Dritter Auftritt

[56] Ein Zimmer in einem Haus am Marktplatz, an der Thüre Wache.

Die Mutter, Hortensia, Marie.

Die Mutter sitzt, und lehnt ihr Haupt an Hortensiens Brust, Marie kniend neben ihr.


MUTTER.

Horch – es wird wieder laut, jezt kommen sie,

Geduld, Geduld – es ist der lezte Sturm,

noch eine schwarze Wolke treibt er her,

sie senkt sich auf das lebensmüde Haupt,

dann wird es still und ruhig, alles schweigt.

Hortensia, Du weinst – o weine nicht,

was uns auch trifft – es trifft uns ja vereint.

Ich seh' die Blätter nicht vom Stamme fallen,

nein – Blatt und Baum fällt durch denselben Streich.

Im Tode was wir lieben zu umfassen,

der Trost bleibt uns, den müssen sie uns lassen.

HORTENSIA.

O Mutter, könnt' ich nur Dein Leben retten,

den Dolch im eig'nen Busen fürcht' ich nicht.

Doch – wenn ich Dich,


Es bricht ihre Stimme.


o meine arme Mutter![56]

Was nützt der lezte Strahl der Abendsonne,

sie wärmt nicht mehr – sie mag hinunter gehen.

Ihr müßt am Morgen sie erbleichen sehen;

viel hattet Ihr vom Leben noch zu hoffen –

umsonst – Euch winkt der Tod – das Grab ist offen.

MARIE.

O wehe Mutter – weh' –

MUTTER.

Du armes Kind,

komm an mein Herz; auch Du Hortensia,

noch schlägt es ja – noch kann ich Euch umfassen.


Betrachtet sie wehmüthig.


Zwei Rosen blühten mir an einem Zweig,

die eine sah ich röthen, die entfalten.

O wie ergözt ich mich an ihrem Reiz!

Doch eh' sie noch in voller Blüthe stehen,

knickt sie der Sturm – sie welken, und vergehen.

MARIE sieht zur Thür.

Ha –

MUTTER.

Was ist Dir Kind?

MARIE.

Seht, seht, dort steht Baptist.

Er zeigte wüthend drohend mir die Faust.

O Gott, wenn er uns so –

HORTENSIA.

Die Mutter schone

O klage nicht, sieh, wie es in ihr stürmt.

Ihr Aug ist trocken – weine Mutter, weine –

die lang verhalt'nen Thränen tödten Dich.[57]

MUTTER.

Lass´ es nur stürmen – viel reißt sich jetzt los.

Das Leben ist mir nichts – Ihr seyd mir Alles!

Mit Schmerzen hab ich Aermste Euch geboren,

mit Schmerz senk ich Euch jezt ins offne Grab. –

Jetzt kommen Thränen – seht – nun kann ich weinen,

nun wird mir leicht – und – leicht ist auch der Tod.

Es ist ein Hauch, den sanft die Luft verweh't,

er ist ein Freund, der uns zur Ruhe führt.

Der Dulder, der zu Qualen hier geboren,

jenseits geht ihm die Palme nicht verloren.

Den Bösewicht erfüllt der Tod mit Grauen,

wir dürfen muthig ihm ins Antlitz schauen.

Der Vater winket, er ging uns voran –

Auf! zeiget, daß ein Weib auch sterben kann.

Auf Erden haben wir nichts mehr zu hoffen,

hinauf den Blick, der Himmel steht uns offen.


Wildes Geschrei.


Holt sie, bringt sie, gebt uns die Weißen preiß.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 56-58.
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