Zwey und dreyssigste Begebenheit.

Ein Meer-Mann redt und zeigt an, was für wunderliche Geschöpf im Abgrund des Meers verborgen seyen.

[579] Als im Jahr 1619. Christian der Vierte König in Dänemarck, Reichs-Geschäft halben zwey Reichs-Räth nacher Norwegen über Meer abgeordnet, geschahe es, daß als sie nach vollzogener Verrichtung zu Schif nach Haus kehrten, und bey hellem Wetter in dem Schif auf und ab spatzierten, einen Mann zimlich tief im Wasser erblickten, welcher aufrecht gienge, und unter einem jeden Arm ein Büschel Meer-Graß truge. Diesen nun, als ein Meer-Wunder zu fangen, warfen die Schifleut ins Wasser einen eisenen Hacken, an welchem sie einen Schuncken angemacht, und liessen ihn so tief in das Wasser hinunter, daß der Meer-Mann selbigen nicht allein sehen, sondern auch ergreiffen konnte; wie dann selbiger, so bald er dessen ansichtig worden, sich darzu geschwungen, solchen gefaßt, und ablösen wollen; inzwischen aber zogen die Schif-Leut den Hacken immerzu empor, und zu sich, also daß sie den Meer-Mann umfaßten: worauf sie ihn mit ihren Hacken behend in das Schif gezogen, in welchem er eine Zeit lang gelegen, sich bewegt, und wie ein Fisch gewunden hat, aber keine Stimm von sich gegeben. Nachdem er sich nun durch stetes Zappeln zimlich ermüdet, bliebe er endlich gantz still, nicht anderst, als wann er tod wäre. Was seine Gestalt anlangt: ware er anderen Menschen nicht viel ungleich, ausser daß seine Haar, so ihme über beyde Achslen herunter hiengen, mit einer Haut überzogen waren. Als er nun, wie gemeldet, eine Zeit also gelegen, haben eine aus denen, so herum stunden, und den Meer-Mann mit Erstaunung ansahen, gesagt: wie wunderbarlich ist doch GOtt, der solche Creaturen im Wasser erschaffen hat, und erhaltet! hierauf fienge der Meer-Mann an zu reden, und sagte mit deutlicher Stimm: Ja, wann ihr erst wußtet, wie ich es weiß, was für Geschöpf im Abgrund des Meers seynd, wurdet ihr euch noch vielmehr über GOttes Allmacht verwundern. Dann ihr solt wissen, daß unter der Erden, und im Abgrund des Meers noch viel verwunderlichere Geschöpf seynd, als man auf Erden findet. Dieses geredt, sagte er endlich: Jetzt lasset mich ungesaumt wiederum ins Wasser, sonst werdet ihr alle zu Grund gehen. Als die Schifleut dieses mit Schröcken gehört, zogen sie ihn auf den äussersten Ranf des Schifs, wo er sich dann selbst in das Wasser gestürtzt, und seines Weegs davon geschwummen. Theatrum Europæum ad dictum annum 1619.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 579.
Lizenz:
Kategorien: