Seiten, denn jetzt wüthete der Kampf Mann gegen Mann. Von allen Seiten krachten die Gewehre. Bald wurde das Castle-House vollständig umschlossen, während die von der Uebermacht verdrängten Schwarzen, außerhalb des Parks zurückgeworfen, nach den Waldungen von Camdleß-Bay flüchten mußten.

Sie hatten gekämpft, so viel sie konnten und mit ebensoviel Muth und Ergebenheit; unter so ungleichen Verhältnissen aber noch weiter auszuharren, wäre gleichbedeutend mit dem Untergange Aller gewesen.

James Burbank, Walter Stannard, Perry, die Unterverwalter und auch John Bruce, der sich wacker geschlagen hatte, sowie einzelne Schwarze, mußten zuletzt hinter den Mauern des Castle-House Schutz suchen.


Das Thor wurde geschlossen. (S. 139.)
Das Thor wurde geschlossen. (S. 139.)

Es war jetzt fast neun Uhr Abends und der Himmel[143] im Westen vollkommen dunkel, nur nach Norden zu erschien dieser noch geröthet von den Feuersbrünsten, die auf dem Gebiete von Camdleß-Bay wütheten.

James Burbank und Walter Stannard eilten sofort hinein.

»Ihr müßt fliehen, rief James Burbank, fliehen im Augenblick. Ob jene Banden hier noch mit Gewalt eindringen, oder sich begnügen, das Castle-House zu belagern, bis wir uns ergeben müssen, ist gleichgiltig, jedenfalls ist es hier jetzt zu gefährlich! Das Boot ist bereit! Fort, fort! Dich, mein Weib, und Dich[144] Alice, bitte ich dringend, folgt Zermah mit Dy nach dem Cedernstein! Dort werdet Ihr in Sicherheit sein, und wenn auch wir uns gezwungen sehen, zu weichen, so werden wir Euch dort wiederfinden und dann bei Euch bleiben....

– Lieber Vater, sagte Miß Alice, komme doch gleich mit uns, und auch Sie, Herr Burbank!...

– Ja, James... komm... bleib' nicht länger hier! flehte Frau Burbank.

– Ich! erwiderte James Burbank. Ich sollte das Castle-House jenen Elenden überlassen? Nimmermehr, so lange noch ein Widerstand möglich ist.... Wir[145] können uns gegen Jene noch lange halten – und wenn wir Euch in Sicherheit wissen, werden wir nur noch muthiger sein, uns zu wehren.

– James!

– Es muß sein!«


Die Schwarzen warfen sie zurück. (S. 142.)
Die Schwarzen warfen sie zurück. (S. 142.)

Draußen tobte das Geheul immer wilder. Die Hausthüre erzitterte unter den Axtschlägen der erhitzten Rotten, welche jetzt die nach dem Flusse gelegene Hauptfront des Castle-House angriffen.

»Fort, fort! drängte James Burbank, schon ist es fast ganz dunkel!... Niemand wird Euch im Schatten sehen können!... Brecht auf!... Ihr lähmt mich, wenn Ihr hier verweilt!... Um des Himmels willen, fort!«

Zermah war, die kleine Dy führend, voraus geschritten. Frau Burbank mußte sich den Armen ihres Gatten, Alice denen ihres Vaters entreißen. Beide verschwanden auf der Treppe, welche nach dem Keller hinabführte, um sich nach dem an der Marino-Bucht mündenden Tunnel zu begeben.

»Und nun, meine Freunde, sagte James Burbank, sich an Perry und die Unterverwalter, sowie an einige Schwarze wendend, die an seiner Seite geblieben waren, vertheidigen wir uns bis auf den letzten Blutstropfen!«

Ihm nacheilend stiegen Alle die große Treppe der Vorhalle hinauf, um an den Fenstern des oberen Geschosses Stellung zu nehmen. Von hier aus antworteten sie den hundertfachen Gewehrschüssen, welche die Außenwände des Castle-House zu einem Siebe machten, mit nur seltenerem aber desto wirksamerem Feuer, da sie ja die dichte Masse der Angreifer aufs Korn nahmen. Jetzt handelte es sich nur darum, ob Letztere dazu gelangten, die Hauptthür durch Axt oder Feuer zu vernichten, denn nichts konnte ihnen sonst eine Bresche eröffnen, um in die Wohnung einzudringen. Was draußen gegenüber einer hölzernen Pallisade von Erfolg gewesen war, versprach wenigstens gegen diese Mauer von Stein nicht zu gelingen. Inzwischen drängten sich, im Dunkel so viel als möglich Schutz suchend, etwa zwanzig entschlossene Männer auf den Vorplatz. Die Thür wurde jetzt mit noch größerer Wuth und Gewalt bearbeitet, und sie mußte sehr fest sein, um den Schlägen der Aexte und Hacken zu widerstehen. Dieser Versuch kostete mehreren der Angreifer das Leben, denn die Fenster des oberen Stockwerkes lagen so, daß jene von hier aus in's Kreuzfeuer genommen werden konnten.

