Sieben und zwantzigste Begebenheit.

Thomä Mori, Weiland Engelländischen Reichs-Cantzlers gottsförchtiger Lebens-Wandel, und für die Ehr des Catholischen Glaubens starckmüthig-ausgestandener Tod.

[672] Dieser vortrefliche Mann war gebohren zu Londen, der Haupt-Stadt in Engelland, aus adelichen Geschlecht. Sein Vatter ware Ritterlichen Stands, Johannes Morus mit Namen, gegen welchem sein Sohn Thomas ein solche kindliche Ehrenbietigkeit getragen, daß er auch schon würcklich mit der Würde eines Reichs-Cantzlers bekleidet in dem Pallast West-Münster in Versammlung und Gegenwart aller Land Ständen vor ihm auf die Knie niedergefallen, um seinen Seegen zu empfangen: Welches er auch, unangesehen seines hohen Amts und Würdigkeit täglich zu thun nicht unterlassen, ehe und bevor er Abends spat sich zu der Ruhe begeben. Ein herrliches Beyspiel allen rechtgeschaffenen Kinderen, was für Ehrenbietigkeit sie denen schuldig seyen, von welchen sie Blut und Leben empfangen haben.


Als er noch ein Jüngling war, und seinem Studieren oblage, hatte er im Brauch seinen Leib mit einem härinen Kleid umzugurten, und ihn also inner den Schrancken der Gebühr zu halten. Er schlafte bisweilen auf blosser Erden, oder auf einem flachen Brett; und war sein nothwendige [672] Ruhe mit 4. oder 5. Stunden abgemessen. Und ob er zwar dem Fasten und Abbruch, auch dem vielen Wachen ergeben war, so wußte er doch dieses alles so fein und artlich zu verbergen; daß solches sehr wenig, die um ihn waren, haben mercken können.

Nach löblich-vollbrachtem Studieren, als ein junger Mann von ungemeiner Gelehrt- und Geschicklichkeit hat er 14. verschiedene Aemter eben so viel Jahr lang zum Besten des Reichs, und gemeinen Weesens verwaltet, mit solchem Vergnügen des in vorgehender Begebenheit gedachten Königs Heinrich des 8ten, daß ihn dieser zur Würde eines Reichs-Cantzlers erhoben, welchem Amt er so lobwürdig vorgestanden, daß er von Männiglich geliebt und gelobt war: Dieweil er nemlich die Gerichts-Händel mit höchster Gerechtigkeit administrirte; wie aus folgendem klärlich zu ersehen ist.


Sein eigener Tochtermann, Aegidius Heron, führte einen Gerichts-Handel, welchen Morus nach Recht und Billichkeit entscheiden solte. Als er aber gemerckt, daß dieser Handel auf keinem guten Grund stunde, hat er ihn in der Stille freundlich ermahnt, davon gutwillig abzustehen. Als aber der Tochtermann solche Erinnerung nicht annehmen wolte, sondern den Rechts-Handel fortsetzte, hat Morus mit Hindansetzung aller natürlichen Neigung den Ausspruch wider seinen eigenen Bluts-Verwandten gethan. O daß sich die Richter der gantzen Welt hierüber spieglen wolten!

Mit dieser so löblichen Gerechtigkeit stimmte überein seine Andacht und Gottsförchtigkeit. Sein erstes Werck bey anbrechenden Tag vor allen anderen Geschäften war die Anhörung der Heil. Meß, welche Andacht er so vestiglich hielte, daß, obwohlen er zu Zeiten 2. oder 3. mahl vor dem König zu erscheinen beruffen wurde, er doch, ehe und bevor das Meß-Opfer vollendet war, dem Befehl zu folgen unterlassen, sprechend zu denjenigen, die ihn zu schneller Unterbrechung seiner Andacht trieben, er hätte nur einem grösseren, und höheren Herrn seinen schuldigen Dienst zu erstatten, als sein König wäre: Müßte also nothwendig zuvor denselben vollbringen. O Gottsförchtigkeit! würdig, daß sie auch von denen grossen Herren dieser Welt gelobt werde! wann sie anderst gedencken wollen, daß sie gegen GOTT mehr nicht seynd, als ein Hand voll Staub und Aschen.


