Zweite Szene


[697] Bei anbrechendem Tage treten Siegfried und Mime auf. Siegfried trägt das Schwert in einem Gehenke von Bastseil. Mime erspäht genau die Stätte; er forscht endlich dem Hintergrunde zu, welcher, während die Anhöhe im mittleren Vordergrunde später immer heller von der Sonne beleuchtet wird, in finstrem Schatten bleibt; dann bedeutet er Siegfried.


MIME.

Wir sind zur Stelle;

bleib hier stehn.[697]

SIEGFRIED setzt sich unter der Linde nieder und schaut sich um.

Hier soll ich das Fürchten lernen?

Fern hast du mich geleitet;

eine volle Nacht im Walde

selbander wanderten wir.

Nun sollst du, Mime,

mich meiden!

Lern ich hier nicht,

was ich lernen soll,

allein zieh ich dann weiter:

dich endlich werd ich da los!

MIME setzt sich ihm gegenüber, so daß er die Höhle immer noch im Auge behält.

Glaube, Liebster,

lernst du heut und hier

das Fürchten nicht,

an andrem Ort,

zu andrer Zeit,

schwerlich erfährst du's je. –

Siehst du dort

den dunklen Höhlenschlund?

Darin wohnt

ein greulich wilder Wurm:

unmaßen grimmig

ist er und groß,

ein schrecklicher Rachen

reißt sich ihm auf;

mit Haut und Haar,

auf einen Happ,

verschlingt der Schlimme dich wohl.

SIEGFRIED immer unter der Linde sitzend.

Gut ist's, den Schlund ihm zu schließen:

drum biet ich mich nicht dem Gebiß.

MIME.

Giftig gießt sich

ein Geifer ihm aus:

wen mit des Speichels

Schweiß er bespeit,

dem schwinden wohl Fleisch und Gebein.

SIEGFRIED.

Daß des Geifers Gift mich nicht sehre,

weich ich zur Seite dem Wurm.

MIME.

Ein Schlangenschweif

schlägt sich ihm auf:

wen er damit umschlingt[698]

und fest umschließt,

dem brechen die Glieder wie Glas!

SIEGFRIED.

Vor des Schweifes Schwang mich zu wahren,

halt ich den Argen im Aug. –

Doch heiße mich das:

hat der Wurm ein Herz?

MIME.

Ein grimmiges hartes Herz.

SIEGFRIED.

Das sitzt ihm doch,

wo es jedem schlägt,

trag es Mann oder Tier?

MIME.

Gewiß, Knabe,

da führt's auch der Wurm.

Jetzt kommt dir das Fürchten wohl an?

SIEGFRIED der bisher nachlässig ausgestreckt, erhebt sich rasch zum Sitz.

Nothung stoß ich

dem Stolzen ins Herz!

Soll das etwa Fürchten heißen?

He! Du Alter!

Ist das Alles,

was deine List

mich lehren kann?

Fahr deines Wegs dann weiter:

das Fürchten lern ich hier nicht.

MIME.

Wart es nur ab!

Was ich dir sage,

dünke dich tauber Schall:

ihn selber mußt du

hören und sehn,

die Sinne vergehn dir dann schon.

Wenn dein Blick verschwimmt,

der Boden dir schwankt,

im Busen bang

dein Herz erbebt: –


Sehr freundlich.


dann dankst du mir, der dich führte,

gedenkst, wie Mime dich liebt.

SIEGFRIED.

Du sollst mich nicht lieben!

Sagt ich's dir nicht?

Fort aus den Augen mir!

Laß mich allein,

sonst halt ich's hier länger nicht aus,

fängst du von Liebe gar an!

Das eklige Nicken[699]

und Augenzwicken,

wann endlich soll ich's

nicht mehr sehn,


Ungeduldig.


wann werd ich den Albernen los?

MIME.

Ich laß dich schon.

Am Quell dort lagr' ich mich;

steh du nur hier:

steigt dann die Sonne zur Höh,

merk auf den Wurm:

aus der Höhle wälzt er sich her,

hier vorbei

biegt er dann,

am Brunnen sich zu tränken.

SIEGFRIED lachend.

Mime, weilst du am Quell,

dahin laß ich den Wurm wohl gehn:

Nothung stoß ich

ihm erst in die Nieren,

wenn er dich selbst dort

mit weg gesoffen. –

Darum hör meinen Rat,

raste nicht dort am Quell;

kehre dich weg

so weit du kannst,

und komm nie mehr zu mir! –

MIME.

Nach freislichen Streit

dich zu erfrischen,

wirst du mir wohl nicht wehren?


Siegfried wehrt ihn heftig ab.


Rufe mich auch,

darbst du des Rates. –


Siegfried wiederholt die Gebärde mit Ungestüm.


Oder, wenn dir das Fürchten gefällt?


Siegfried erhebt sich und treibt Mime mit wütender Gebärde zum Forgehen. – Mime im Abgehen für sich.


Fafner und Siegfried,

Siegfried und Fafner –:

oh! – brächten Beide sich um!


Er verschwindet rechts im Walde.


