24. Qui Bavium non odit, amet tua Carmina Mævi

[455] Kurtzes Gespräch.


M. –


Wie kommt es, dass man dir nichts schuldig ist geblieben,

Indem man mich nicht einst des nennens Wehrt geschätzt?


[455] B. –


Ich hab' ein stoltz Sonnet im Finstern aufgesetzt.


M. –


Hab' ich nicht dir zu Lieb' ein gantzes Buch geschrieben?


B. –


Wahr ist es, doch ich bin nicht du, und du nicht ich:

Wer Lachens werth mich schätzt, der denckt nicht einst auf dich.1


Fußnoten

1 Wer Lachens wehrt mich schätzt, der denckt nicht einst auf dich. Hätte Virgilius in dem obangezogenen Vers nicht des Maevius gedacht, und Horatius nicht eine gantze Epode auf denselben geschrieben, worinnen er ihm eine unglückliche Schiffahrt anfluchet mit folgendem Anfang:


Mala soluta navis exit alite

Ferens olentem Maevium – –


So hätte kein Mensch itzund gewust, dass dieser stinckende Maevius jemals in der Welt gewesen wäre; vielminder dass er unzehlig viel Verse geschmiedet, mit welchen er, wie den Virgilius und Horatius, also auch andere geschickte und vornehme Leute beydes ohne Witz und ohne Scham angegriffen habe. Nun haben wir Deutsche mehr als einen Maevius unter uns. Insonderheit findet sich einer, welcher mit allen Kräfften darnach ringet, dass seiner in eines andern Schrifften möge gedacht werden. Soll man dem armen Menschen diese Ehre erweisen? Soll man weil man unter die Wölffe gerahten, auch mit denselben heulen? Soll man sagen, wie man es denn nur im blossen Durchblättern gefunden, dass er in einem unförmlichen Chaos allerhand zusammen geraffter alberner Gedichte, nicht allein die unflätigste und unzüchtigste Worte deutlich heraus spricht; sondern auch so gar in klaren Worten sich eines gewissen Lasters berühmet, welches die Kayserl. Rechte mit dem Tode zu straffen anbefehlen? Dass er darinnen nicht allein viele Leute hohen und mittelmässigen Standes; sondern so gar auch einen Verstorbenen, und aus dem hohen Ertzhauss entsprossenen König; und nebst ihm ein anitzo zwar feindliches, aber dennoch Königliches Blutt höchst-sträfflicher Weise geschändet und gelästert habe? Und endlich damit die Maasse vollkommen sey, dass er vier schändliche Verse wieder Gott Selber, aus dem Welschen übersetzen, und sich folgends vor eines andern Witz verdammen wollen? Solte man aber dieses sagen, und an gehörigem Ohrt anzeigen, so würde er ohne Zweifel der Obrigkeit in die Hände fallen, und Gewissens und des gemeinen Wollseins halber der wollverdienten Straffe destoweniger entgehen; je mehr dergleichen Sachen im Anfang um sich greiffen: Indem sie nicht allein wegen Mangel alles Witzes und Verstandes nur von denjenigen gelesen werden, denen sie am meisten schaden können; sondern auch weil sie voller garstigen Zoten und Fratzen sind, insgemein so viel Käufer finden, als es Pennäle auf den Universitäten, witzige Leute in den Krahmladen, neue Zeitung-Leser unter den Handwercks-Burschen, und insgemein in allen Gewerben, lästerhaffte ungeschickte und übelerzogene rohe Menschen giebt. Eine gelehrte oder sinnreiche Schrifft an der einen Seite; und an der andern ein ohne Scheu und Scham geschriebenes Buch bereichern auf eine Weise den Verleger. So dass ein Verfasser bey der geschwinden Wiederauflage seines Buchs nicht allemahl urtheilen kan dass es sehr gutt; sondern vielmehr dass es sehr schlimm sein müsse. Sintemahl die eusserste Gräntzen der Ehr und Schande, wie Ost und West einerley sind; Und einem Indianischen Könige, den grossen Mogol selbst nicht ausgenommen, kaum so viel Leute nach seinem Pallast, als einem Diebe nach dem Galgen folgen. Es sind nicht meine, sondern des berühmten Buttlers Worte, wie sie in seinem sinnreichen Englischen Knittel-Gedichte, Hudibras genant, folgender massen zu finden sind:


Th'extreams of Glory, and of Shame

Like East and West become the same:

No Indian Prince has to his Palace:

More follow'rs, than a Thief to th' Gallows.


