36.
Amelia allein in irem gemach sitzet, den brieff lesen ward, in grossen zorn gegen ir selbs fallen thet, umb das sie dem jüngling on alle ursach so gehass gewesen was.

[213] Amelia ginge schnels gangs in ihr gemach unnd schlos den brieff uff, darinn fande sie einen schönen dopleten schiffnobel, lase den mit gantzem fleiss von wort zů wort. Der lautet also:

›Ich wünsch dir, mein allerschönste und liebste junckfraw, vil gůter frölicher zeit und stund, so das du die frölicher unnd besser haben mügest, dann sie mir inn meinem abwesen sein werden. Ach mir armen! Was mag mir doch in gantzem Brabant für einiche frewd zůston, ja nicht allein in Brabant, sunder in der gantzen weiten welt, dieweil[213] ich deiner schönen züchtigen adelichen gestalt und frewdenreichen anblicks můs beraubet sein! O mein zarte Amelia, wie wehe mir mein hinschaiden von dir gethon, ist mir nit müglich weder zů sagen noch zů schreiben. O Amelia, wie gern hette ich ein freundtlichen abscheit mit mund von dir gemacht! Ist mir aber nit müglich gewesen; dann mich das jämerlich senen und verlangen nach dir so hart bekümmert, das mir mein red darvon gelegen. Meine augen hetten auch vor zehern nit zůgelassen, ein einiges wort mit dir zů reden. Wann dann ich also stummlos vor dir gestanden were, würdest du vileicht ein verdruss ab mir als einem solchen weibischen jüngling genumen haben. Darumb, mein liebe junckfraw, mir sollich mein hinscheiden nit zů argem auffnemen wöllest. Dann ich mit meinem hertzen nimmer von dir schaiden wird; ich binn unnd bleib dein Lasarus, und du mein allerliebste junckfraw. Niemans dann allein der todt kan oder mag uns schaiden. Ich schick dir hiemit dise kleine gab; wöllest die nit verschmahen. Dann ich můss bekennen dich einer reichern und bessern werdt sein, hab dir aber dise allein darumb geschickt, damit du sie zů deinem schatz legest, und so du dann zů vilmalen darüber gehst, disen schiffnobel zům wenigsten anblicken wirst, mein darbey zů gedencken. Hiemit wirstu mich nimmermer in vergess stellen. Des soltu auch von mir gantz gewiss sein, das ich, so offt mir der zeit werden mag, ich die reichen gaben und kleinat, so du mit deinem künstlichen händen gewirckt hast, zů besehen und mich darmit zů ergetzen. Dann diss wirt mein frewd, trost und kurtzweil in Brabant sein. Jetzund, liebe junckfraw, will ich dich got bevelhen und dich damit auffs hertzlichest gesegnet haben. Gedenck mein, o liebste Amelia! Nit vergiß mein umb eines kurtzen jars willen! Setze dein hertz und gemüt zů mir, wie die keusch Penelope gethon, welliche sich die anzal der reichen und mechtigen werber nit hat lassen wanckelmütig machen, sunder auff iren liebsten gemahel und fürsten Ulissen zwentzig jar gewartet hat. Denselbigen mocht nit abwenden die zaubereyen Circes noch die mechtig göttin Calipso, sunder begert stetigs zů haus zů seiner liebsten gemaheln. Das hertz in mir, das doch dein allein ist, wirt kein stund anderst gesinnet[214] werden. Got pfleg dein dise und alle stund und zeit in gesuntheit!‹

Amelia hat disen brieff yetz zům offteren mal gelesen und gar wol verstanden. Bald ist sie in sich selbs gangen, ir grosse schnelle grimigkeit, so sie zů dem Lasaro getragen, ernstlich bedacht. Zůletst fieng sie an mit ir selber zů reden und sagt: ›O Lasare, mein liebster jüngling, solt dir zů wissen sein, in was grossen zorn ich gegen dir ohn alle schuld heimlich gewütet, (ja, nit haimlich, dann deiner můter alle sach offenbar ist) du wirdest mir so früntlich nit geschriben und dich mir so früntlich bevolhen haben. Weh mir unsteten unbekanten junckfrawen, die ich mich nit mer würdig schätz, einem so recht liebhabenden jüngling vermähelt zů werden! Was hat mich doch zů solchem boßhafftigen zorn bewegen mügen, das ich in solchen hass gegen einem solchen kunstreichen und schönen jüngling fallen thet! Wer es nicht genůg an dem schreiben, so er an mich gethon, als er seinem vatter und můter in Brabant bewilliget hatt zů schiffen! Hatt er mir nit dasselbige mal alles sein hertz und gemüt eröffnet und einen gnůgsamen früntlichen abscheid an mich begert! Billich hab ich mich selb gegen seiner můter der Daphne verglichen, dieweil sie auch ein solche ungütigkeit gegen dem Phebo erzeigt. Ich můs mich schuldig geben, das ich noch ungütiger gegen meinem Lasaro gewesen binn, dann die junckfraw Daphne gegen Phebo, irem liebhaber; darumb ich billich[er] in einen stain dann zům baum solt verwandlet werden. Ach mir armen Amelien! Möcht mir doch semlich gnad von dem glück verlühen werden, das meinem liebsten jüngling diser mein außgestossener zorn gegen seiner můter nit fürkäme! Wie möcht aber ein můter irem liebsten einigen sůn solche unbilliche ding verschweigen! Wolan, ich bin dannocht gůter hoffnung, sie werd mich des orts nit vermelden; sunst wird sie mir gewislich meins lieben jünglings schreiben sampt der gaben, damit ir mich so früntlich geletzt, [nit] geantwurt haben, sunder ir die selbs behalten. Wie aber dem, wo sie das uff einen sunderen ranck gethon haben wirt, damit warzůnemen, ob ich die gab uff solchen ausgestossnen zorn behalten wölle? Ach nain, das getrawe ich ir nimermer. Ich[215] aber will semliche sorg mit geschickligkeit von mir wenden und ablegen. Sobald und mir müglich sein mag, will ich mich einig zů ir fügen. So wirt sie mich erstlich under augen ansehen, ob ich noch ein solches brinnendes gesicht hab, ob sich mein farb also zům offterenmal verwandlen wölle und ob meine wort so grimm lauten. Ist dann sach, sobald sie mich so gantz eines anderen hertzens und gemüts befindt und sie aber sich zorniger gestalt erzeiget, so ist all mein hoffnung umbsunst; dann sie keines gůten hertzens mer gegen mir sein wirt. So sie mich aber irer alten gewonheit nach früntlich empfahen wirt und eines frölichen angesichts sich gegen mir erzeigt, bin ich gewiss, das ich gar in keinen ungnaden gegen ir stand. Wolan, jetzund ist eben die recht stund anzůsůchen, yetz find ich sie allein; dann ir magt den nachtimbis zů bereiten pflegt. Nůn will ich meine sach wagen und gůter hoffnung warten sein.‹

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 213-216.
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