SIEGFRIED streckt sich behaglich unter der Linde aus und blickt dem davongehenden Mime nach.

Daß der mein Vater nicht ist,

wie fühl ich mich drob so froh![700]

Nun erst gefällt mir

der frische Wald;

nun erst lacht mir

der lustige Tag,

da der Garstige von mir schied,

und ich gar nicht ihn wiederseh!


Er verfällt in schweigendes Sinnen.


Wie sah mein Vater wohl aus? –

Ha! gewiß, wie ich selbst!

Denn wär wo von Mime ein Sohn,

müßt er nicht ganz

Mime gleichen?

Grade so garstig,

griesig und grau,

klein und krumm,

höckrig und hinkend,

mit hängenden Ohren,

triefigen Augen ...

Fort mit dem Alp! –

Ich mag ihn nicht mehr sehn!


Er lehnt sich tiefer zurück und blickt durch den Baumwipfel auf. Tiefe Stille. – Waldweben.


Aber – wie sah

meine Mutter wohl aus? –

Das kann ich

nun gar nicht mir denken! –

Der Rehhindin gleich

glänzten gewiß

ihr hell schimmernde Augen?

Nur noch viel schöner!

Da bang sie mich geboren,

warum aber starb sie da?

Sterben die Menschenmütter

an ihren Söhnen

alle dahin? –

Traurig wäre das, traun!

Ach, möcht ich Sohn

meine Mutter sehen! –

Meine Mutter – –

ein Menschenweib!


Er seufzt leise und streckt sich immer tiefer zurück. – Große Stille. – Wachsendes Waldweben. – Siegfrieds Aufmerksamkeit wird endlich durch den Gesang der Waldvögel gefesselt.[701] Er lauscht mit wachsender Teilnahme einem Waldvogel in den Zweigen über ihm.


Du holdes Vöglein,

dich hört ich noch nie:

bist du im Wald hier daheim?

Verstünd ich sein süßes Stammeln!

Gewiß sagt es mir was, –

vielleicht – von der lieben Mutter?

Ein zankender Zwerg

hat mir erzählt,

der Vöglein Stammeln

gut zu verstehn,

dazu könnte man kommen.

Wie das wohl möglich wär? –

Hei! – ich versuch's,

sing ihm nach;

auf dem Rohr tön ich ihm ähnlich:

entrat ich der Worte,

achte der Weise,

sing ich so seine Sprache,

versteh ich wohl auch, was es spricht.


Er springt an den nahen Quell, schneidet mit dem Schwerte ein Rohr ab und schnitzt sich hastig eine Pfeife daraus. Während dem lauscht er wieder.


Er schweigt, und lauscht: –

so schwatz ich denn los!


Er bläst auf dem Rohr. Er setzt ab, schnitzt wieder und bessert. Er bläst wieder. Er schüttelt mit dem Kopfe und bessert wieder. Er versucht. Er wird ärgerlich, drückt das Rohr mit der Hand und versucht wieder. Er setzt lächelnd ganz ab.


Das tönt nicht recht;

auf dem Rohre taugt

die wonnige Weise mir nicht.

Vöglein, mich dünkt,

ich bleibe dumm;

von dir lernt sich's nicht leicht.


Er hört den Vogel wieder und blickt zu ihm auf.


Nun schäm ich mich gar

vor dem schelmischen Lauscher;

er lugt, und kann nichts erlauschen. –

Hei da! So höre

nun auf mein Horn.


Er schwingt das Rohr und wirft es weit fort.
[702]

Auf dem dummen Rohre

gerät mir nichts.

Einer Waldweise,

wie ich sie kann,

der lustigen sollst du nun lauschen:

nach lieben Gesellen

lockt ich mit ihr:

nichts Bess'res kam noch

als Wolf und Bär.

Nun laß mich sehn,

wen jetzt sie mir lockt,

ob das mir ein lieber Gesell?


Er nimmt das silberne Hifthorn und bläst darauf. Bei den lang gehaltenen Tönen blickt Siegfried immer erwartungsvoll auf den Vogel. Lustig, und immer schneller und schmetternder. Im Hintergrund regt es sich. – Fafner, in der Gestalt eines ungeheuren eidechsenartigen Schlangenwurmes, hat sich in der Höhle von seinem Lager erhoben; er bricht durch das Gesträuch und wälzt sich aus der Tiefe nach der höheren Stelle vor, so daß er mit dem Vorderleibe bereits auf ihr angelangt ist, als er jetzt einen starken gähnenden Laut ausstößt. – Siegfried sieht sich um und heftet den Blick verwundert auf Fafner.


Haha! Da hätte mein Lied

mir was Liebes erblasen!

Du wärst mir ein saubrer Gesell!

FAFNER hat beim Anblick Siegfrieds auf der Höhe angehalten und verweilt nun daselbst.

Was ist da?

SIEGFRIED.

Ei, bist du ein Tier,

das zum Sprechen taugt,

wohl ließ sich von dir was lernen?

Hier kennt Einer

das Fürchten nicht:

kann er's von dir erfahren?