So oft Morus von Hof nach Haus gekehrt, pflegte er sich alsobald in seine Haus-Capell zu verfügen, um sein Gemüth zu reinigen, wann ihme etwann von den Hof-Geschäften einige Mackel, oder Gebrechen angeklebet.


Unangesehen, daß er Reichs-Cantzler war, hatte er in seiner Pfarr-Kirch sich neben seinem Pfarrer mit einem Chor-Rock angethan, gesetzt, und [673] die Kirchen-Gebett abgesungen. Und als ihn jemand hierüber getadelt, daß dieses vor seine Würdigkeit unanständig wäre; und wann solches dem König solte zu Ohren kommen, es ihme gewißlich hoch mißfallen wurde: antwortete Morus, er seye versichert, daß derjenige Dienst, so er dem Herrn aller Königen leiste, seinem König nicht mißfallen könte. Es war auch seine Gewohnheit, daß er dem Priester zum Altar gedienet, und in den offentlichen Umgängen, so in seiner Pfarrey gehalten wurden, sich nicht gescheuet, das Creutz vorzutragen, da er schon mit der Würde des Reichs–Cantzlers geziert ware.


Mithin war er so mild und barmhertzig gegen den Armen, daß er alle Strassen und Winckel durchloffen, und sie in ihren eigenen armen Behausungen aufgesucht, das Allmosen mitzutheilen, nicht nur mit 2. oder 3. Groschen; sondern oftermahlen 3. oder 4. Gold-Cronen: oder wann ihm solches in eigener Person, wegen Viele der Geschäften unmöglich fiele, hat er derenthalben seine Hausgenossene abgesandt; hat auch oft die Arme an seine selbst eigene Tafel geladen, und sie gantz freundlich und mit grosser Fröhlichkeit besprochen. Ja ein arme Wittib, so in Gerichts-Händlen alles das ihrige eingebüßt, hat er in sein eigenes Haus genommen, und sie auf seine eigene Unkösten Lebenlänglich erhalten. Endlich hat er allen Wittiben in Gerichts-Processen umsonst gedient.

Als Reichs-Cantzler gienge er oftermahls in die offentliche Versamlungen mit einem härinen Kleyd heimlich angethan; und geißlete sich alle Freytag, wie auch an allen Quatember-Tägen, und Feyerabend der lieben Heiligen.

So war er auch in allen seinem Handel und Wandel so redlich und aufrecht; auch ein so grosser Verachter der Reichthumen, daß er in allen seinen Aemteren, so er vom 20ten Jahr seines Alters bis auf das 50te bedienet, nicht mehr jährlich als 60. Gold-Cronen vorgeschlagen; da doch ein anderer in solchen Aemteren innerhalb 5. Jahren wohl 60000. wurde vorgeschlagen und gewonnen haben.


Was sein Haus-Weesen belangt, konte selbiges mit Wahrheit ein wohleingerichtete Schul der Christlichen Vollkommenheit benamset werden. Die erste und gröste Sorg ware die Gottsförchtigkeit. Man hörte da weder Zanck noch Hader, noch einiges ungebührliches Wort; viel weniger schelten, schwören und fluchen. Bis auf den geringsten Diener thate ein jeder sein Amt mit aller Vollkommenheit und Gebühr, gantz emsig und treulich. Man sahe da niemand mit Karten, Würflen, noch anderem verbottenen Spiel umgehen. Zu Abends, ehe man sich zur Ruhe begabe, mußten alle Haus-Genossene sich in einem Saal versammlen, um für die Lebendige, und Todte zu betten, und solches beschliessen mit dem Gruß an die allerseeligste Jungfrau [674] und Mutter GOttes mit dem Salve Regina: Gegrüßt seyest du Himmels-Königin. Täglich über Tisch hat eine seine Töchteren aus der Heil. Schrift so lang müssen vorlesen, bis ihr ein Zeichen gegeben war, damit inzuhalten. Auf welches hin die meiste Zeit mit Fragen und Antworten zugebracht wurde, wie die schwereste Stellen der Heil. Schrift zu verstehen, und auszulegen wären.


Da er also sein Leben in aller GOtts-Forcht zubrachte, hat es sich zugetragen, daß der König aus gottlosem Frevel angefangen, sich für das Ober-Haupt so wohl in geistlichen, als weltlichen Sachen durch sein gantzes Reich aufzuwerffen. Wie ihm nun viel von seinen Unterthanen hierin geschmeichlet, wolte er vernehmen, ob ihm auch Morus in dieser Sach beyfallen wurde. Es wurde ihm also der Eyd aufgetragen, den König für das Ober-Haupt der engelländischen Kirchen zu erkennen. Allein Morus weigerte sich solches zu thun, vorwendend, wie daß solches Begehren sowohl wider das göttliche Recht, als Aussprüch der Heil. Vätteren, und Kirchen-Versammlungen lauffe. Bitte demnach, man wolte ihn mit solchen Andringen verschonen: dann er niemahl etwas thun wurde, so wider GOtt, und sein Gewissen wäre. Allein der König unterliesse nicht alle erdenckliche Mittel anzuwenden, dieses standhaftige Hertz zu brechen, und nach seinem Sinn zu biegen; welches doch alles vergebens und umsonst gewesen. Endlich ward Aloysia, seine Gemahlin zu ihm gesandt, ob sie nicht etwann mit Zäheren und Weinen (welches der Weiberen gewöhnliche Waffen seynd) wie auch durch die Liebe, mit welcher ihr Morus zugethan war, etwas zu wegen bringen könte. Wo sie ihm aber zugleich bedeuten solte, daß, wofern er sich nicht nach des Königs Willen schicken wurde, er nicht allein in dessen höchste Ungnad; sondern auch grosse Gefahr das Leben zu verliehren kommen wurde. Solle demnach mit ihr und seinen lieben Kindern Mitleyden tragen, und seines Lebens nicht vergessen, welches er noch viel Jahr lang in Ehren, und Kommlichkeiten zubringen konte. Auf dieses Zusprechen fragte sie Morus: wie lang dann, mein liebste Aloysia! wie lang vermeint ihr, daß ich noch leben könne? noch 20. Jahr (versetzte sie) wann es GOtt also beliebet. Wie? (sagte hierauf Morus) so verlangt ihr dann, daß ich die lange Ewigkeit mit 20. Jahren vertauschen solle? Ey! mein Aloysia, ihr seyd wohl unvorsichtig, und verstehet euch wenig auf die Kauf-Mannschaft. Wann ihr mich aufs wenigst versicheren köntet noch auf 20000. Jahr hinaus mein Leben zu erstrecken, liesse es sich vielleicht noch hören. Aber auch alles dieses, was wäre es gegen der unendlichen Ewigkeit zu rechnen? Gehet demnach fort, woher ihr seyd kommen. Ihr werdet mich in Ewigkeit nicht überreden. Mit diesen Worten hat er sie entlassen, und abgefertiget.

[675] Als mithin der König verstanden, daß diesem standhaftigen Hertz nichts abzugewinnen seye, branne er im Zorn auf, und befahle; daß man ihm den Proceß machen solte; welches dann auch von dem königlichen Rath geschehen, als welcher Morum zum Tod verurtheilt hat. Hierauf ist er in die Gefängnuß geführt worden: wo sich aber auf dem Weeg ein klägliches Spectacul ereignet, daß vor lauter Traurigkeit die Hertzen aller Zusehenden hätten in Stuck u. Trümmer zerspringen mögen. Dann als Margaretha, die ältiste Tochter Mori, welche ihren Vatter unaussprechlich liebte, verstanden, daß über ihn das Urtheil des Tods wäre gefällt worden, ist sie ihm ungesaumt entgegen geloffen, entweders von ihm den letzten Abschied zu nehmen; oder wenigst seiner noch einmahl ansichtig zu werden, und diesen letzten Trost ihren Augen zu vergönnen. Darum sie dann das andringende Volck mit Gewalt durchbroch, und die Soldaten-Wacht zertheilt hat. So bald sie nur ihren Vatter gesehen, und erreicht, fiele sie ihm um den Hals, und nachdem sie ihn ein geraume Zeit (ohne eintziges Wort zu verliehren) mit beyden Armen geschlossen, und vest gehalten, hat sie. endlich mit Zäheren gantz übergossen mit halb gebrochener Stimm aufgeschryen; ach mein allerliebster Vatter! unter diesem so kläglichen Umfangen, und Umhalsung sprache Morus zu seiner Tochter; Margaretha! O Margaretha! mein liebes Kind schicke dich doch zur Christlichen Gedult. Warum wilst du dich also quälen und betrüben? siehe das ist der Willen GOttes. Du hast vor längst schon alle Heimlichkeit meines Hertzens verstanden. Hat ihr zumahlen, auch zum letzten Abschied den vätterlichen Kuß gegeben. Kaum aber war sie 9. oder 10. Schritt von ihme entfernet, da sie durch Liebs-Gewalt angetrieben, wiederum zuruck, und zu ihrem Vatter geloffen; ihme um den Hals gefallen; aber vor Traurigkeit also bestürtzt, und mit Zäheren überflossen, daß sie vor Schmertzen gantz Sprach-los kein eintziges Wort aussprechen konte. Und ob gleich Morus sich gantz standhaftig erzeigt, konte er sich doch nicht enthalten, daß ihm nicht die Zäher aus den Augen geschossen, zu guter Letze aber nichts anders gesprochen, als allein dieses: Margaretha! Mein liebes Kind! bitte GOtt für mein Seel. Bey diesem so erbärmlichen Schau-Spiel seynd allen denen, so zugegen waren, die häuffige Zäher aus den Augen geschossen, und kan man leichtlich erachten, was für ein scharf-schneidendes Schwerd das Hertz Mori durchdrungen habe, als er sein liebste Tochter, die er mehrer als seinen eigenen Aug-Apfel geliebt, um den Hals liegen gesehen, mit Zäheren gantz übergossen, mit welchem sie die graue Haar ihres liebsten Vatters benetzt hatte. Nichts destoweniger sahe man bey allen diesen [676] Trübseeligkeiten in dem Angesicht Mori keine unanständige Schwachheit, oder ungebührende Verzagenheit.


Nachdem nun entzwischen 5. Täg verstrichen, ward dieser tapfere, und unüberwindliche Christliche Held offentlich vorgestellt, und nach dem Platz geführt, wo er des Tods sterben, und seinen unvergleichlichen Geist aufgeben solte. Er truge die Bildnuß seines gecreutzigten Heylands in den Händen. Sein Kleyd und Aufzug war schlecht. Die Augen erhebte er gen Himmel wo sein Hertz und Gemüth schon längst waren. Mitten auf dem Weeg ward ihm zur Labung von einer barmhertzigen Frauen-Person ein Trunck Weins anerbotten; dessen er aber sich bedanckte, und solchen anzunehmen weigerte, sprechend: Christus seye in seinem bitteren Leyden nicht mit Wein; sondern mit Gall und Eßig getränckt worden. Als er nun das Toden-Ge rüst erreichet, ergriffe er die Hand eines Herumstehenden, und sprach: guter Freund! helft mir, damit ich die Stiegen hinaufsteigen möge. Seyd versichert, daß ich euch im herabsteigen kein Mühe mehr machen werde. Als er schon droben stunde, ward ihm verbotten, zum Volck zu sprechen. Sprache demnach mit kurtzen Worten: liebe Brüder! ich betheure, daß ich sterbe, als ein getreuer Diener GOttes, und des Königs; und in der Catholischen Religion. Nach diesem fiele er auf die Knye, und bettete mit heller Stimm den Psalmen Davids: erbarme dich meiner, O HErr! nach welchen er wiederum aufgestanden. Da aber der Scharf-Richter hinzugetretten, und ihn um Verzeyhung gebetten, fiele er ihm um den Hals, und steckte ihm ein Gold-Cronen in die Hand, sprechend: du wirst mir jetzt eine grössere Gutthat erweisen, als mir jemand auf der Welt jemahls bis auf diese Stund erwiesen hat. Da er ihm hernach die Augen verbinden wolte sprache Morus komme nur: ich will dir selbst helffen. Dieses vollbracht, legte er sein Haupt auf den darzu bereiteten Block, da ihm dann selbiges durch den Mord-Beyl auf einen Streich abgeschlagen worden. O glorreicher Tod dieses vortreflichen Manns! O unauslöschliche Schand Henrici des Königs, der seine Händ in einem so edlen, und unschuldigen Blut hat waschen därffen! wie ungleich ist jetzt beyder Zustand in der andern Welt! O wie ungleich! Morus in dem Himmel. Henricus (besorglich) in der Höllen. Dann was wartet auf einen Verfolger des wahren und allein seeligmachenden Glaubens anders, als das höllische Feuer? Hazart S.J. Part. 3. seiner Engelländischen Kirchen-Geschichten.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 672-677.
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