Zu gleicher Zeit verschlimmerte ein anderer Umstand die Lage noch mehr – der Schießbedarf drohte zur Neige zu gehen. James Burbank, seine Freunde,[146] die Verwalter und einige mit Flinten bewaffnete Schwarze hatten seit Beginn des nun dreistündigen Kampfes den größten Theil verbraucht. Wenn das Gefecht noch eine Zeit lang fortdauern sollte, wie hätten die Belagerten noch Widerstand leisten können, wenn die letzte Patrone verpufft war? Dann kamen sie in die Zwangslage, das Castle-House jenen Wütherichen zu überlassen, die dasselbe gewiß in eine Ruine verwandeln würden.

Und doch gab es für sie gar keinen anderen Ausweg, wenn es den Angreifern gelang, die schon in allen Fugen zitternde Thür zu sprengen. James Burbank fühlte das wohl, aber er wollte warten, denn jeden Augenblick konnte ja eine Wendung zum Bessern eintreten, und für seine Gattin, seine Tochter und Miß Alice hatte er ja nichts mehr zu fürchten. Männer sind es sich aber selbst schuldig, gegen den Ansturm von Mördern, Brandstiftern und Räubern zu kämpfen.

»Noch für eine Stunde haben wir Munition! rief James Burbank. Benützen wir sie, meine Freunde, und übergeben wir das Castle-House nicht!«

James Burbank hatte kaum diesen Satz vollendet, als aus der Ferne ein dumpfer Knall vernehmbar wurde.

»Ein Kanonenschuß!« rief er.

Von Westen her dröhnte, von der anderen Seite des Flusses, noch eine Detonation.

»Ein zweiter Schuß! sagte Mr. Stannard.

– Horcht! Still!« gebot James Burbank.

Da, noch ein dritter Knall, den der Wind eben deutlicher nach dem Castle-House trug.

»Sollte das ein Signal sein, um die Burschen nach dem linken Ufer zurückzurufen? fragte Walter Stannard.

– Vielleicht! antwortete James Burbank. Es ist ja möglich, daß da weiter unten etwas vorgefallen wäre.

– Ja, und wenn jene drei Kanonenschüsse nicht in Jacksonville abgegeben wurden... bemerkte der Oberverwalter.

– So rühren dieselben von den föderirten Schiffen her! rief James Burbank. Sollte die Flottille endlich den Eingang in den Saint-John erzwungen haben und den Fluß aufwärts gesegelt sein?«

Im Grunde schien es ja nicht unmöglich, daß der Commodore Dupont sich zum Herrn des Flusses gemacht hatte, wenigstens im unteren Theile seines Laufes.[147]

Und doch war es nicht so. Die drei Kanonenschüsse waren von der Uferbatterie in Jacksonville abgegeben, das ergab sich schon aus dem Umstand, daß keine weiteren nachfolgten. Es fand also weder auf dem Saint-John noch auf den Ebenen der Grafschaft Duval ein Treffen zwischen den Kriegsschiffen der Nordstaaten und den conföderirten Truppen statt.

Dagegen unterlag es keinem Zweifel, daß jene Schüsse als Signal gedient hatten, daß sie dem Anführer der hier kämpfenden Milizen gegolten, denn als Perry an eines der Seitenfenster trat, rief er plötzlich:

»Sie gehen zurück!... Sie ziehen sich zurück!«

James Burbank und die ihm zunächst Stehenden begaben sich jetzt nach dem mittleren Fenster, das halb geöffnet stand.

Man hörte keine Axthiebe mehr an die Thüre donnern und das Feuern hatte aufgehört, ja, schon war kaum noch einer der Angreifer zu sehen, und wenn man ihr Geschrei, ihr wüthendes Geheul auch noch vernahm, so entfernten sie sich doch offenbar mehr und mehr.

