Der Monte Pincio[27] 1

O hätt' ich Farben, Aether und Seel' und Geist,

Du unaussprechlich himmlische Luft, getaucht

In deiner Schönheit süßen Abgrund,

Wär' ich dein Priester, dein reinster Säugling,


Wär' ich geboren, wär' ich erzogen auch

An deinem Lichtquell, könnt' ich die Reinheit doch,

Könnt' ich die Milde nicht, die Wärme

Dieser Natur in mein Lied einhauchen.


Wenn du zuerst in schauender Seligkeit

Voll Unschuld in ein glühendes Auge schaust,

Wenn du vergehst in seiner Tiefe,

Wenn du verschmachtest in seiner Seele,


O dann vielleicht verstehest die Wonne du,

Verstehst mein überschwänglich Entzücken du,

Und meine Liebe zu des Südens

Blühendem Grün und krystallnem Himmel.
[27]

Drum wählt' ich dich zum Liebling, mein Pincio,

Wo Roms unübersehbare Herrlichkeit,

Wie ein empörtes Meer, vom sonn'gen

Hügel das Marsfeld hinunter leuchtet.


Denn solch ein Anblick größer erscheint er stets,

So oft er dir in all' der Gewalt ersteht,

Womit das Schicksal ihn geheiligt,

Könige, Consuln, Cäsare, Päbste.


Doch oft im dünnen Laubwald versteck' ich mich.

Wenn so unsäglich blendend aus glänzenden

Lichthellen Blüthen und Gebüschen

Ach wie elysisch die Ferne strahlet.


Dann auf Borghese's üppigem Schattenhain,

Des Pinienwaldes mächtiger Masse ruht

Mein Blick, sich an der Villa wilder

Lockend arkadischer Nacht erquickend.


Blaudämmernd über wallendem Eichengrün,

In seiner Lüfte liebliches Bad getaucht,

Entsteigt mir selbst von fern mein schöner

Einsamer Freund, der Sorakte, mählig.


Kein Tag vergeht, wo, träumender Muse voll,

Ich dieses Paradies nicht durchwandere,

Doch schwach ist nur mein Lied, das bess're

Fliehet als Seufzer von meiner Lippe.

Fußnoten

1 Dieses Gedicht ist an einem der himmlischen Frühlingsmorgen, die der Dichter eine Zeitlang gerne mit Dante oder seinen eigenen Phantasien in der Villa Medizis zubrachte, in der That aus einer Art von Verzweiflung über die Unmöglichkeit entstanden, diese unsägliche Schöne der Natur mit Worten erfassen zu können. Er durchstrichs und sudelte drüber hin: o Dio mio, eterna natura, divina primavera, aura celeste, ti ammutisco, dispero e scancello questa favella indegna di te. Er wollte etwas Besseres versuchen, als ein Kamaldulensermönch sich zu ihm in den Platanenschatten setzte, und mit ihm sprach. Endlich zog er das verunglückte Gedicht doch noch ans Licht, und stellt's nun dem Leser vor.


Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Gedichte aus Italien, Band 2: Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien, Leipzig 1893/1895, S. 27-28.
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