6.

Wie Wilibaldus ein kleine zeit in seines zuchtmeisters straff verharret, sonder ihn, als er von ihm gestrafft, mit eim messer durch einen schenckel stach.

[21] Wilbald, als er die wort von seinem vatter vernummen, ist er ein klein wenig erschrocken und heimlich mit ihm selbs zů redt gangen und gesagt: ›Wilbald, wie schmackt dir die kost? Du můst die nuß krachen und des heuws essen, sing gelich sauwr oder süß. Hey, was werden aber meine gůten gesellen darzů sagen, wann ich mich iren so gantz und gar entziehen soll? Nun wolan, ich můß raht haben mit meinem Lottario, sobald ich ymmer heimlich mag zů ihm kummen unnd solchs mein pedagog nit erfaren kan; dann sunst wirt mein gar übel gewartet. Zůfordrist aber will ich mich zůr můter heimlich fügen, mich mit weinen und klagen gegen ir erzeigen und ir mein zwangsal klagen, das man mich so gar in ein bockshorn understand zů treiben, wil mich auch darbey annemen hinwegzůlauffen. Was gilt es, sye würt mit Felixen, meinem pedagogen, verschaffen, das der sachen gůter raht geschehen wirt und ich meine gůten gesellen nit also an kopff schlagen darff.‹

Als Wilbald solche wort mit im selb geredt, ist er zů seiner můter gangen, welche er gar einig in einem stüblein sitzen fand, hat aber gar nichts mit ir geredt, sonder gantz feischlich, angefangen zů weinen. Die můter von ires sons klag nit kleinen unmůt empfangen hat, mit linder und senffter stimm zů ihm gesprochen: ›Mein son, was ist diß für ein neuws an dir? Was kummert dich? Bist du kranck, mein son? Zeyg mirs bei zeiten an, damit ich raht darzů finden mög und dir deiner kranckeit zů hülff kummen!‹

Wilbaldus anfieng: ›O můter‹, sagt er, ›mir armen knaben! Soll ich, der vom edlen stammen und einem ritter geboren bin, also von einem schlechten studenten geplagt und gemeistert sein? Das thůt mir so weh, das ich sorg, mein hertz werd mir darvon zerspalten. Ja, eh dann ich mich also in ein bockshorn zwingen lassen, will ich eh meines vatters huld und gnad verlieren und hinweglauffen, einem bauren die[22] roß treiben oder der schwein hüten. Was darff mich mein vatter also zů der schul zů zwingen, dieweil ich kein doctor noch pfaff beger zů werden! Wann mich dann mein vatter zů einem ritter machen will, darff ich keines schůlers, mich der ritterschafft zů underwysen. Dann ich bey meines geleichen unverzagten knaben mehr mannlich dann in der schůlen werden mag. Dieselben sich keines dings schammen, sich vor niemant entsetzen, und ob er gleich älter ist dann sie, wissend sie einem yeden ein spetzlein anzůkleben. Was kan aber mein gsell Fridbert anders, dann, so man ihn straffet unnd nit gleich thůt, was er wil, spricht er: Wolan, ich wils gott befelen! facht zů zeiten an zů weinen, wie an der kintbetten. Was soll ich dann von im mannlichs leren? Darumb bitt ich dich, liebe můter, wöllest mit meinem vatter verschaffen, das er mir semlich band ufflöß. Sunst will ich und weyß auch nit zů bleiben, darnach weyß er sich zů richten.‹

Die můter, als der weiber gewonheit ist, iren son mit ruck anfůr, sagt aber mit sanfften worten zů im: ›Mein lieber son, du můst dannocht deinen vatter vor augen haben. Bedenck doch, wie lieb er dich hat! Dann all sein sinn und gedancken stat nach dir; das drit wort, so er redt, ist von dir, seinem son. Soltest ihm dann nit volgen, du müstest gott schwerlich antwurt darumb geben. Derhalb, mein lieber son, nimm dir nit ein semliche böse meynung für und bis getröst! Ich will mit deinem zuchtmeister wol verschaffen, das er dich nit so gantz hart halten soll; ich kan ihn mit schencken unnd gaaben wol dahin bringen, das er dir gantz lind und milt sein soll.‹

