9. Poeten müssen verliebt seyn

[20] 1.

Sprecht mich nicht weiter an

Um ein verliebtes Lied,

Denn ich bin außgethan

Wo Lust und Liebe blüht,

Das Gras ist abgemeyht,

Die Rosen sind vergangen,

Der Winter führt das Leid

Und hat sich angefangen.


2.

Ich fühle keine Lust

Die mich zum Versen treibt,

Weil meine kalte Brust

Unangefochten bleibt:

Das harte Silber fleust

Nur bey der grossen Hitze,

Und der Poeten Geist

Wird nur im Lieben nütze.


3.

Wie kan ich itzt betrübt

Und wieder frölich seyn,

In dem mir nichts beliebt

Von Anmuth oder Pein.

Soll mein erfrornes Hertz

Von Glut und Flammen singen,

Und soll der kalte Schertz

Die spröde Feder zwingen?


4.

Ach nein die Aloe,

Der Zucker und Zibeth,

Macht weder wohl noch weh,

Wann der Geschmack vergeht.

Man muß die Eitelkeit

Der Liebe noch ertragen,

Will man von Freud und Leid

Gereimte Reimen sagen.


5.

Der ist fürwar nicht klug,

Der ohn ein Seitenspiel,

Durch einen Selbst-Betrug,

Verschwiegen tantzen will:

Und so wird mein Gedicht[21]

Ein schlechtes Vrtheil fühlen,

Wo die Begierden nicht

Die Sarabande spielen.


6.

Geh zarte Poesie,

Du bleibst mir unbewust,

Geh meine süsse Müh,

Itzt meine saure Lust,

Ich schreibe was ich kan,

Ihr aber meine Brüder,

Sprecht mich nicht weiter an,

Umb Schertz- und Liebes-Lieder.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 20-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon