Neuntes Gespräch.

[462] Schutz-Engel. Ihr Menschen habt freylich Ursach einen grossen Trost zu schöpfen, daß Maria euer Zuflucht ist, ungeachtet, daß ihr Sünder seyd. Allein ihr müßt darum diese Zuflucht nicht mißbrauchen, und darauf hin sündigen.

Pflegkind. Es ist wahr, dann Maria hätte billiche Ursach sich darüber zu beschweren.

Schutz-Engel. Du sagst recht, dann so oft ihr schwehrlich sündiget, erneuert ihr das Leyden ihres Sohns, und creutziget ihn (so viel an euch ist) wiederum auf ein neues. Das heißt ja diese Mutter betrüben.

Pflegkind. Es ist nicht anderst. Vielleicht hat sich hierüber eine Begebenheit zugetragen, in welcher sich diese liebe Mutter über solche Sünder beschwehrt hat.

Schutz-Engel. Ja freylich; und zwar eine, welche verdient wohl in der Gedächtnus aufbehalten zu werden.

Pflegkind. Ich möchte sie wohl vernehmen.

Schutz-Engel. Ich erzähle sie mit allen Umständen, wie sie sich hat zugetragen.


Begebenheit.

Es war ein lasterhafter Soldat; hatte aber ein frommes Weib, welches ihne beredt, alle Sambstag zur Ehr unser lieben Frauen zu fasten, und so oft er von Haus gienge, jederzeit den Englischen Gruß zu sprechen. Als er nun auf eine Zeit von Haus gienge, nach Gewohnheit seine böse Gelüsten zu erfüllen, und den Weeg durch ein Kirchen nehmen mußte, ersahe er darinn ein geschnitzletes Mariä-Bild, tragend auf den Armben ihr liebes JEsus-Kindlein. Da knyete er dann vor dieser Bildnus nieder, um den Englischen Gruß zu sprechen. Er hatte aber kaum angefangen, da sahe er, daß das Kindlein voller Wunden war, aus welchen das Blut häufig in der Mutter Schoos herunter flosse. Der Soldat hierüber erschrocken schreyt überlaut: O Frau! wer hat das gethan? wer hat deinen lieben Sohn so erbärmlich verwundet? da versetzte Maria: du, und deines gleichen Sünder; ihr, ihr seyd es, die meinen lieben Sohn auf ein neues so erbärmlich geißlen, zerfleischen, ja grausamer mit ihm umgeht, als vor Zeiten die Juden gethan haben.


Als nun der Soldat sich seiner vielfältigen und schwehren Sünden auf diese Antwort erinnert hatte, seuftzete er hertzlich darüber, und sagte: O Mutter der Barmhertzigkeit bitte [463] doch für mich. Sie antwortete aber: Ja, ja, ihr Sünder nennet mich ein Mutter der Barmhertzigkeit, beynebens aber höret ihr nicht auf, aus mir zu machen eine Mutter der Schmertzen. Es ist wahr, sagte der Soldat: ich kan es nicht laugnen; allein gedencke, daß du seyest eine Fürsprecherin der Sünder, darum bitte für mich. Auf diese Wort wendete sich die Mutter zu ihrem Sohn, und sagte: O mein allerliebster Sohn! erbarme dich dieses Sünders, welcher demüthig um Verzeyhung bittet. Der Sohn aber gabe ihr zur Antwort: mein allerliebste Mutter! lasse es dir nicht schwehr fallen, wann ich dich nicht erhöre; dann auch ich hab meinen Vatter am Oelberg gebetten, er wolle doch den bitteren Kelch meines bevorstehenden Leydens von mir hinweg nehmen; und er hat mich noch nicht erhört. Da sagte die Mutter: erbarme dich dannoch: dann wiewohl dieser Sünder es nicht verdient, so thue es doch wegen meiner, weil ich für ihn bitte. Der Sohn aber hierauf gabe zur Antwort: und ich hab auch den Vatter zum andernmahl gebetten, und bin doch nicht erhört worden. Hierauf sagte die Mutter: gedencke mein allerliebster Sohn aller Mühseeligkeiten, Schmertzen und Betrübnussen, die ich deinetwegen ausge standen, und schencke mir diesen Sünder. Der Sohn versetzte abermahl: Allerliebste Mutter! lasse dir abermahl meine abschlägige Antwort nicht schwehr fallen? dann ich hab den Vatter auch zum drittenmahl gebetten, und er hat mich doch nicht erhört. Als die Mutter diese Antwort erhalten, setzte sie ihren Sohn auf den Altar hin, und wollte einen Fußfall thun, damit sie dem Sünder möchte Verzeyhung ausbitten. Wie der Sohn das ersehen, sagte er: Dieses seye fern von dir, mein allerliebste Mutter: dann es steht dem Sohn zu, die Mutter zu ehren. Ich schencke also diesen Sünder deiner Barmhertzigkeit, die du gegen ihm tragest; der sonst verdient hätte verdammt zu werden, wann ich nach Erforderung meiner Gerechtigkeit handlen wollte. Als nun der Sünder in grösten Aengsten stunde, was die Sach für ein End wurde nehmen, da sagte Christus: meiner Mutter zu lieb und gefallen verzeyhe ich dir deine Sünden. Zum Zeichen aber, daß ich mit dir versöhnet seye, so komm her, und küsse meine Wunden. Und als der Sünder dieses gethan, siehe! da waren alle Wunden des JEsus-Kindlein geheylet. Er aber diese Barmhertzigkeit tief zu Gemüth führend danckte der Mutter GOttes mit Freuden; und gienge mit Bewilligung seines Weibs in ein Closter, in welchem er Buß thate, und bis an sein End darinn verharrete. Pelbart in Stellar. l. 12. Part. ult. c. 7.


Pflegkind. Aus dieser Begebenheit ersihe ich zu Genügen, wie der Sünder sich hüten solle die Zuflucht [464] Mariä nicht mißbrauchen, und darauf hin zu sündigen: dann das wäre ein höchst-sträfliche Vermessenheit, und könnte wohl geschehen, daß er sich der Mildigkeit Mariä unwürdig machte.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 462-465.
Lizenz:
Kategorien: