Fünf und achtzigstes Exempel.

Des Heil. Apostels Pauli fürtrefliche Verthädigung seiner selbst vor dem Römischen Rath wider seine Lands-Leut, die ihn bey dem Kayser fälschlich verklagt hatten.

[383] Gnädige Herren.


Ich schätze mich anheut glückseelig, daß mir GOtt diese Gnad gönnet, mich in eurer Anwesenheit zu rechtfertigen über alle Puncten, in denen mich meine Lands-Leut angeklagt haben, dann die grosse Fähigkeit, und das aufrichtige Verfahren dieses hoch-ansehnlichen Raths in Entscheidung der Strittigkeiten des gantzen Kayserthums seynd mir meines Orts gar wohl bekannt. Dannenhero fange ich an nach einer lang ausgestandenen verdrießlichen Reiß, und tausend Widerwärtigkeiten, nun wiederum Athem zu schöpfen, indem ich mich vor dem Richterstuhl des Kaysers gestellt sehe, zu dem ich appellirt habe. Bitte aber demüthig, mich [383] mit Gedult und Billichkeit anzuhören, wie sie gewohnt seynd gegen denen, die unterdruckt worden.


Meine Ankläger wissen wohl, was ich von Jugend auf für ein Leben geführt hab, und daß mich GOtt zu Tharsis in Cilicien (so mit Burgerlichen Freyheiten dieser Haupt-Stadt der Welt einverleibt ist) hat lassen gebohren werden. Ingleichem, wie ich in der Religion meinen Voreltern gefolget, in einem guten und offenhertzigen Gewissen vor GOtt und den Menschen wandlend, ohne jemand zu beleydigen.


Ich bekenne, daß ich, gemäß meiner glaubwürdigen Sect die veste Hofnung geschöpft hab auf die Unsterblichkeit der Seelen, und allgemeine Auferstehung der Menschen, so vermittelst der unfehlbaren Verheissungen des lebendigen GOttes (deme nichts unmöglich ist) bestättiget wird. Ich bin ebenfals begierig geweßt, alle Gewohnheiten meines Gesatzes zu beobachten. Der Eifer, von dem ich deßwegen branne, machte mich glauben, daß ich Ursach hätte die Christen zu verfolgen, und nachdem ich von den hohen Priestern darzu die Commission übernommen, suchte ich sie genau auf, um selbige zu erhaschen, zu feßlen und zu peynigen.


Der Grimmen triebe mich so weit, daß ich nicht vergnügt war, ihnen in dem Juden-Land eine starcke Verfolgung zu erwecken, sondern ich gienge noch weiter in fremde Städt, wohin sie ihre Zuflucht nahmen, um sie zu der Marter zu liefern. Da geschahe es dann, daß ich mich auf dem Weeg nacher Damasco, einer zimlich berühmten Stadt, da ich nichts als Feur und Troh-Wort wider die Christen ausspyhe, von einem so glantzenden Liecht umgeben sahe, daß es die allerfeurigste Strahlen der Sonnen übertraffe, und aus diesem Liecht eines Menschen-Stimm sich vernehmen liesse, die mich bey meinem Namen nennte, und befragte, warum ich mich unterstünde, ihne zu verfolgen? ich rede vor GOtt und vor euch, meine gebiethende Herren, mit aller Redlichkeit, und gestehe, daß ich mich hierüber sehr bestürtzt befunden, und von deme, der mich angeschrien, zu wissen verlangt hab, wer er seye? darauf er mir geantwortet, er nenne sich JEsum; und es werde mir theur genug stehen, wann ich mich wider den Sporn setzen wolte. Und alsbald, da ich samt meinen Leuten vor Schrocken zur Erden lage, befahle er mir, aufzustehen, mir bedeutend, daß er mich zu seinem Volck, und allen Einwohnern des Welt-Kreyses abordnen wolte, damit ich von ihme Zeugnuß gebe, sie aus dem Gewalt der bösen Geistern zu erledigen, und an das Liecht versetzen; auch die Mittel an die Hand geben solte, Verzeihung ihrer Sünden, und durch den Glauben (der in Christo JEsu bestehet) die Erbschaft der Heiligen im Himmel zu erlangen. Deswegen, meine Herren! konte ich mich dem himmlischen Gesicht [384] nicht ungehorsam erweisen; sondern rüstete mich unverzüglich das Wort GOttes zu verkündigen, und jedermänniglich zu ermahnen, sich durch Buß-Werck zu GOtt zu wenden. Und sehet da! dieses ist all mein Verbrechen; aus welchem erhellet, daß ich nichts wider das Gesatz, nichts wider den Tempel, und nichts wider den Kayser mißhandlet hab; sondern allen Unterthanen des Reichs, die mich verstanden haben, unabläßlich gerathen, dem Kayser einen vollkommenen Gehorsam zu erweisen. Nichts destoweniger bin ich von etlichen neidigen Juden im Tempel angehalten, und der Pöbel wider mich verhetzt worden, der mich in Stucken zerfetzt hätte, wann mir nicht die Kayserliche Soldaten wären zu Hülf kommen. Dann GOtt hat mir das Leben bis jetzt erhalten, um meinen Dienst zu vertretten; die mir aufgetragene Geschäft abzulegen, und denen Völckerschaften die Zeitungen ihres ewigen Heyls überbringen zu können.


