Von beeden fürstlichen Fräulein, Agnes und Anna Herzoginnen zu Wirtemberg

[103] Zwo schöner Nymfen süßer mund

hat in der süßen morgenstund

zwo göttinnen lobend vermehret,

und Filodor, der sie gehöret,

hat also bald ihr lied und lehr

mit stets frisch wachsenden buchstaben

in manchen gärten hin und her

auf der bäum rinden eingegraben.


Laura.


Sih wie liebreich, wie pur und klar

der tag sich machet offenbar,

wie den erdboden er erfreuet

und schnell mit blumen überstreuet!

jedoch nein; des tags freudigkeit

wär wol so klar nicht aufgegangen,

wan er nicht mehr holdseligkeit

von Agnes mildiglich empfangen.


Myrta.


Sih wie anmütig, schön und rein

und mit wie ungewohntem schein

jetzund die morgenröt aufgehet

und alles mit lust übersäet![103]

jedoch nein; so hübsch wär sie nicht,

sie thät dan solche schönheit borgen

von Anna, deren angesicht

ist schöner dan der schönste morgen.


Laura.


Ein angesicht voll lieb und ehr

und eine stirn voll liecht und lehr,

ein haar, das kan die seelen fällen,

ein mund den göttern nachzustellen,

ein leib an zier und wolstand reich

und wert, daß er werd wol betrachtet,

die machen, Agnes, daß man euch

als eine göttin stets hoch achtet.


Myrta.


Von helfenbein ein glatte stirn,

ein funkelnd zwitzrendes gestirn,

ein mund, haar, kehl, brust, hand und wangen,

damit gern Venus selbs wolt prangen,

ein schöner leib ohn allen fehl,

der aller götter herz versehret,

die machen, daß euch meine seel

als eine göttin, Anna, ehret.


Laura.


Wie eure statur hübsch und lang,

und euer feiner danz und gang,

mit höflich wol gesetzten schritten,

mit lieblich löblich guten sitten:

Also auch die zucht eurer brust,

und eurer majestet vermögen,

die könden, Agnes bald nach lust

der götter herzen frei bewegen.


Myrta.


Wie eure götliche person

mit wunder segnend und mit wohn,[104]

wie euer gang, stand, danz, geberden

ein paradis auf dieser erden:

also auch eurer schönheit pracht

darab die götter sich ergetzen,

die machen, Anna, sich mit macht

die himmel selbs ab euch entsetzen.


Laura.


Solt Phöbe selbs mit vollem glanz,

wan sie der sternen klaren danz

den göttern zu gefallen führet

und einiglich an glanz prachtieret,

sich in geborgtem hellen kleid

ruhmrätig, Agnes, euch erzeigen,

würd sie, zwar nicht ohn reu und leid,

für euch bald ihren hochmut neigen.


Myrta.


Solt Venus selbs mit höchstem fleiß

der höchsten schönheit höchsten preis

zu werben, sich selbs schon beschönen,

sich mit der schönheitkron selbs krönen,

alsdan den sig von euch ganz frei

vermeinen, Anna, zu erlangen,

würd sie, zwar nicht ohn leid und reu,

schimpf und scham für den sig empfangen.


Laura.


Auch, Agnes, euer lob, preis, ehr

die Nymfen und wir mehr und mehr,

wie ihr verdienet, stets erklingen

und, unsrer schuldigkeit nach, singen;

dan ihr so schön und tugendreich,

daß mit euch kein Nymf zu vergleichen,

dan eure schwester, die euch gleich,

daß beeden alle Nymfen weichen.


Myrta.


Auch, Anna, aller schönheit blum,

wir Nymfen wollen euern ruhm,[105]

darab die himmel ein gefallen,

fürhin stets mehr und mehr erschallen;

dan ihr so schön und tugendreich,

daß keine Nymf, wie ihr, zu ehren,

dan eure schwester, die euch gleich,

daß beeder lob wir stets vermehren.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 103-106.
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