Zweite Szene


[764] Siegfried legt mit dem Kahn an. – Hagen schließt den Kahn mit der Kette am Ufer fest. Siegfried springt mit dem Rosse auf den Strand.


HAGEN.

Heil! Heil Siegfried, teurer Held!


Gunther ist zu Hagen an das Ufer getreten. Gutrune blickt, vom Hochsitz aus, in staunender Bewunderung auf Siegfried. – Gunther will freundlichen Gruß bieten. Alle sind in gegenseitiger stummer Betrachtung gefesselt.


SIEGFRIED auf sein Roß gelehnt, bleibt ruhig am Kahne stehen.

Wer ist Gibichs Sohn?

GUNTHER.

Gunther, ich, den du suchst.

SIEGFRIED.

Dich hört ich rühmen

weit am Rhein:

nun ficht mit mir, –

oder sei mein Freund!

GUNTHER.

Laß den Kampf!

Sei willkommen!

SIEGFRIED sieht sich ruhig um.

Wo berg ich mein Roß?

HAGEN.

Ich biet ihm Rast.

SIEGFRIED zu Hagen gewendet.

Du riefst mich Siegfried:

sahst du mich schon?

HAGEN.

Ich kannte dich nur

an deiner Kraft.

SIEGFRIED indem er an Hagen das Roß übergibt.

Wohl hüte mir Grane:

du hieltest nie

von edlerer Zucht

am Zaume ein Roß.


Hagen führt das Roß. Während Siegfried ihm gedankenvoll nachblickt, entfernt sich auch Gutrune, durch einen Wink Hagens bedeutet, von Siegfried unbemerkt, nach links durch eine Tür in ihr Gemach. Gunther schreitet mit Siegfried, den er dazu einlädt, in die Halle vor.


GUNTHER.

Begrüße froh, o Held,

die Halle meines Vaters:

wohin du schreitest,[764]

was du ersiehst,

das achte nun dein Eigen;

dein ist mein Erbe,

Land und Leut:

hilf, mein Leib, meinem Eide!

Mich selbst geb ich zum Mann. –

SIEGFRIED.

Nicht Land noch Leute biete ich,

noch Vaters Haus und Hof:

einzig erbt ich

den eig'nen Leib –

lebend zehrt ich den auf.

Nur ein Schwert hab ich,

selbst geschmiedet:

hilf, mein Schwert, meinem Eide! –

Das biet ich mit mir zum Bund.

HAGEN der zurückgekommen ist und jetzt hinter Siegfried steht.

Doch des Niblungenhortes

nennt die Märe dich Herrn?

SIEGFRIED sich zu Hagen umwendend.

Des Schatzes vergaß ich fast;

so schätz ich sein müß'ges Gut!

In einer Höhle ließ ich's liegen,

wo ein Wurm es einst bewacht.

HAGEN.

Und nichts entnahmst du ihm?

SIEGFRIED.

Dies Gewirk, unkund seiner Kraft.

HAGEN.

Den Tarnhelm kenn ich,

der Niblungen künstliches Werk:

er taugt, bedeckt er dein Haupt,

dir zu tauschen jede Gestalt;

verlangt dich's an fernsten Ort,

er entführt flugs dich dahin. –

Sonst nichts entnahmst du dem Hort?

SIEGFRIED.

Einen Ring.

HAGEN.

Den hütest du wohl?

SIEGFRIED zart.

Den hütet ein hehres Weib.

HAGEN für sich.

Brünnhild'! –

GUNTHER.

Nicht, Siegfried, sollst du mir tauschen.

Tand gäb ich für dein Geschmeid,

nähmst all mein Gut du dafür:

ohn Entgelt dien ich dir gern.


Hagen ist zu Gutrunes Türe gegangen und öffnet sie jetzt. Gutrune tritt heraus; sie trägt ein gefülltes Trinkhorn und nähert sich damit Siegfried.
[765]

GUTRUNE.

Willkommen, Gast,

in Gibichs Haus!

Seine Tochter reicht dir den Trank.

SIEGFRIED neigt sich ihr freundlich und ergreift das Horn. – Er hält es gedankenvoll vor sich hin. Leise, doch sehr bestimmt.

Vergäß ich Alles,

was du mir gabst,

von einer Lehre

laß ich doch nie:

den ersten Trunk

zu treuer Minne,

Brünnhilde, bring ich dir!


Er setzt das Trinkhorn an und trinkt in einem langen Zuge. Er reicht das Horn an Gutrune zurück, welche, verschämt und verwirrt, die Augen vor ihm niederschlägt. Siegfried heftet den Blick mit schnell entbrannter Leidenschaft auf sie.


Die so mit dem Blitz

den Blick du mir sengst,

was senkst du dein Auge vor mir?


Gutrune schlägt errötend das Auge zu ihm auf. – Heftig.


Ha, schönstes Weib!

Schließe den Blick;

das Herz in der Brust

brennt mir sein Strahl,

zu feurigen Strömen fühl ich

ihn zehrend zünden mein Blut! –


Mit bebender Stimme.


Gunther, wie heißt deine Schwester?

GUNTHER.

Gutrune.

SIEGFRIED leise.

Sind's gute Runen,

die ihrem Aug' ich entrate?


Er faßt Gutrune feurig bei der Hand.


Deinem Bruder bot ich mich zum Mann:

der Stolze schlug mich aus;

trügst du wie er mir Übermut,

böt ich mich dir zum Bund?


Gutrune trifft unwillkürlich auf Hagens Blick; sie neigt demütig das Haupt, und mit einer Gebärde, als fühle sie sich seiner nicht wert, verläßt sie wankenden Schrittes wieder die Halle. Siegfried, von Hagen und Gunther aufmerksam beobachtet, blickt wie festgezaubert Gutrune nach; ohne sich umzuwenden.


Hast du, Gunther, ein Weib?[766]

GUNTHER.

Nicht freit ich noch,

und einer Frau

soll ich mich schwerlich freun:

auf Eine setzt ich den Sinn,

die kein Rat mir je gewinnt.

SIEGFRIED wendet sich lebhaft zu Gunther.

Was wär dir versagt,

steh ich zu dir?

GUNTHER.

Auf Felsen hoch ihr Sitz –

SIEGFRIED mit verwunderungsvoller Hast einfallend.

– auf Felsen hoch ihr Sitz?

GUNTHER.

ein Feuer umbrennt den Saal –

SIEGFRIED.

– ein Feuer umbrennt den Saal?

GUNTHER.

Nur wer durch das Feuer bricht –

SIEGFRIED mit der heftigsten Anstrengung, um eine Erinnerung festzuhalten.

Nur wer durch das Feuer bricht? –

GUNTHER.

– darf Brünnhildes Freier sein.


Siegfried verrät durch eine Gebärde, daß bei der Nennung von Brünnhildes Namen die Erinnerung

ihm vollends gänzlich schwindet.


Nun darf ich den Fels nicht erklimmen,

das Feuer verglimmt mir nie!

SIEGFRIED kommt aus einem traumartigen Zustande zu sich und wendet sich mit übermütiger Lebhaftigkeit zu Gunther.

Ich fürchte kein Feuer,

für dich frei ich die Frau:

denn dein Mann bin ich,

und mein Mut ist dein, –

gewinn ich mir Gutrun' zum Weib.

GUNTHER.

Gutrune gönn ich dir gerne.

SIEGFRIED.

Brünnhilde bring ich dir!

GUNTHER.

Wie willst du sie täuschen?

SIEGFRIED.

Durch des Tarnhelms Trug

tausch ich mir deine Gestalt.

GUNTHER.

So stelle Eide zum Schwur!

SIEGFRIED.

Blutbrüderschaft

schwöre ein Eid!


Hagen füllt ein Trinkhorn mit frischem Wein; dieses

hält er dann Siegfried und Gunther hin, welche sich mit ihren Schwertern die Arme ritzen und diese kurze Zeit über die Öffnung des Trinkhornes halten. Beide legen zwei ihrer Finger auf das Horn, welches Hagen fortwährend in ihrer Mitte hält.
[767]

Blühenden Lebens

labendes Blut

träufelt ich in den Trank.

GUNTHER.

Bruder-brünstig

mutig gemischt

blüh im Trank unser Blut!

BEIDE.

Treue trink ich dem Freund!

Froh und frei

entblühe dem Bund

Blutbrüderschaft heut.

GUNTHER.

Bricht ein Bruder den Bund:

SIEGFRIED.

Trügt den Treuen der Freund:

BEIDE.

Was in Tropfen heut

hold wir tranken,

in Strahlen ström' es dahin, –

fromme Sühne dem Freund!

GUNTHER trinkt und reicht das Horn Siegfried.

So biet ich den Bund!

SIEGFRIED.

So –


Er trinkt und hält das geleerte Trinkhorn Hagen hin.


trink ich dir Treu.


Hagen zerschlägt mit seinem Schwerte das Horn in zwei Stücken. Gunther und Siegfried reichen sich die Hände. Siegfried betrachtet Hagen, welcher während des Schwures hinter ihm gestanden.


Was nahmst du am Eide nicht teil?

HAGEN.

Mein Blut verdürb euch den Trank;

nicht fließt mir's echt

und edel wie euch:

störrisch und kalt

stockt's in mir,

nicht will's die Wange mir röten.

Drum bleib ich fern

vom feurigen Bund.

GUNTHER zu Siegfried.

Laß den unfrohen Mann!

SIEGFRIED hängt sich den Schild wieder über.

Frisch auf die Fahrt!

Dort liegt mein Schiff: –

schnell führt es zum Felsen.


Er tritt näher zu Gunther und bedeutet diesen.


Eine Nacht am Ufer

harrst du im Nachen;

die Frau fährst du dann heim.


[768] Er wendet sich zum Fortgehen und winkt Gunther, ihm zu folgen.


GUNTHER.

Rastest du nicht zuvor?

SIEGFRIED.

Um die Rückkehr ist's mir jach.


Er geht zum Ufer, um das Schiff los zu binden.


GUNTHER.

Du, Hagen! Bewache die Halle!


Er folgt Siegfried zum Ufer. – Während Siegfried und Gunther, nachdem sie ihre Waffen darin niedergelegt, im Schiff das Segel aufstecken und alles zur Abfahrt bereitmachen, nimmt Hagen seinen Speer und Schild. Gutrune erscheint an der Tür ihres Gemaches, als soeben Siegfried das Schiff abstößt, welches sogleich der Mitte des Stromes zutreibt.


GUTRUNE.

Wohin eilen die Schnellen?

HAGEN während er sich gemächlich mit Schild und Speer vor der Halle niedersetzt.

Zu Schiff – Brünnhild' zu frei'n.

GUTRUNE.

Siegfried?

HAGEN.

Sieh, wie's ihn treibt,

zum Weib dich zu gewinnen.

GUTRUNE.

Siegfried – mein!


Sie geht lebhaft erregt in ihr Gemach zurück.–Siegfried hat das Ruder erfaßt und treibt jetzt mit dessen Schlägen den Nachen stromabwärts, so daß dieser bald gänzlich außer Gesicht kommt.


HAGEN sitzt, mit dem Rücken an den Pfosten der Halle gelehnt, bewegungslos.

Hier sitz ich zur Wacht,

wahre den Hof,

wehre die Halle dem Feind, –

Gibichs Sohne

wehet der Wind,

auf Werben fährt er dahin. –

Ihm führt das Steuer

ein starker Held,

Gefahr ihm will er bestehn:

die eig'ne Braut

ihm bringt er zum Rhein;

mir aber bringt er den Ring! –

Ihr freien Söhne,

frohe Gesellen,

segelt nur lustig dahin: –

dünkt er euch niedrig,[769]

ihr dient ihm doch,

des Niblungen Sohn.


Ein Teppich, welcher dem Vordergrunde zu die Halle einfaßte, schlägt zusammen und schließt die Bühne vor dem Zuschauer ab.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 764-770.
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