Gnädige Herrn! so viel ich spühre, so seyd ihr grosse Eyfferer des heydnischen Glaubens, ihr habt Götzen-Bilder, und prächtige Tempel. Man muß aber nicht gedencken, daß GOtt, welcher der allereineste Geist, und ein Erschaffer Himmels und der Erden ist, in denen von Menschen-Händen gebauten Templen sich einsperren lasse; oder ihrer Wercken zu Erfüllung seiner Glory vonnöthen habe. Nein, keinesweegs; dann er selbst derjenige ist, der das Leben, den Athem, das Wohlweesen, die Ehr, die Bequemlichkeiten, und alles anderes uns verleyhet, was wir in der Welt hoffen können. Er ist es, der aus einem eintzigen Mann, nemlich dem Adam als dem ersten aus den Menschen, diesen gantzen grossen Hauffen der Völckern hervorgebracht hat, wovon mit einer beharrlicher Erbfolge die Runde des Erd-Krayses bewohnt bleibet. Er ist es, der denen Zeiten den Lauf bestimmet; denen Reichen die Schrancken stecket, und seinen Sitz in einem unzugänglichen Liecht aufrichtet. Er spricht uns allen einen großmüthigen Fürwitz ein, ihne zu suchen, und Mühe anzuwenden, um ihne zu finden, und gleichsam mit Fingern zu berühren, wann es seine Beschaffenheit zuliesse, ihne mit Händen zu fassen, und er ist nicht weit von einem jeden aus uns, sondern wir haben das Leben, die Bewegung, und das Weesen in ihme. Ja, damit ich mit dem Vornehmsten aus euren Reimen-Dichtern rede: Wir seynd aus dem Geschlecht GOttes.


Demnach geziemet es uns nicht, daß wir die göttliche Natur schlechter, als uns machen; sie mit unempfindlichen Dingen in Vergleich setzen; als etwann mit Gold, Silber, Stein, und andern durch die Kunst oder Ersinnung der Menschen ausgearbeiteten Materien. Gewißlich, GOtt hat diese Unwissenheit der sterblichen Menschen von oben herab mitleydig angesehen, und ihnen seinen Sohn, die weesentliche Aehnlichkeit seiner Schönheiten, [385] und das Kennzeichen seiner Glory, wahren GOtt und wahren Menschen auf diese Welt gesendet, welcher um unserer Sünden willen gestorben, um uns in seinem Blut abzuwaschen, und auf ein neues zu gebähren; dessen Wort nichts als Mirackul gewesen; also zwar, daß er in Betrachtung seiner Auferstehung auch über den Tod triumphierte: und eben durch ihn wird der himmlische Vatter am letzten Gerichts-Tag die Lebendige und Verstorbene urtheilen, und vor dem Thron seiner Majestät werden wir sammentlich erscheinen müssen, um den Lohn für Gutes und Böses, so wir in unserem Leben gethan haben, einzunehmen.


Dieser allmächtige Monarch der Englen, und der Menschen laßt ihm das Hertz nicht abgewinnen durch das Fleisch und Blut der Thieren, weder durch den Geruch des Rauchwercks, wohl aber durch die Ubung der Gerechtigkeit, und der Reinigkeit unserer Leibern. Darum meine gebiethende Herren! gleichwie er euch in der Würde über andere Menschen erhöhet, also seyd ihr auch absonderlich verbunden, ihne im Geist, und in der Wahrheit anzubetten, die Gerechtigkeit nach dem Befehl ihro Kayserl. Majestät Hand zu haben, und die Unschuldige von der Verfolgung der Hochmüthigen zu erlösen, auf daß, wann ihr wahrhafte Nachfolger GOttes werdet, ihr auch einstens euren Theil an seiner Glory erlangen möget. Ex Causini Tom. 2.


Diese Verthätigung hatte bey dem Römischen Rath einen solchen Nachdruck, daß Paulus von aller Schuld ledig gesprochen, und auf freyen Fuß gestellt worden: ja, es wurde ihm auch erlaubt, in Rom das Evangelium zu verkündigen; welches allen einen solchen Muth machte, daß auch diejenige selbst, die es vorhero verlassen, wiederum angenommen, Buß gewürckt, und auch andere zu solcher durch ihr Exempel kräftig bewegt haben.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 383-386.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon