7. Auf Marphor den groben Heuchler

[332] Als nah' an Tabors Burg, zur Zeit

Da erstgeborne Wärmbd' ein kaltes Land erfreut'

Der müssige Marphor sich an der Sonnen tagte

Und Tabor ungefehr ihn, was er mache, fragte;

Da sagt' er, als er nach Gebrauch

Des Hofes sich erst tieff geneiget:

Ich steh' und wärme mich im Schatten von dem Rauch,1

Der itzt so mildiglich aus deinem Schorstein steiget.


Fußnoten

1 Und wärme mich im Schatten von dem Rauch. Die Heucheley vieler Leute ist heutiges Tages so grob und so Handgreiflich, dass, weil man dieselbe nicht wol in ihrer rechten Grösse vorstellen können, man folgends dieselbe, nach dem Gebrauch der alten Satyrischen Poeten, grösser als sie in der That nicht ist, vorgestellt hat. Tum enim Hyperbole virtus, sagt Quintilianus, cum res ipsa de qua loquendum est, naturalem modum excessit. Conceditur enim amplius dicere, quia dici, quantum est, non potest, meliusque ultrá quam citra stat oratio. lib. 8. Cap. 6. Unter den neuen hat sich Mollière in seinen Lustspielen dieser Poetischen Freyheit insonderheit bedienet. Man betrachte zum Beweiss diese Worte seines Geitzhalses, als ihm eine kleine Summe Geldes gestohlen worden: Je veux aller querir la justice, et faire donner la question à toute ma maison; à servantes, à valets, à fils, à filles, et à moy aussi. Oder man betrachte in seinen gelehrten Weibern, die eine, welche ihrer Magd die Thür bloss aus dieser Ursach weiset, dieweil sie ein Frantzösisch Wort gesprochen, das von Vaugelas verworffen ist. Dergleichen Gemählde sind von der Art derjenigen, welche von ferne müssen gesehen werden.

Ut pictura poesis erit: quae si propius stes

Te capiet magis, et quadam, si longius abstes.


Horat. de arte Poet.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 332-333.
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