Der Wein ist nicht geraten

[90] Was hab ich doch vernommen

Für große Traurigkeit!

Es ist ins Land gekommen

Gar eine schlimme Zeit!

Der Wein ist nicht geraten

An Mosel, Rhein und Lahn,

Und was die Winzer taten,

Das ist umsonst getan!


Es pflanzte seine Reben

Ein jeder nett und fein;

Er dachte: Gott wird geben

Den lichten Sonnenschein,

Der fern die Wolke lenket,

Daß sie sich rauschend senkt,

Auch unsrer Hügel denket

Und frischen Tau uns schenkt.


Und oft zur Morgenstunde –

Kam Mai und Juni drauf –

Die irdne Pfeif im Munde,

Stieg er den Berg hinauf;

Und froh war sein Gemüte,

Wenn von der Felsenwand

Die erste junge Blüte

Den süßen Duft gesandt,
[90]

Wenn sich zu voller Traube

Die Beeren angesetzt

Und in dem grünen Laube

Ein Schimmern war zuletzt:

Als säh man herrlich prangen

Des Goldes hellen Schein,

Als wär der Berg behangen

Rings mit Rubinenstein!


»Gott ist mir gut gewesen!«

So klang des Winzers Lied;

»Bald werd ich lustig lesen,

Was mir der Herr beschied!

Ein schöner Erntemorgen

Bricht in den Dörfern an,

Vorbei nun Gram und Sorgen,

Ich bin ein froher Mann!«


Er sprach's. Da zog mit Stürmen

Der kalte Herbst daher:

Er sah die Wolken türmen

Sich rings so regenschwer.

Verschwunden ist sein Hoffen!

Das kurze Glück ist aus!

Von hartem Schlag getroffen

Geht weinend er nach Haus!
[91]

Du wirst die Hände legen

Nicht an die Kelter dein!

Nun träuft des Weines Segen

Nicht in dein Faß hinein!

Du wirst kein Lied mehr singen!

Kein Brot und wärmend Kleid

Wirst du den Kindern bringen,

Ist alles rings verschneit!


Drum, die ihr in den Städten

Nach vollen Schüsseln langt,

Die ihr mit güldnen Ketten,

Mit Kreuz und Sternen prangt,

Die ihr den Nierensteiner

Im tiefen Keller habt

Und oft mit Ingelheimer

Die durst'gen Kehlen labt,


Die ihr im schmucken Saale

Aus grünen Römern zecht,

Des Morgens Speciale,

Am Abend Schoppen stecht,

Die ihr bei Lust und Scherzen

Verjubelt Nacht auf Nacht –

Denkt, daß mit schwerem Herzen

Manch armer Winzer wacht!
[92]

Denkt, daß zu allen Tagen,

Denkt, daß bei uns von je

Man immer hörte sagen:

»Nur Wohl und Keinem Weh!«

Und laßt das Scherflein springen

So lustig an den Rhein,

Wie ich dies Lied tät singen

Frei in die Welt hinein!
[93]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 90-94,171.
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