Dritter Akt

[1476] Zimmer des Lieutenant von Gröningseck in Humbrechts Haus; daneben ein Kabinett. Lieutenant von Hasenpoth steht vor dem Spiegel, und pfeift. Von Gröningseck sitzt gedankenvoll in einem Lehnstuhl.


VON HASENPOTH geht vom Spiegel weg. So schick doch alle die Grillen zum Henker, Gröningseck! Komm, das Wetter ist schön, laß ein Kapriolet holen, wir wollen an Wasserzoll fahren.

VON GRÖNINGSECK. Fahr allein! ich bin am liebsten zu Haus.

VON HASENPOTH. Immer und ewig zu Haus! – wie kannst du's nur ausdauren? – Den ganzen Sommer ist er noch vor kein Tor gekommen, wenn er nicht mit der Kompanie gemußt hat. – So möcht ich auch leben, wie ein Kartäuser! wahrhaftig! zehnmal lieber eine Kugel vor den Kopf!

VON GRÖNINGSECK. Jeder nach seinem Geschmack.

VON HASENPOTH. Gut! aber das Kopfhängen war doch sonst deine Gewohnheit nicht: – erst seit vier, fünf Monaten, seit dem letzten Karneval – gelt! ich hab acht auf dich gegeben? fingst du dies Kapuzinerleben an. – Und warum? nur das möcht ich wissen – wenn ich nur eine Ursach säh! Bist du verliebt? Hast du das Heimweh?

VON GRÖNINGSECK. Das Heimweh! rappelt dir's?

VON HASENPOTH. Eins von beiden! – ist's das nicht, so muß es das[1476] erste sein. – Und dennoch – wenn ich's beim Lichten beseh – ist's auch wieder nicht möglich – ich wüßte nicht, in wen? – In der ganzen lieben langen Zeit, glaub ich, hat er nicht drei Frauenzimmer gesprochen. Alle vier Wochen einmal macht er schandehalben dem Marschall seine Aufwartung, und da steht er, sobald er seinen Kratzfuß gemacht hat, von ferne wie der Nikodemus. – Anderwärts ist er gar nicht hinzubringen. – Wüßt ich nicht ganz gewiß, daß du die Humbrechtin gehabt hast, so dächt ich –

VON GRÖNINGSECK aufspringend. Gehabt! ich? – wer sagt das?

VON HASENPOTH. Sachte, mein lieber Gröningseck! sachte! – Wir sprechen als Freunde und unter uns. – Siehst mich doch nicht etwa für ein Kind an, das sich weismachen läßt, rot wäre grün?

VON GRÖNINGSECK. Hab ich dich nicht schon mehrmalen des Gegenteils versichert?

VON HASENPOTH lacht. Ein schöner Beweis! – Toll genung, daß du mir, der ich doch die ganze Belagerung aus meinem Kabinett dirigiert habe, nicht einmal die Lieb antun, und deine Eroberung gestehn willst! –

VON GRÖNINGSECK. Ich hab nichts zu gestehen!

VON HASENPOTH. Dein Eifer zeugt für das Gegenteil; und zudem – rein von der Leber wegzusprechen – wie kannst du mir zumuten, sie für eine Vestalin zu halten? gegen zwei Uhr schlicht ihr euch vom Ball, und nach fünf erst hört ich die Kutsche hier anfahren.

VON GRÖNINGSECK sehr ernsthaft. Von was anders: ich bitte!

VON HASENPOTH. Und das Schlafpülverchen, das ich dir zustellte! – wenn du keinen Gebrauch davon gemacht, warum kann ich's denn bis diese Stunde nicht wieder kriegen?

VON GRÖNINGSECK. Weil – weil ich's – verlegt – verloren – zum Teufel geschmissen hab. – Kurz, Herr von Hasenpoth, kein Wort mehr, wenn wir Freunde bleiben sollen.

VON HASENPOTH. Ich glaube, du wärst wohl gar imstand, eine Lanze für sie zu brechen, den Don Quichotte für sie zu spielen?

VON GRÖNINGSECK. Möglich, mein Herr!

VON HASENPOTH. Doch mit mir nicht? deinem Landsmann? deinem compagnon de débauche? – – Hör mich an, Herr Bruder! ich hoffe doch nicht, daß du die Narrheit so weit getrieben, und dich würklich in das Mädchen verliebt hast; das[1477] wär ja, soll mich der Teufel zerreißen! wider allen esprit de corps. – Fast sollt ich's denken, das Getreibs, das du die Zeit her mit dem Schwarzkittel, dem Vetter aus dem Haus, hast, bestärkt mich darin. – Ist's aber? gut! so fehlt's dir ja nicht an Mitteln, ihrer bald satt zu werden – du wohnst ja unter einem Dache mit ihr – oder wenn's hier nicht angeht, soll ich dir sonstwo Gelegenheit verschaffen, ich bin sinnreich –

VON GRÖNINGSECK. Wie der Satan! – das weiß ich.

VON HASENPOTH. Wenigstens hast du schon Proben davon. Du wärst dein Lebtag nicht auf den Einfall mit dem Pulver geraten.

VON GRÖNINGSECK. Pulver und Pulver! das verfluchte Pulver! wollt ich hätt es, dich, dies Haus, alles nie gesehn! wollt es wär mir in der Tasche zu Gift geworden, und ich wäre daran krepiert, sobald ich's nur anrührte!

VON HASENPOTH. Was zum Kuckuck ist das vor eine Sprache! Kommt dich der Reuen an? – folglich hast du doch –

VON GRÖNINGSECK. Ja, ja! Teufel! ich hab; – hab deinen vermaledeiten Lehren gefolgt, aufs Haar gefolgt! – hab – wenn du's denn doch wissen willst – einen Engel entheiligt, mich mir selbst zum Scheusal gemacht.

VON HASENPOTH. Possen! Possen! Brüderchen! Kinderpossen! Pfaffengeschwätz! – Du hast deine Absicht erreicht, – nun gut! des sollst du ja froh sein. –

VON GRÖNINGSECK. Wenn's eins von den Alltagsgeschöpfen wäre, die, wenn wir sie nicht zu unserm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nütze sind, ja! – Aber das ist sie nicht; du hättest sie sehn, hören sollen; in dem Augenblick, dem kritischen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß folgt, in dem uns die größte Schönheit anekelt – da hättst du sie sehn sollen: – wie groß in ihrer Schwäche! – wie ganz Tugend, auch nachdem ich sie mit dem Laster bekannt gemacht hatte! – und ich, wie klein! wie – oh! ich mag gar nicht zurückdenken –

VON HASENPOTH. Können dich Grimassen so weichherzig machen? – Du armer Tropf! –

VON GRÖNINGSECK. Grimassen? – meinst, ich kann Grimassen nicht von Wahrheit unterscheiden? – Bei den übertünchten Totengräbern, den geschminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier, wo man nur hinsieht, anstinken, da such Grimassen – aber nicht bei der simpeln Natur. –

VON HASENPOTH. Simpel oder nicht simpel! – ein Weibsbild ist[1478] halt ein Weibsbild! und die unerfahrenste gibt uns immer, was den Punkt anbetrifft, noch aufzuraten. – Ich hab wenig Frauenzimmer angetroffen, die nicht sehnlichst wünschten, bestürmt zu werden, und noch die erste zu sehn, die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodilstränen geweint hätte. – Das ist schon in der Art so!