Wilbaldus von den worten seiner můter nit wenig halßstarck empfahen thet, fieng sein altes wesen wider an mit seinem gesellen Lottario; sie vertreiben ir zeit mit spylen, schlecken, liegen und allem můtwillen. Wann dann Felix, sein zuchtmeister, von ungeschicht darzů kam, seinen jungen Wilbaldum straffet, bald lieff er zů seiner můter, beklagt sich des. Bald lieff sie zů Felixen und fůr in schnartz an, er solte ires lieben sons und seiner jugent verschonen; dann witz kem nit vor jaren. Wann dann Felix anzeyget den befelch seines herren, sagt, die fraw: ›Hey, es můß mein herr[23] und gemahel nit gleich alle ding so gar eigentlich wissen. Mein Felix, du můst zů zeiten ein aug zůthůn; und wann du weyst mein son bey seiner gselschafft kurtzweil treiben, so gang du einen andren weg und thů gleich, als wann dir nichts darvon zů wissen wer! Daran thůst du mir ein sunder gross gefallen. Ich will dir auch, so mein herr schon semlichs erfaren würt, wol überhelffen; darbey solt du auch gůter schencken von mir warten sein.‹

Felix, welchen zům teil der frauwen wort nit gefielen, noch gedocht er: ›Wolan, der son ist dein. Gerat er wol, so mag mirs nit sundren nutz schaffen; würt er dann zů eim unützen lotter, hey so můst du in behalten und die schad mit im dulden.‹ Darzů bewegt in auch die verheisung und schenckung, so im die fraw angebotten hat, ließ also allen fleiss gegen seinem discipel fallen und wendet den auff Fridberten. So dann schon der ritter die ding beredt, kond im sein weib allwegen einen affen machen, wie dann solche müterlein gewollt sind. Sodann sieht man auch wol, wie beiwylen ire sönlein gerhaten, die beiweilen irer meister straff und zucht verachten, biß sie zůletz den hencker zů einem schůlmeister müssen annemen; das dann iren eiteren offt zů grossem übelem jamer und klag erwachssen thůt.

Das bleib also. Wilbaldus, welcher bald an seinem zuchtmeister verstanden hat, das sein můter mit im geredt hat, ist er erst in grossem můtwillen ersoffen, hat bald seinen Lottarium seiner freyheit bericht. Des sich dann Lottarius mit im größlich erfreut, hat im von neüwem undericht geben, wes er sich mit und gegen der můter halten soll, sagt also: ›Mein Wilbalde, yetz magstu wol frölich unnd wol zů můt sein. Dann gewiß wirt dein fraw můter des schnöden bauren son nit mehr gestatten, also gegen dir zů halstarren. Du můst dich aber auch mit gantzem ernst wider des bawren son streüssen; wann er dich dann understat zů überrafflen, will ich im warlich sein balg dermaß einmal erzausen, er soll sein tag an mich gedencken. Weiter můstu, mein Wilbaldß, auch anfahen die můter timb gelt anzůsprechen; das will ich gegen meinem vatter auch thůn. So mir aber das nit gelingen will, weyß ich ein andren rhat. Dami ich hab mit fleyß wargenummen,[24] wann mein vatter von der fleischbanck heimkumpt, setzet er zů allem mal sein losung in einer schissel in seiner schlaffkammer auff den schafft; do mag ich allweg mein teil von nemen, damit ich mit dir und andren unsern gesellen frölich sein mag. Also solt du auch gedencken zů thůn. Du sichst, mir fahend an albeid auffwachsen. Wo mir uns nit zů zeiten in den weinheusern und bierheusern finden lon, müssen wir von andren jungen gesellen und knaben unsers gleichen verachtet sein, wie du dann selb sehen und speuren magst. So dann mir zů mannlichen alter kummen, hand mir weder wein noch bier in gewonheit zů trincken, und sobald einer in ein glas oder krausen gutzet, ist ihm schon der dürmel im kopff. Darumb gebürt uns, so wir anderst der jetzigen welt nachvolgen wöllen, müssend wir uns auch nach deren richten.‹

Wilbaldus mit gantzem ernst der gůten und getreüwen leer Lottari zůhorchet, welch im auch zůlest grossen nütz bracht; ja hindersich, wie ir dann noch wol vernemen werdt. Also fiengen sich gemelte zwen jungen in liegen, triegen, schlecken und stelen zů üben, treiben das auch gar lang mit sampt andren verweilten jungen irs gleichen mit wirffel unnd karten, lereten sie auch dapffer rauschen und tauschen; in summa aller gůten stücklein übten sie sich, die dann all zům galgen fürderen. Also gadt es noch zů, wann wir nit mügen leiden, das unser lieber son von seinem preceptor gestrafft würt.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 21-25.
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