35. An Menalcas

[267] Du hast den Cicero und Plato zwar gelesen,

Allein du kennest nicht der Welt verkehrtes Wesen;[268]

Und bildest dir nicht ein, dass Klugheit in Betrug,1

Und Witz und Wissenschafft versteckt sey in Gebehrden:2

Du hast Verstand, doch nicht Geschickligkeit genug,

Auch von den Narren selbst vor klug geschätzt zu werden.


Fußnoten

1 Dass Klugheit in Betrug. Mundus vult decipi, ist das gemeine Wort, ergo decipiatur. Weil die Welt mit aller Gewalt wil betrogen sein, so ist es Klugheit dieselbe zu betrügen. Die Ursach, warum so wenig geschickte Leute in der Welt erhoben werden, ist, dieweil sie sich zu viel auf ihre Geschickligkeit verlassen, und entweder auf die kleine Striche nicht dencken, oder dieselbe als verächtlich verwerffen, derer sich die Hudler mit grossem Vortheil bedienen. Grossen Herren bei gelegener Zeit unverschämter Weise nach dem Munde zu reden, gewisse Eigenschafften die sie entweder nicht haben, aber diese zu haben sich einbilden; oder die sie in der That haben, aber deswegen von aller Welt getadelt werden, diese sag' ich in ihnen hoch heraus zu streichen; ihre Vor-Cammern täglich zu hüten, und die Laqueyen und Pagen darinnen abzulösen: dieses sind die Mittel, wodurch sich manche untüchtige Leute in wichtige Ehren-Aemter nicht allein zu dringen, sondern sich auch in denselben nachmals zu erhalten wissen. Ein gewisser listiger Kautz, welcher bey dem Cardinal Mazarin gerne sein Glück gemacht hätte, liess sich alle Morgen gegen des Cardinals Herauskunfft in dessen Vor-Cammer sehen, ohne das geringste Zeichen von sich zu geben, dass er etwas bey ihm zu suchen hätte. Der Cardinal, welcher wegen der beständigen Aufwartung seine Person in acht genommen, rief ihn einesmahls im Heraustreten zu sich, gab ihm seine Genehmhaltung zu verstehen, und fragte ihn, ob er ihm worinnen dienlich sein könne. Ich weiss wol, antwortete der Unbekante mit tieffer Ehrerbietung, dass sich unzehlig viel Leute um ihre Eminentz befinden, die mehr Anspruch zu derselben Gnade, als ich, haben. Weshalben ich denn auch nichts anders von derselben zu erbitten mich erkühne, als dass sie mich allemahl im Vorbeygehen, so wie jetzt, mit einigen Worten begnädigen wollen. Der Cardinal, welcher sich über diese Erfindung ergetzte, versprach ihm, dass er ihn seiner Bitte gewehren wolte, und hielt' auch so wol sein Wort, dass jederman diesen Unbekanten vor einen Günstling des Cardinals ansahe, und wer etwas bey ihrer Eminentz zu suchen hatte, sich allezeit dieses seines Vorspruchs durch grosse Geschencke versicherte. Der Cardinal, welchem alle Geschencke von dem Unbekanten gezeiget wurden, lachte hertzlich über die Thorheit der Menschen, und that in den vorgeschlagenen Sachen nicht weniger und nicht mehr, als er sonsten würde gethan haben.


2 Und Witz und Wissenschafft versteckt sey in Gebehrden. Es giebt viel Leute, die ob sie gleich den Schalck in dem Nacken haben, ihr Gesicht dennoch in solche Falten zu setzen wissen, dass man sie vor die redligste Leute in der Welt halten solte. Hergegen giebt es andre, die, ob sie gleich das ehrlichste Hertz von der Welt haben, dennoch offtmahls durch ein zweiflendes Auge, und eine unsichere Sittsahmkeit sich in des zusprechenden Argwohn und Verdacht setzen, und folgends selten in der Welt gross Glück machen; es sey denn, dass sie ihre Natur so zu sagen zu verleuchnen, und nach Gelegenheit der Umstände beydes, was sie sind, und was sie nicht sind, in ihrem Gesichte und durch ihre Gebehrden zu zeigen wissen. Die Römer bey des argwöhnischen Tiberius Antritt zur Regierung verstanden diese Kunst meisterlich, sintemahl dieselbe ihr Gesicht so artig zu schrauben wusten, dass sie mit der einen Helfte zu lachen, mit der andern zu weinen, und weinend oder lachend dem Fürsten den Fuchsschwantz zu streichen schienen. At Romæ, sagt Tacitus, ruere in servitium Consules, Patres, Eques. Qaanto quis illustrior, tanto magis falsi ac festinantes, vultuque composito, ne laeti excessu Principis, neu tristiores primordio, lacrymas, gaudium, questus adulatione miscebant. Annal. lib. I.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 267-269.
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