Von ihrer schönheit wundern

[303] Stände.


Seind es haar oder garn das krauslecht reine gold,

nach dessen purem schatz die götter ein verlangen?

ach! es seind zarte haar, meiner lieb werter sold:

nein! es seind starke garn, da sich die seelen fangen.


Ein gestirn oder stirn ist dan das helfenbein,

darauf sich mayestet, weisheit und zucht erfreuet?

es ist ein glatte stirn, die hofnung meiner pein,

nein! es ist ein gestirn, das die freche bedräuet.


Seind es blick oder blitz der schnell und helle glanz,

darab wir uns zugleich entsetzen und ergetzen?[303]

ach! es seind süße blick aus Amors starker schanz:

nein! es seind scharfe blitz, so die herzen verletzen.


Ist ein brust oder blust der zwirigbobend thron,

darauf die Charites den Liebelein liebkosen?

es ist ein veste brust, da wohnet all mein wohn;

es ist ein edle blust von erdbeer, gilg und rosen.


Ist ein hand oder band der fünfgezinkte ast,

dessen schneeweißer pracht das aug und herz verblindet?

es ist ein zarte hand, erleuchtend der lieb last:

es ist ein hartes band, das die freiheit verbindet.


Wie selig bin ich doch, o haar, stirn, blick, brust, hand,

so köstlich, freindlich, klar, anmütig und beglücket!

daß ich durch solches garn, gestirn, blitz, blust und band

gefangen bin, frei, wund, erquicket und verstricket!

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 303-304.
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