Im übrigen so muss ich der Wahrheit zu Behuf gestehen, dass ich unter so vielem liederlichen Zeug ein zwar kleines, aber dabey so sinnreiches Gedicht gefunden, dass ich dasselbe nicht gnugsam zu rühmen weiss. Es bestehet in der That in einem so schönen Einfall, dass dergleichen schwerlich in allen unsern deutschen Poeten wird zu finden sein. Der Titel desselben ist: als sie sich entfärbte. Zwar ist es wahr, dass er dasselbe des Guarini Pastor fido, höflicher Weise zu reden, von Wort zu Wort entlehnet hat, wie aus folgenden Worten zu sehen:


Vergogna che'n altrui stampò natura,

Non si può rinegar: che se tu tenti

Di cacciaria dal cor, fugge nel volto.


Guarini Atto 2. Sc. 5.


Und dass überdem dieser Raub desto thörichter, weil dieser getreue Schäfer von dem Herrn von Hoffmanswaldau übersetzet, und folgends in aller Deutschen Händen ist: Allein er hat diesen schönen Einfall durch seine Redens-Ahrt so sehr zerstümmelt, dass er ihn hiedurch mit Recht sich zueignen können, nach dem bekanten Vers:


Quem recitas meus est, O Fidentine, Libellus;

Sed malè dum recitas, incipit esse tuus.


Ich erinnerte mich hiebey einer Begebenheit des Hertzogs von Ossuna auf den Spanischen Galeren. Als General derselben hatte er Macht an jedem grossen Fest-Tage einen Sclaven von denselben zu erlösen. Als er nun an einem Pfingst-Tage die Galeren dieser Ursach halber betreten, und einen jeden befraget, warum er auf die Ruderbanck verdammet worden; damit er daraus sehen könne, wer von ihnen die Gnade der Befreyung am meisten verdiente: So war keiner der nicht seine Unschuld hoch heraus striche, und sich über das Unrecht das man ihm angethan beklagte. Endlich kam er an einen Münch, welcher frey heraus sagte, dass er nicht allein diese, sondern noch eine viel grössere Straffe durch seine Frevelthaten verdient hätte. Der Hertzog der an dieser offenhertzigen Bekäntnüss ein sonderliches Gefallen trug, sagte hierauf gleichsam als im Zorn: Ey was machst du Bube denn unter so vielen frommen und redlichen Leuten? Heraus mit dir, damit du dieselbe mit deiner Bossheit nicht anstecken mögest. Liess ihm auch so gleich die Fesseln abnehmen und denselben in volle Freyheit setzen. Die Zueignung ist hier leicht zu machen. Ich fragte alle Quotlibets, Satyren, Cantatas und Sonnatas; alle Selimenen, Dulcimenen und wie sie weiter Nahmen haben: habt ihr Leute, ich will nicht sagen Witz' und Verstand, sondern nur die gesunde Vernunfft? Ja freylich, schrien alle einhellig, und waren noch zornig dass ich diese Frage gethan hätte. Als ich aber die aus Welschland entführte Nymphe auch fragte, ob sie Witz hätte, so entfärbte sie sich, und war viel zu geschickt, und folgends viel zu sittsam, dass sie die Frage mit Ja hätte beantworten sollen. Was habt ihr denn in dieser Galere zu thun? Heraus, sagte ich, mit dieser einfältigen Nympfe, damit sie die witzige Gesellschafft der andern durch ihre Einfalt nicht zerstören und verunzieren möge.

Ecce

Crispinus minimo me provocat: accipe, si vis,

Accipe jam tabulas: detur nobis locus, hora,

Custodes: videamus uter plus scribere possit.

Et quodcunque semel chartis illeverit, omnes

Gestiet a furno redeuntes scire, lacuque

Et pueros et anus.


Horat. Satyr. 4. Lib. 1.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 455-456.
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