Psalm. 39. Dixi custodiam

[658] Ein lere, wider die ergernuß, daß es den bösen so wol geht.


1.

Ich denck in meinem gmüt,

wie ich mein zung behüt

vor affterred vnd Sünde:

Ich seh, es wil so sein,

der gotloß fehrt herein,

jm grathen all sein fünde:

Wann ich daran gedenck,

mein hertz ich selber krenck,

daß sie sind so vergessen,

Vor eifer werd entzündt,

iedoch verstummt mein mundt,

mein leyd muß in mich fressen.


2.

Drumb bit ich dich, O HERR,

mich recht erkennen leer

die eitelkeyt meins lebens:

Wir müssen bald dauon,

vnd aller menschen thun

ist nichts vnd alls vergebens.

Was hilffts daß man fast scharrt,

der zeit doch nit erharrt,

daß man sein möcht geniessen,

Mit vnruh samlet schätz

vnd muß sie doch zuletst

hie lassen mit verdriessen.


3.

Mein sünd vergib, O Got,

daß ich nit werd zum spott

vnd mein die feinde lachen.

Ich schweig vnd tröst mich dein,

wils auch gut lassen sein,

ich weyß du wirsts wol machen.

Wend deine plag von mir,

sie schreckt mich al zu sehr,

dein hand kan niemand tragen.

Wem du die Sünd zeygst an

muß wie der schnee zergan,

vor traurigkeyt verzagen.
[658]

4.

Ach, wie gar nichtig sind

auff erd all menschen kind!

drumb wil ich mich bekeren:

Mein schreien, HERR, vernimm,

mein klag vnd weynens stimm

wöllst gnediglich erhören.

Ach, HERR, werff mich nit hin,

ob ich schon elend bin,

dein pilgrim hie auff erden.

Hilff, daß ich werd erquickt

vnd ich nit hingerückt

von dir verstossen werde.


5.

Got schöpffer aller ding,

wie ist so gar gering

der menschen thun auff erden!

Drumb hilff vns auß der not,

daß wir von Sünd vnd todt

alhie errettet werden,

Durch Christum deinen Son,

der gnug für vns hat than:

wann wirs im glauben fassen,

So wil Er vns auch dort

die Himelische pfort

seliglich schawen lassen.


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Band 3, Leipzig 1874, S. 658-659.
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