Kennzeichen eines glückseligen lebens

[47] An Alexandern vom Ruest.


Ach, wie glückselig ist das leben,

dem keines andern will gebeut,

der ohn misgunst, neid oder streit

sicht andrer glück fürüber schweben;


Der sein begird selbs recht regieret

und dessen from und teutscher mut[47]

ist sein bewehrter schutz und hut,

darunder sein herz triumfieret;


Der kein geschrei noch lob begehret,

dem die warheit die gröste kunst,

den fürsten oder pöfels gunst,

den hofnung und forcht nicht bethöret;


Der die fuchsschwänzer fort läßt gehen,

sie speisend nicht von seinem gut,

und dessen fehl, fall und armut

kan seine hässer nicht erhöhen;


Der selbs nichts weiß, wie übel schmürzet

des bösen lob, des frommen fluch;

dem ein freind oder gutes buch

die lange zeit schadlos verkürzet;


Und dessen mut für nichts sich scheuet,

als allzeit fertig für den tod;

der ernstlich früh und spat zu got

mehr um gnad, dan um güter, schreiet.


Der mensch besorgt sich keines falles,

dieweil er frei, reich, gut und groß,

sein selbs herr; ob er wol landlos

und habend nichts, hat er doch alles.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 47-48.
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