VON GRÖNINGSECK mit verbißner Wut. Ausbund aller Libertins! – Dank's meinem bösen Gewissen, daß ich dir so geduldig zuhöre – das macht mich zur Memme, zum Poltron – und doch steh ich nicht dafür, daß ich's noch lang bleib: – bin ich nicht mehr ruhig genug aus Überlegung herzhaft zu sein, so kann mich die Wut tollkühn machen – verstehn Sie mich? –

VON HASENPOTH. Besser wenigstens, als du mich – dafür steh ich! – ich sprach ja nur von den Frauenzimmern, die ich

VON GRÖNINGSECK. Ha! von den leichten, deren funfzig auf der subtilsten Gewissenswaage kaum ein Lot aufwiegen! – Sie müssen aber wissen, Herr Lieutenant –

VON HASENPOTH. Sprechen wir ernsthaft, so kann das Sie wegbleiben: – es klingt mir so sonderbar. –

VON GRÖNINGSECK. Sei's! – aber merk dir's, Hasenpoth! – zum letztenmal du, wenn du meine Erwartung täuschest. – Einem vernünftigen Frauenzimmer kann, und soll zwar wenig daran gelegen sein, ob du und deinesgleichen so oder anders von ihr denken; euer Lob ist Brandmark und in eurem Tadel ruht innre Selbstgröße – – aber mir liegt daran, daß du das Mädchen, dessen Namen du vorhin über deine ungewaschne Lippen gehen ließest – kein Wort! hör mich erst an – daß du es nicht länger verkennst: wiß also –

VON HASENPOTH. Es kommt wer!

VON GRÖNINGSECK sich umsehend. Der Magister! ich kenn ihn am Gang. – Daß du dich ja nichts verlauten lässest! – noch weiß er, kein Mensch was darum. –

MAGISTER kommt herein. Bravo! Herr Magister, das ist brav! Sie gehn mich doch nicht vorbei, wenn Sie Ihre Verwandten besuchen.

MAGISTER. Gewiß nicht, das wissen Sie schon. Wenn ich Sie ein paar Tag nicht gesehn habe, so mein ich, es fehlt mir was.

VON GRÖNINGSECK drückt ihm die Hand. Ich lieb Sie darum. Wie steht's unten?

MAGISTER. Das fragen Sie mich, und wohnen im Haus?

VON HASENPOTH. Das war recht! – Sich nach seinen eignen Hausleuten[1479] bei Fremden zu erkundigen, das geht in Paris oder London schon an – aber hier! – Wenn der Herr Lieutenant keine Nachteule so wäre, und nicht alle Lebensart so beiseit setzte, so guckte er selbst nach – und –

VON GRÖNINGSECK. Und – wenn ich nun meine Ursachen habe? – Ja, Magister! Sie frag ich, weil Sie als Vetter schon eher einen vertrauten Zutritt haben. – So gut mein Hauswirt im Grund auch sein mag, so taugen wir doch nicht füreinander: – Er hat seine besondre Grillen, das wissen Sie selbst; und ich bin auch hitzig vor der Stirn: – das möchte in die Länge nicht guttun.

MAGISTER. So warten Sie die Zeit ab, da er nicht zu Haus ist; – meine Basen –

VON GRÖNINGSECK. Sind mir wert und lieb, Herr Magister! Evchen besonders, aber eben deswegen mag ich's ihnen nicht zum Tort tun: – ich kann seit dem Karneval etwa vier-, fünfmal drunten gewesen sein, zum Unglück war er ein paarmal nicht da – puh! gab das ein Feuer!

MAGISTER lacht. Ganz gewiß kann er's Ihnen noch nicht verzeihen, daß Sie ihm seine Damen auf den Ball verführt haben. So wie er mir –

VON GRÖNINGSECK. Haben Sie Ihr Bäschen gesehen?

MAGISTER. Schon vierzehn ganzer Tage nicht, glaub ich. Beständig sitzt sie in ihrem Zimmer, die Melancholie frißt sie noch auf; ich kann gar nicht klug aus ihr werden; Bitten und Beten, alles ist bei ihr umsonst! das macht ihren Vater eben noch unduldsamer! –

VON GRÖNINGSECK. Gerechter Gott! – ich! – ich! –

MAGISTER. Nehm Anteil daran, wollen Sie sagen? – ich bin's von Ihrem gefühlvollen Herzen überzeugt.

VON GRÖNINGSECK. Das war's, Herr Magister! ja! – Sie nahmen mir's aus dem Mund weg: – Gefühlvoll! ja! das ist mein Herz – so voll! –

VON HASENPOTH der die Zeit über gepfiffen, zum von Gröningseck von der Seite. Daß du dich gleich selbst verschnappen wirst. – Zum Magister. Hat sie den Anfall schon lang?

MAGISTER. So genau läßt sich die Zeit nicht bestimmen; – er kam nach Graden, wird aber leider täglich ärger. Youngs Nachtgedanken in der französischen Übersetzung, sind jetzt ihr Lieblingsbuch.

VON HASENPOTH. Da sei ihr Gott gnädig! – Wenn ich ein einiges[1480] Blatt drin lesen müßte, so wär ich kapable den Engländer zu machen, und mich an mein Knieband zu hängen.

VON GRÖNINGSECK spöttisch. Du! – aber, lieber Magister! so viel Schönes auch Young für eine heitre, ruhige, mit sich und allem, was rund um sie her atmet, zufriedne Seele haben mag, so wenig – das fühlen Sie besser als ich – schickt sich doch diese Lektür für ein mißvergnügtes, abgespanntes, erschlafftes Herz, ohne welches keine Melancholie statthaben kann: sollten Sie denn nicht als Freund –

MAGISTER. Es ihr wegnehmen? – Ich tat's schon, weil ich hierin grad, wie Sie, denke: sie winselte uns aber so lange die Ohren voll, wollte vor Gram und Langerweile den Geist aufgeben – kurz, ich war froh, und legte es wieder hin.

VON GRÖNINGSECK. Gott! Gott! – ist denn kein Weg! – sie daurt mich von Grund der Seelen, das gute Kind! – wie, wenn? – ja! was wird's nutzen? – auf die Zeit kommt das meiste an. – Doch – es wär zu probieren! – wenigstens ist's eine Höflichkeit, die ihr nicht mißfallen kann, wenn sie auch weiter nichts hilft. – – Sobald Sie sie wieder allein sehn, Magister, wollen Sie? – so sagen Sie ihr von meinetwegen, ich nähm sehr viel Anteil an ihrem Wohlsein, hätte mich sehr darnach erkundigt – bei Ihnen erkundigt, und wünschte sie je eher je lieber wieder heiter und munter zu wissen: – auf mich dürfte sie – Stockt. nun ja, es sieht freilich einem leeren Kompliment gleich; es geht aber wahrlich von Herzen – auf mich dürfte sie, wenn ich jetzt oder mit der Zeit etwas zu ihren Diensten – ja Diensten! tun könnte, vollkommen zählen: sagen Sie ihr das, wollen Sie, lieber Magister? Wort für Wort! lieber was mehr, als was weniger.

MAGISTER. Sehr gern, Herr Lieutenant! – ich dank Ihnen für den Anteil: aber bald sollten Sie mich –

VON HASENPOTH. Auf sonderbare Gedanken bringen? – nicht doch, Herr Magister! Sie täten ihm Unrecht: sein Herz ist kälter als Eis, und doch so weichherzig, wenn er jemand leiden sieht, oder nur von ihm hört, daß ich noch diese Stunde nicht weiß, wie er sich konnte einkommen lassen, Soldat zu werden. – Ist vollends von einem Frauenzimmer die Rede –

VON GRÖNINGSECK. Potz Geck und kein End! – Vergessen Sie's ja nicht, Magister! es ist doch Höflichkeits wegen, wenn's auch sonst nichts –

MAJOR LINDSTHAL kommt herein. Urlaub! Urlaub! Herr von[1481] Gröningseck! – Ihr Urlaub ist eingeloffen, hier bring ich ihn.

VON HASENPOTH. Urlaub! hast du um Urlaub angehalten?

MAGISTER. Sie wollen uns also verlassen?

VON GRÖNINGSECK. Doppelt willkommen, Herr Major! Zum Magister. Nur auf kurze Zeit will ich nach Haus reisen.

VON HASENPOTH. Wenn hast du denn drum geschrieben? zum Teufel! – Urlaub! und ich weiß kein Wort von.

VON GRÖNINGSECK. Ein großes Verbrechen, wahrhaftig! Bei der Generalrevue bat ich den Inspektor selbst drum.

MAJOR. Und ich schrieb auch noch an den Minister, und kann ohne mir was zu schmeichlen sagen, daß ich den Congé wohl unterschrieben würklich in der Tasche hab. Preuve de cela! hier ist er! –


Gibt ihn dem von Gröningseck.


VON GRÖNINGSECK. Dank Ihnen für den Freundschaftsdienst –

MAJOR. Wenn's ein Freundschaftsdienst ist, wie ich wünsche, und wenn Sie's dafür annehmen, so braucht's keines Dankens; – man dankt für ein Almosen.

VON GRÖNINGSECK. Ihre doppelte Güte beschämt –

MAJOR. Paperla, paperla, pap; wieder ein andres dummes Wort, das ich mein Lebtag nicht leiden konnt: beschämen! – Ein hundsfüttischer Laffe, dem man ins Gesicht sagt, daß er ein Hundsfutt ist, der wird beschämt, kein ehrlicher Mann.

MAGISTER heimlich zum von Hasenpoth. Ein sonderbarer Mann! seine Laune gefällt mir.

VON HASENPOTH. Der beste und der tollste Kopf im ganzen Regiment; wie Sie wollen.

MAJOR. Gewöhnen Sie sich dergleichen abgeschmackte Wörter ab, meine Herren! noch wird Sie's wenig Müh kosten – ist aber ein falscher Handgriff einmal erst eingewurzelt, so hat man des Henkers Arbeit ihn wieder aus den Knochen zu bringen. – Apropos! heut hab ich einen Hauptspaß erlebt; – in der Auberge, wo ich speise: ich nähm, hol mich der Teufel! nicht viel Geld, daß ich ihn nicht selbst mit angesehn hätte; – vielleicht wissen Sie schon drum, meine Herren? – Von Gröningseck und von Hasenpoth sehn einander an, und schütteln die Köpfe. – Nicht? das wundert mich: so was lauft doch sonst wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund: – Desto besser! so erfahren Sie doch die lautre reine Wahrheit, denn ich hab den ganzen Spuk selbst mit angesehn, und soll mich der Teufel lebendig zerreißen, eh ich ein Wort dazusetz oder davontu. – – Gestern[1482] nachmittags, wie ich auf dem Spiegel mein Gläschen Likör trank, um die Verdauung zu befördern, sah ich am Fenster, das in den Hof geht, zween Offizier, den einen von Lionnois, den andern von Anhalt eine Partie Piquet miteinander spielen; – es ging haarscharf! das kann ich Ihnen versichern; zu drei Livres die Partie und alle honneurs bezahlt; ich setzte mich, da es mein Leibspiel ist, hinter den letztern, der schon grimmig im Verlust war, und sah dem Ding ein Weilchen so zu; – mein Lebtag hab ich nicht mit so viel Unglück spielen sehn, allen Augenblick war er gesechzigt, oder geneunzigt, das war vor Gott Gnade! – seine Tälerchen flogen, sapperment! daß es nur eine Lust war. – Indem kommt der Lieutenant Wallroth von Salis, stellt sich hinter den andern gegen mir über, sieht so ein drei, vier Spiel mit an, wird einmal rot, einmal blaß im Gesicht; ich dacht, er wär moitié mit meinem Mann, und der Verlust ärgerte ihn! – auf einmal, Gott weiß, wie er das Ding sogleich weghatte! auf einmal tat er eine so furiose Attacke auf den Geldhaufen, der vor ihm lag, schob alles groß und klein dem von Anhalt zu, und sagte: »Härr, dies Geld ischt Oier! 's goht hie nit bieder zu; Ihr syd der Dup vom Spiel: drymol hinterenonder hot sich der Härr do di Ass in Talon gemischt: han's selbst mit angsehn« – Noch hat er nicht ausgeredt, hören Sie nur! hören Sie nur, so gab ihm der von Lionnois eine so derbe Maulschelle, daß der ganze Saal davon erscholl. Sie wollten zugleich nach den Degen greifen, aber daran wurden sie vom Osterried und seinen Markörs verhindert. – Wir standen alle wie vom Donner gerührt da. – Der Chevalier de fortune skisierte sich endlich, ohne daß wir's gewahr wurden, und ein Weilchen drauf ging der ehrliche Schwyzer auch fort. – Glückliche retour! dacht ich so bei mir selbst, da wird gewiß einer auf den Arsch gesetzt. – Aber pardieu, nein! Wallroth ging zum Kommendanten, zeigte den ganzen Verlauf an, und so mußte der andre noch in der nämlichen Stunde ins Pontcouvert wandern. – Kassiert und mit Schand und Spott vom Regiment gejagt, ist's wenigste, was ihm widerfahren wird.

