5. Er will gerne eine Frau haben

[163] 1.

Sind das nicht unerhörte Straffen?

Ich bin so hurtig als ein Mann,

Und soll so lang alleine schlaffen,

Biß ich ein Weib ernehren kan:

Indessen hab ich keine Ruh,

Und Fleisch und Blut spricht nein darzu.


2.

Wem soll ich also Folge leisten?

Ich bin fürwar von Holtze nicht,

Und fühle meine Noth am meisten

Wann mich der lose Kitzel sticht,

Und auß den Händeln merck ich wohl,

Daß ich die Welt vermehren soll.


3.

Was hilfft michs? daß nun mit den Jahren

Die Kinder-Schu vertretten sind,

Wann mir der Schimpf soll wiederfahren,

Daß ich muß leben als ein Kind,

Und daß der Zwang der Einsamkeit

Mir alle freye Lust verbeut.


4.

Was seh ich doch vor schöne Leute[163]

Bißweilen auff der Gassen stehn,

Die alle wolten lieber heute

Als Morgen diese Strasse gehn,

Doch die Gewonheit ist so scharff,

Daß niemand sich erklären darff.


5.

Man soll der Ehre noch erwarten,

Doch dieser Trost der taug nicht viel,

Die Pretzeln schimmeln und verharten,

Wann man sie frisch versäumen will,

Und der beliebten Rosen-Liecht

Scheint in dem späten Winter nicht.


6.

Ach freylich sind es lahme Possen,

Weil man sich noch ergetzen kan,

So wird man allzeit außgeschlossen,

Hernachmahls geht der Handel an,

Wenn unser Lämpgen auff das Ziel

Gerathen und verleschen will.


7.

In dem ich dieses Liedgen mache,

So blick ich auf mein Dinte-Faß,

Das schickt sich wohl zu dieser Sache,

Die Dinte bleibt nicht immer naß,

Man schreib, und schreibe nicht darauß,

So trocknet doch der Boden auß.


8.

Ach! dürfft ich mich nur recht beklagen,

So darff ich meine liebe Noth

Auch nicht dem besten Freunde sagen,

Und das ist ärger als der Todt,

Ich warte, weil mein Leder hält,

Wo krieg ich dann mein Warte-Geld?

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 163-164.
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