9. Als die junge Amöne nicht wolte Stand halten

[67] 1.

Amöne darff ich mich erkühnen

Mit meiner schlechten Höfflichkeit

Die süsse Schönheit zu bedienen

So sich auß ihren Augen streut?

Ach soll ich allerschönstes Bild?


Amöne.


Ach last mich gehn die Muter schilt.


2.

Mein Hertz ich habe schon die Ehre

Sie anzusprechen längst gesucht,

Sie gebe mir geneigt Gehöre,[67]

Sonst bleibt mein Lieben ohne Frucht,

Sonst wird mein Wunsch nur halb erfüllt.


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter schilt.


3.

Mein liebstes Kind sie lasse schelten,

Es geht deßwegen uns nicht an,

Der Mutter Lehre kan nicht gelten,

Sie hats vor diesem selbst gethan,

Sie hat sich nicht also verhüllt.


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter schilt.


4.

Sie ist in ihren besten Jahren,

Da muß die Lust gebüsset seyn:

Die Mutter wird nicht alls erfahren,

Sie gebe sich doch willig drein.

Was läufft sie als ein schönes Wild?


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter schilt.


5.

Mein Schatz, sie seh doch ihres gleichen

In dieser Stadt ein wenig an,

Wie sie mit ihren Liebsten schleichen,

Und kehren sich durchauß nicht dran,

Obs bey der lieben Mutter gilt.


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter schilt.


6.

So opffert sie die schöne Jugend

Der höchst-betrübten Einsamkeit?

Was hilfft es, daß sich ihre Tugend

Bey dieser angenehmen Zeit

Mit lauter Lust und Zier erfüllt?


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter schilt.


7.

Ich will sie endlich gehen lassen,

Jedoch auß meinem Hertzen nicht,

Da will ich sie beständig fassen,

Biß ihr beliebtes Angesicht,

In gleichem Liebes-Feuer glimmt.


Amöne.


Ach last mich gehn, die Mutter kömmt.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 67-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Chamisso, Adelbert von

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon