96.

Einer verwart der statporten schlissel im thuren.

[123] Es ligt ein stetlin im Breisgaw, da haben sie einen brauch oder gewonheit, das man alle fronfasten oder quatember einem burger die schlissel zu der porten befilcht zu verwaren; der mus dann alwegen abents und morgens, so man die porten auff oder zuthut, zugegen sein und demnach die schlissel vermög des eydts, so er daruber gethon, wider verwaren. Nun was einer in gemeltem stetlin gar ein seltzamer bruder, an dem was das quatember, das er die schlissel verwaren solt.

Es begab sich auff ein zeit, das er die porten hat helffen zuschliessen, gieng dennoch zu seiner bursch, tranck sich gar voller weins, kam auch mit grosser müh nach mitternacht zu haus, was dannocht so bedacht, das er sein weib nit wecken wolt, steig auff einen stall unnd legt sich auff einen hewhauffen schlaffen, lag also in guter hůt, schlieff des morgens, [biß] das die sunn hoch über alle berg auffgangen was und gar weit im tag war. Niemant wust, wo der mit den schlisseln hinkummen war. Man sucht in hin und wider;[123] dann die hirten ein gute zeit mit dem viech an den porten gehalten. Zuletst fand man den guten schlemm er auff dem hew schlaffen; also wackten sie in auff. Er eylet schnell seinem befelh nach und schlos die porten auff, sties dennocht die schlissel wider in seinen bůsen. Der bescheid aber was gegeben, sobald er die porten auffgeschlossen hett, solt man in den nechsten in thurn füren. Das geschach also.

Auff den abent, als man die porten wider zuschliessen wolt, schickt man zu im über den thurn umb die schlissel, das er anzeigen, wo die zu finden weren. Er sagt: ›Wo sollen die anders sein, dann da sie sein sollen? Ich hab die hie bey mir im bůsem.‹ Also sagten die gesanten: ›So gib uns die heraus! Dann es ist also der herren befelch, damit man die porten zuschliessen könne.‹ Der gefangen sagt: ›Das wöll gott nit! Ich glaub auch nit, das mir meine herren semlichs zumuten werden. Dann wo ich die schlissel anderen solt geben zu verwaren, so thet ich ye meinem eyd nit genůg. Sie sind mir und keinem andrem bevolhen, hat auch auff dismal kein andrer dann ich darzu geschworen.‹

Dise antwurt zeigt man den herrn an. Was solten sie thun, dann das sie befelch gaben, man solt in wider aus dem thurn nemen und in die porten selb heissen zuthun! Es wolten auch die herren on das kein ernst mit im brauchen, sunst hett man die schlissell wol von im bringen mügen. Also undersagt man im sunst mit ruchen und strefflichen worten, er solt sich hinfürbas hüten, sunst wolt man im eins mit dem andren messen.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 123-124.
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