Siebendes Gespräch.

[458] Pfleg-Kind. Ist Maria ein Mutter der Barmhertzigkeit? so wird sie ohne Zweifel auch seyn eine Trösterin der Betrübten.

Schutz-Engel. Du schlüssest gantz recht.

Pfleg-Kind. Kan ich auch hierüber eine Begebenheit vernehmen?

Schutz-Engel. Nicht nur eine; sondern mehr, wann es vonnöthen wäre. Aus vielen solle diese dir genug seyn.


Begebenheit.

Ein arme, und zugleich fromme Wittfrau hatte zwey Töchteren, die sie kaum erhalten konte. Deswegen führte sie selbige auf eine Zeit mit sich in eine Kirch, worinn ein geschnitzlete Mariä-Bildnuß verehret wurde. Da schlosse sie der Töchteren Händ in die Händ des Bilds, sprechend: diese meine Töchteren, O Mutter der Barmhertzigkeit, übergibe ich dir hiemit in deine Händ, und bitte dich, du wollest hinführo ihre Mutter seyn, und sie bey ihrer Jungfräulichen Reinigkeit erhalten. Dann ich muß immer in Sorgen stehen, daß selbige Armuth halber nicht etwann in Gefahr kommen. Darauf kehrte sie nach verrichtem Gebett mit ihnen wiederum nach Haus. Unter Weegs begegnet ihr ein unbekannter Jüngling. Der überreicht ihr ein Seckel, in welchem hundert Cronen (so ein schöne Summa Gelds ausmacht) enthalten waren mit offenhertziger Bezeugung, daß er diese Summa ihrem verstorbenen Mann annoch schuldig verblieben seye.

Die Mutter mit nicht geringer Befremdung, und untermengter Hertzens-Freud nimmt den Seckel zu sich. Kleydet daraus ihre Töchteren etwas ehrlichers, und versihet sie auch im übrigen mit allem anderen, was sie ihnen nöthig zu seyn erachtet. Da waren dann gleich etliche Schalck-Augen und Ehr-vergessene Zungen, welche ausgaben, als wann die fromme Töchteren solches Geld durch unehrliche Händel erhalten hätten: welche Verleumdung denen keuschen Mägdlein viel weher thate, als ihre vorhin erlittene Armuth, und höchstbedrangte Dürftigkeit.

[458] Wem solten sie aber ihr Anligen anvertrauen und klagen, als der Jungfrau aller Jungfrauen, dero sie als einer Mutter übergeben waren? lauffen also zu ihr gantz bestürtzt, und klagen ihr Noth mit weinenden Augen: wie daß sie nemlich von falschen Zungen wären verunglimpft, und bey den Leuten verschreyt worden. Halten also flehentlich um Hülf an, damit sie doch denen Leuten möchten aus ihren bösen Mäuleren kommen.

Maria könte, als eine Trösterin der Betrübten, diese ihro anvertraute, und betrübte Töchteren nicht ansehen, daß sie sich ihrer nicht erbarmet hätte. Befihlt demnach zweyen englischen Geisteren, daß sie sich in der Kirchen bey dem offentlichen GOttes-Dienst, da alles Volck wurde versammlet seyn, sich solten in den Lüften sehen lassen mit zierlich geflochtenen Kräntzen, und selbige denen mit grösten Unfug verschreyten frommen Töchteren auf ihre Häupter setzen. Welches sie dann gethan, und zwar mit diesen Worten: diese Kräntz schickt euch zum Beweisthum euerer unversehrten Jungfrauschaft Maria, JEsu, und euere Mutter. Auf welches sie aus den Augen des Volcks verschwunden, mit Hinterlassung in den Gemütheren der Anwesenden der ehrlichsten Meynung von diesen Jungfrauen, die eben dazumahl gegenwärtig, und knyend in dem Gebett begriffen waren. Welche Begebenheit dann etwelchen frommen Leuten Anlaß gegeben, daß sie ein Closter haben bauen lassen, in welches sich diese Jungfrauen verschlossen, und Maria, als ihrer Mutter eyfrig bis an ihr End gedient haben. Leonardus Mayr in stemmate Mariano 21. May.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 458-459.
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