VON GRÖNINGSECK. Die Kanaille verdient's auch! – und Wallroth –

MAJOR. Wird bongré malgré auch quittieren müssen.

MAGISTER. Wieso, Herr Major? hat er nicht als ein braver Mann gehandelt?

MAJOR. Brav und nicht brav? das verstehn Sie nicht. Als ein recht braver Kerl hätt er nicht zum Kommendanten laufen;[1483] sondern seinem Mann das Weiße im Aug selbst weisen sollen. – Damit ich's nun aussage; heut mittag kam Wallroth, wie wir schon unsrer dreizehn oder vierzehn am Tisch saßen, wie gewöhnlich auch in die Auberge; sowie er ins Zimmer trat, kehrt ihm sein Nachbar den Teller um: Er, als ob er's nicht verstünde, setzt sich hin, und stellt ihn wieder zurecht. – Nun stand, grad als wenn sie sich alle das Wort gegeben hätten, einer nach dem andern auf, und ging zum Tempel hinaus: endlich packt ich mich auch fort, und – da hätten Sie die Fratze sehn sollen, die er machte; gemalt möcht ich sie haben! – Da könnte man sehn, wie dumm es läßt, wenn man beschämt ist. –

VON GRÖNINGSECK. Der arme Teufel dauert mich.

MAJOR. Mich auch, aber! – sehn Sie nun ein, mein Herr, warum er wird quittieren müssen? vorher hätt er's nur mit einem zu tun gehabt, jetzt hat er ihrer vierzehn auf dem Hals, muß sich, wenn er bleiben will, mit allen herumpauken. –

VON HASENPOTH. Natürlich! denn sie haben ihn alle beleidigt.

MAGISTER. Aber – die Duelle sind ja verboten?

MAJOR. Verboten? – Pah! das Verbot gilt uns nicht! – gilt keinem Kriegsmann!

MAGISTER. Sie erlauben, Herr Major! sind Sie nicht auch Bürger des Staats, Untertanen des Königs, so gut wie andre? und schwören nicht unsre Könige bei der Krönung keinem Duellanten, ohne Ausnahm Pardon zu geben?

MAJOR. Das mag alles sein, Herr Magister! mag ganz wahr sein! – ich hab auch das gute Zutraun zu jedem rechtschaffnen Offizier, daß er sich nicht in der Absicht schlagen wird, den König wider den Kopf zu stoßen, oder seine Befehle zu übertreten: – will man sich aber nicht von jedem Holunken auf der Nase tanzen lassen, will man sich nicht in Gesellschaften, bei Tisch und im Dienst täglichen Beschimpfungen aussetzen, wie wir das Exempel heut an Wallroth haben, so –

MAGISTER. Muß man gesetzbrüchig werden?

VON GRÖNINGSECK. Nicht anders, mein lieber Magister! das wundert Sie? es ging mir einst wie Ihnen. – Wir andren Epaulettes haben, sobald wir mit Recht oder Unrecht beleidigt werden, nur zwei Wege: entweder müssen wir unser Leben, oder unsre Ehre in die Schanz schlagen.

MAGISTER. Das ist ja aber ein Widerspruch. Wie? um nicht für ehrlos gehalten zu werden, muß sich ein rechtschaffner Mann[1484] der Gefahr aussetzen, seinen Kopf auf dem Schafott dem Scharfrichter hinzustrecken – unerhört!

MAJOR. Gar nicht unerhört! gar nicht; lieber das Leben als die Ehre verloren. – Das Schafott macht nicht unehrlich, sondern das Verbrechen, und ein Verbrechen, wozu man gezwungen wird, ist kein Verbrechen mehr. – Wenn ich in Wallroths Haut stäke, so schlüg ich mich, eh ich das auf mir sitzenließ, lieber mit der ganzen Garnison herum; mit einem nach dem andern versteht sich. – Und wenn er heut noch Satisfaktion von mir fordert, so soll er sie heut noch haben, wenn tausend Schafott und tausend Galgen daneben stünden. – – Wenn Sie, Herr Magister, alle Widersprüche heben, alles Krumm grad machen können, so tun Sie's! – ich will Sie loben drum. A l'honneur, meine Herren! – Eh Sie reisen, Gröningseck, seh ich Sie doch noch?

VON GRÖNINGSECK. Wie billig.

MAJOR im Fortgehn. Ohne Abschied also! Ab. Gröningseck begleitet ihn bis an die Türe.

MAGISTER. Der Herr Major spricht –

VON HASENPOTH. Wie es einem Soldaten zukommt, und Sie wie ein Mann von Ihrem Stand sprechen muß: beide können in ihrer Art recht haben.

VON GRÖNINGSECK kommt zurück. Ja, mein lieber Magister! so ist's! – Sie wissen nicht, wie sauer es unsereinem oft wird ein ehrlicher Mann zu bleiben! wie vorsichtig, bedächtig wir jeden Schritt abmessen müssen! – Aber – Im schmeichlenden Ton. Sie haben doch über dem gelehrten Streit meinen Auftrag nicht vergessen?

MAGISTER. Gewiß nicht! – Ihnen allen Zweifel desfalls zu benehmen, will ich gehn, und sogleich Gelegenheit suchen, mein Bäschen zu sprechen.

VON GRÖNINGSECK. Tun Sie's; Sie verbinden mich unendlich. Zudem glaub ich ein Recht zu haben, diese Gefälligkeit von Ihnen fordern zu können; ich fühl, daß ich das nämliche für Sie tun würde.


Drückt dem Magister, der abgeht, die Hand.


VON HASENPOTH. Tausendsakerment! Gröningseck! hast du dich nicht ein paarmal so dumm angestellt, daß man dein ganzes Geheimnis dir in den Augen lesen konnte. Wäre der Magister nur einen Grad mißtrauischer –

VON GRÖNINGSECK. O dafür scheint er mir zu gutherzig!

VON HASENPOTH. Und den Auftrag, den du ihm da gegeben![1485]

VON GRÖNINGSECK. Hab ich sehr zweideutig eingerichtet: – mit vieler Müh, ich gesteh es. – Richtet er ihn aber so aus, wie ich ihn ihm gab, so kann er doch seine gute Würkung haben. Evchen wird jedes Wort verstehn, und vielleicht beruhigt sie das, wenigstens zum Teil. Da ich keinen sichren Weg weiß, ihr einen Brief zuzubringen –

VON HASENPOTH. Du hast ihr also noch nie geschrieben?

VON GRÖNINGSECK. Nein! – da ich sie, seitdem ich im Haus bin, noch nicht einen Augenblick ohne Zeugen gesprochen habe, so mußt ich's auf diese Art angreifen.

VON HASENPOTH. So sag mir denn nur, was du eigentlich mit ihr vorhast? Soviel ich mutmaße, hat ihre Melancholie physische Ursachen zum Grund.

VON GRÖNINGSECK. Das hat sie, ja! – sie ist schwanger. – Ich hab schon zu viel gestanden, um dieses leugnen zu können. – Überdies taugt eine halbe confidence ihr Lebtag nichts. – Aber eben, weil sie es ist, von mir – fühlst du, was das heißt? – von mir es ist, so könntest du, dächt ich, ebenso gewiß auch mutmaßen, was ich mit ihr vorhab; was ich tun werde, tun muß. Ich werd sie heiraten.

VON HASENPOTH. Du?

VON GRÖNINGSECK. Ich! – Das ist wohl der geringste Ersatz, den ich ihr geben kann.

VON HASENPOTH. Der Lieutenant von Gröningseck die Humbrechtin! – Unmöglich!

VON GRÖNINGSECK. Warum? wenn ich's wissen darf! warum? wieso unmöglich?

VON HASENPOTH. Fürs erste als Lieutenant –

VON GRÖNINGSECK. Ich kann ja quittieren, wo steckt hernach die Unmöglichkeit? – Sie als Frau zu erhalten, das soll mir nicht schwer werden: ich hab vieles verschleudert, aber auch noch manches gerettet. – Den Rest meines Vermögens selbst zu übernehmen, dies ist die Absicht, in welcher ich um Urlaub anhielt; ich bin jetzt majorenn, und kann jeden Augenblick eintreten. – Sobald dies in Ordnung ist, komm ich wieder zurück, und bitt mir Evchen vom Alten aus. Wenn ich den blauen Rock auszieh, ist sie die Meine, das weiß ich.

VON HASENPOTH. Du willst also allem entsagen? –

VON GRÖNINGSECK. Allem, allem! – eh ich die Höllenpein mit mir herumschleppen wollt! – Aber noch eins! – merk dir's, Lieutenant, merk dir's! sag ich. – Nimmt ihn bei der Hand. Du bist[1486] der einzige, dem ich mein Herz geöffnet habe; noch ist kein Wort von alle dem, was du gehört hast, über meine Lippen gekommen. – Deine Anschläge haben mich in diesen Abgrund gestürzt – dies ist kein Vorwurf, den ich dir mache, du verkanntest den Engel, ich auch! und doch hätt ich ihn besser kennen sollen, ich! ich allein! du nicht! – jetzt mußt du mir auch behülflich sein, mich wieder herauszuwinden. – Ich glaube deiner Tugend nicht zu viel zuzutraun: – wär's aber! betrög ich mich in meiner Meinung! kommt nur ein Gedanke, nur ein Schatten von dem, was ich hier in dein Herz legte, vor der Zeit ans Tageslicht! – Hasenpoth! – Läßt ihm die Hand gehn, und bebt zurück. – so fährst du oder ich dem Teufel in Rachen. – Jetzt laß mich! – ich muß mich verschnaufen, und Anstalt zur Reise machen. – Wir sprechen uns noch.


Ab ins Kabinett.


VON HASENPOTH. Wenn du mit all deinen überspannten Begriffen von Tugend sie zur Frau kriegst, so soll mich der Teufel vierundzwanzigmal auf und ab durch die ganze Armee seiner dienstbaren Geister, Spießruten laufen lassen! – Nein, Herr von Gröningseck! ich muß erst Nachlese halten. – Im Abgehn. Die Karten will ich schon darnach mischen, – besser als der Dummkopf auf dem »Spiegel«! – wart nur! Ganz ab.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1476-1487.
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