FAFNER.

Hast du Übermut?

SIEGFRIED.

Mut oder Übermut, –

was weiß ich!

Doch dir fahr ich zu Leibe,

lehrst du das Fürchten mich nicht.

FAFNER stößt einen lachenden Laut aus.

Trinken wollt ich,

nun treff ich auch Fraß!


Er öffnet den Rachen und zeigt die Zähne.


SIEGFRIED.

Eine zierliche Fresse[703]

zeigst du mir da,

lachende Zähne

im Leckermaul!

Gut wär es, den Schlund dir zu schließen;

dein Rachen reckt sich zu weit.

FAFNER.

Zu tauben Reden

taugt er schlecht:

dich zu verschlingen

frommt der Schlund. –

SIEGFRIED.

Hoho! Du grausam,

grimmiger Kerl!

Von dir verdaut sein,

dünkt mich übel.

Rätlich und fromm doch scheint's,

du verrecktest hier ohne Frist.

FAFNER brüllend.

Pruh! Komm,

prahlendes Kind!

SIEGFRIED.

Hab Acht, Brüller!

Der Prahler naht!


Er zieht sein Schwert, springt Fafner an und bleibt herausfordernd stehen. Fafner wälzt sich weiter auf die Höhe herauf und speit aus den Rüstern auf Siegfried. – Siegfried weicht dem Geifer aus, springt näher zu und stellt sich zur Seite. Fafner sucht ihn mit dem Schweife zu erreichen. Siegfried, welchen Fafner fast erreicht hat, springt mit einem Satze über diesen hinweg und verwundet ihn in dem Schweife. Fafner brüllt, zieht den Schweif heftig zurück und bäumt den Vorderleib, um mit dessen voller Wucht sich auf Siegfried zu werfen; so bietet er diesem die Brust dar; Siegfried erspäht schnell die Stelle des Herzens und stößt sein Schwert bis an das Heft hinein. Fafner bäumt sich vor Schmerz noch höher und sinkt, als Siegfried das Schwert losgelassen und zur Seite gesprungen ist, auf die Wunde zusammen.


Da lieg, neidischer Kerl!

Nothung trägst du im Herzen!

FAFNER mit schwächerer Stimme.

Wer bist du, kühner Knabe,

der das Herz mir traf?

Wer reizte des Kindes Mut

zu der mordlichen Tat?

Dein Hirn brütete nicht,

was du vollbracht.[704]

SIEGFRIED.

Viel weiß ich noch nicht,

noch nicht auch, wer ich bin: –

mit dir mordlich zu ringen

reiztest du selbst meinen Mut.

FAFNER.

Du helläugiger Knabe,

unkund deiner selbst,

wen du gemordet,

meld ich dir.

Der Riesen ragend Geschlecht,

Fasolt und Fafner,

die Brüder – fielen nun Beide.

Um verfluchtes Gold,

von Göttern vergabt,

traf ich Fasolt zu Tod:

der nun als Wurm

den Hort bewachte,

Fafner, den letzten Riesen –

fällte ein rosiger Held. –

Blicke nun hell,

blühender Knabe!

Der dich Blinden reizte zur Tat,

berät jetzt des Blühenden Tod. –

Merk, wie's endet!


Ersterbend.


Acht auf mich!

SIEGFRIED.

Woher ich stamme,

rate mir noch;

weise ja scheinst du

Wilder im Sterben:

rat es nach meinem Namen, –

Siegfried bin ich genannt.

FAFNER tief seufzend.

Siegfried! ...


Er hebt sich und stirbt.


SIEGFRIED.

Zur Kunde taugt kein Toter.

So leite mich denn

mein lebendes Schwert!


Fafner hat sich im Sterben gewälzt. Siegfried zieht ihm jetzt das Schwert aus der Brust; dabei wird

seine Hand vom Blute benetzt: er fährt heftig mit der Hand auf.


Wie Feuer brennt das Blut! –


Er führt unwillkürlich die Finger zum Munde, um das Blut von ihnen abzusaugen. Wie er sinnend vor sich hinblickt, wird[705] seine Aufmerksamkeit immer mehr von dem Gesange der Waldvögel angezogen


Ist mir doch fast,

als sprächen die Vöglein zu mir?

Nützte mir das

des Blutes Genuß?

Das seltne Vöglein hier,

horch! was singt es mir?

STIMME EINES WALDVOGELS aus den Zweigen der Linde über Siegfried.

Hei! Siegfried gehört

nun der Niblungen Hort!

O, fänd in der Höhle

den Hort er jetzt!

Wollt er den Tarnhelm gewinnen,

der taugt ihm zu wonniger Tat:

doch wollt er den Ring sich erraten,

der macht ihn zum Walter der Welt!

SIEGFRIED hat mit verhaltenem Atem und verzückter Miene gelauscht. Leise und gerührt.

Dank, liebes Vöglein,

für deinen Rat!

Gern folg ich dem Ruf!


Er wendet sich nach hinten und steigt in die Höhle hinab, wo er alsbald gänzlich verschwindet.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 697-706.
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