Ueber den unzeitigen hintritt Fräuleins Augusta Marggrävin zu Baden

[249] 1616.


Gleichwie ein zarte blum zu früh herfürgekommen

wird durch des morgens frost schnell wider weggenommen,

und gleichwie eine frucht zart an gestalt und saft,

wan sie reif vor der zeit, nicht bleibet lang wehrhaft:

also die blümelein der weisheit, zucht und tugend,

die man frisch blühen sah in deiner seelen jugend,

o fräulein, also schön, als höflich, klug und from,

bezeugten mehr dan gnug, daß deiner jahren trum

kont nicht langwürig sein, und daß dein kurzes leben

uns solt ein schnelle lehr der wunder gottes geben,

und deines leibs gestalt an schönheit und an zucht

ein himmelische blum, solt mit so werter frucht

nicht lang das teutsche reich, noch dein geschlecht bereichen,

sondern bald in den saal der ewigkeit entweichen.

dan die vollkommenheit, die alhie keinen platz,

ist nicht für dieser welt, sondern für gottes schatz.

ach! wie vil schönheit, ehr und engelische sitten

(des Teutschlands trost und zier) hat die Park abgeschnitten

mit dieser frischen blum! blum, deren lieblichkeit

jetzund gepflanzet ist in die unsterblichkeit.

Gnadlose Atropos! ach, kontest du nicht sparen

bis gegen ihrem herbst den früling ihrer jahren!

nein! dan du, sehend an ihr herz, seel und verstand,

an welchen gar nichts jung, hast mit zu frecher hand

fürzeitig diese frucht, noch gar grün, abgezwicket

und, uns entglückend ganz, das firmament beglücket.

Wol. Das war gottes will, der muß gehalten sein.

so nim nu hin von uns, du wertes seelelein,

mit unserm zeherfluß, dan wir ja mehr nicht haben,

für dein grab diese schrift in unser herz gegraben:[250]

Indem des himmels macht und des erdreichs frechheit,

o fräulein, deine seel und leib für sich erkoren,

da hat auch die natur, die tugend, welt, schönheit

gleich ihren besten ruhm, schatz, trost und freud verloren.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 249-251.
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