Irgend ein Zwischenfall hatte also die Machthaber von Jacksonville bestimmt, den ganzen bewaffneten Haufen nach dem anderen Ufer des Saint-John zurückzurufen. Ohne Zweifel war vorher ausgemacht worden, daß drei Kanonenschüsse abgegeben werden sollten, wenn irgend eine Bewegung des feindlichen Geschwaders die Stellungen der Conföderirten bedrohte. So hatten denn auch die Angreifer mitten im letzten Ansturm inne gehalten, und jetzt wälzten sie sich durch die verwüsteten Felder der Besitzung nach der von einzelnen lodernden Flammen erleuchteten Straße.

Und eine Stunde später überschritten sie wieder den Fluß an der Stelle, wo ihre Boote sie zwei Meilen unterhalb Camdleß-Bay erwarteten.

Bald war auch in der Ferne Alles verstummt. Dem schrecklichen Knattern und Knallen folgte eine Todtenstille auf der ganzen Pflanzung.

Es war jetzt neunundeinhalb Uhr Abends. James Burbank und seine Begleiter begaben sich wieder hinunter nach der Vorhalle des Erdgeschosses. Hier befand sich noch auf einem Divan ausgestreckt der leicht verwundete Edward Carrol, den nur der Blutverlust geschwächt hatte.

Man meldete ihm, was in Folge des von Jacksonville gekommenen Signals geschehen sei. Das Castle-House hatte, wenigstens für den Augenblick, von der Bande Texar's nichts zu fürchten.

»Ja gewiß, sagte James Burbank, aber die Macht in der Stadt ist noch[148] in den Händen der elendesten Gesellen geblieben. Der Schurke hat meine freigelassenen Neger vertreiben wollen, und er hat sie vertrieben! Er hat aus Rache die Pflanzung zerstören wollen – und es sind nur noch Ruinen von ihr übrig.

– James, wandte sich Walter Stannard an ihn, es hätte uns ein noch weit größeres Unglück widerfahren können; bedenke, daß Keiner bei der Vertheidigung des Castle-House gefallen ist. Deine Frau, Dein Kind und meine Tochter hätten jenen Verbrechern in die Hände fallen können, und sie befinden sich in Sicherheit.

– Sie haben Recht, Stannard, und Gott sei Dank dafür! Was hier auf Befehl Texar's geschehen ist, wird nicht ungestraft bleiben, und ich werde Rechenschaft verlangen für das vergossene Blut!...

– Vielleicht, bemerkte Edward Carrol, ist es nun eher zu bedauern, daß Deine Frau, Alice, Dy und Zermah das Castle-House verlassen haben. Ich weiß wohl, daß wir damals schlimm bedrängt waren.... Und doch, ich wüßte sie lieber hier!...

– Vor Tagesanbruch werde ich sie aussuchen, erwiderte James Burbank; sie werden in tödtlicher Ungewißheit sein, und da muß ich sie beruhigen.

– Dann wird sich auch zeigen, ob es besser ist, sie gleich nach Camdleß-Bay mit zurückzunehmen oder sie einige Tage auf dem Cedernstein verweilen zu lassen.

– Ja, ja, meinte Walter Stannard, man darf nichts übereilen. Vielleicht ist noch nicht Alles vorbei... und so lange Jacksonville unter der Herrschaft Texar's steht, haben wir Ursache auf unserer Hut zu sein.

– Eben deshalb werde ich mit Vorsicht handeln, versicherte James Burbank. Perry, Sie werden dafür sorgen, daß morgen früh kurz vor Tagesanbruch ein Boot für mich bereit ist. Ich denke nur einen einzigen Mann zu brauchen, um an Ort und Stelle zu gelangen....«

Da unterbrach ein schmerzlicher Schrei, ein verzweifelter Hilferuf James Burbank's Worte.

Dieser Schrei ertönte von der Seite des Parks her, wo die Planken sich ziemlich dicht neben dem Wohnhause hinzogen. Ihm folgten bald die Worte:

»Mein Vater!... Mein Vater!...

– Das ist die Stimme meiner Tochter, rief Mr. Stannard.

– Ach, welch' neues Unglück!...« rief James Burbank.

Alle öffneten die Thür und eilten in's Freie.[149]

Da fanden sie Alice nur wenige Schritte von der Palissade, und neben ihr lag Frau Burbank ausgestreckt auf der Erde.

Dy und Zermah waren nicht mit dabei.

»Mein Kind!« rief James Burbank.

Beim Klang seiner Stimme erwachte Frau Burbank; sie konnte nicht sprechen... mit der Hand wies sie nach dem Flusse.

»Geraubt!... Entführt!...

– Ja, durch Texar!...« erwiderte Alice.

Und dann sank auch sie bewußtlos neben Frau Burbank zusammen.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 136-137,139-150.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Nord gegen Süd
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