Schöne haar

[299] O der lieb liebstes garn, der schönsten schönste haar,

wan scherzend in dem luft ihr schon bandlos umflieget,

befind ich doch alsbald, daß ihr mein herz betrieget,

und daß, je freier ihr, je größer mein gefahr.

O goldfluß bleich und reich, goldstriemen wahr und klar,

wan euch ihr weiße hand in tausend ringlein bieget,

befind ich auch alsbald, daß ihr mein herz bekrieget,

und je mehr eure knöpf, jemehr ich strick erfahr.

Zwar wie solt dises garn doch meine seel verdrießen?

ist ein herz in der welt, das disem schatz nicht hold?

wer wolt nicht einen strom von gold gern sehen fließen?

O reiche haar, zugleich der freiheit strick und sold!

wie ihr, als der lieb strick, mich pfleget zu beschließen

also belohnet ihr mich auch mit bestem gold.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 299.
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