30. Auff das Glück

[187] Manch ungehöbelt Holtz wird zum Mercur gemacht,

Indem manch theurer Mann aus aller Höffling' acht',

Sich sonst bey keiner Maass' als seinem Schatten misst;

Viel hebt das Glück empor, viel hält es auch zurück:

Doch wer die Welt recht kennt, der findet, dass das Glück

Mehr Schulden ausstehn hat,1 als es selbst schuldig ist.


Fußnoten

1 Mehr Schulden ausstehn hat. Dass ist zu sagen, dass unter denen, die in der Welt glücklick sind, kaum zehn unter hundert zu finden, die ihr Glück verdienen, und im Gegentheil unter den Unglücklichen kaum zehn unter hundert, die ihr Unglück nicht verdienen, und folgends das Glück allezeit mit neuntzig zehn bezahlen könne. Ich bin zwar in der ersten Ausgabe dieses Buchs wegen dieser Sache im Zweiffel gestanden, und in der andern Ausgabe gar von einer wiedrigen Meinung gewesen, allein ich habe nachgehends befunden, dass diese nicht allein die Richtigste, sondern auch einem Christen die Anständigste sey, als welcher zwar in Poetischen Sachen den Heyden zufolge das Wort Glück gebrauchen kan, aber dabey allezeit betrachten muss, dass ein Christ unter diesem Nahmen nichts anders als das Göttliche Verhängniss verstehen könne.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 187-188.
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