3. An seine Rosilis, als ihm bey ihr das Haus verbotten ward

[77] 1.

Liebste Seele siehst du nicht,

Wie ich mich allhier betrübe,

Weil in unsrer stillen Liebe,

Hoffnung, Rath und Trost gebricht,

Hörst du nicht die Trauer-Worte,

Manchesmal von weiten an,

Die ich an den lieben Orte,

Nicht so frey vergiessen kan.


2.

Liebstes Kind, was machst du doch?

Hast du irrgend unterdessen,

Meiner allbereit vergessen,

Oder denckst du meiner noch?[77]

Glaubst du wohl in deinem Hertzen,

Ob es immer möglich ist,

Daß du noch in meinem Schmertzen

Ein betrübtes Labsal bist?


3.

Freylich denck ich immerdar,

An die liebe Zeit zu rücke,

Da das wanckelbare Glücke,

Mir ein bißgen günstig war,

Da ich heimlich und verschwiegen

Mehr als ein Bekannter hieß,

Und mein hertzliches Vergnügen,

Alle Tage wachsen ließ.


4.

Nun ist alles umgewand,

An den Reden und Geberden

Und wir armen Kinder werden,

Endlich wieder unbekandt:

Und so fern wir noch zu Zeiten,

Hier und da einander sehn,

Muß es doch nur vor den Leuten,

Und mit schlechter Lust geschehn.


5.

Ich erblicke zwar dein Hauß,

Doch die Thür ist mir verschlossen,

Und es giebet keinen Possen,

Denn die liebe Lust ist auß,

Und weil in der Menschen Sachen

Alles nur ein Weilgen wehrt,

Muß mein Sinn die Rechnung machen,

Daß ers nur umbsonst begehrt.


6.

Liebstes Hertze lebe wohl,

Leb in angenehmen Freuden

Weil ich doch mit Angst und Leiden,

Meine Seele speisen soll,

Brauche deiner schönen Jugend,

Und versäume keinen Tag,

Ich bin froh daß ich die Tugend

Nur abwesend ehren mag.


7.

Andre Mädgen können mich,

Schwerlich zu der Liebe zwingen,

Dann ich seh vor allen Dingen,[78]

Liebstes Hertze, nur auff dich:

Werden deine schöne Gaben

Mir verriegelt und verpfält,

Will ich doch die Ehre haben,

Daß mir nicht der Willen fehlt.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 77-79.
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