Erste Szene

[21] Baptista, Bianca, Lucentio und Hortensio, beide in ihrer Lehrerverkleidung, gehen ungeduldig auf und ab. Katharine in vollem Brautschmuck sitzt abseits.


BIANCA, LUCENTIO, HORTENSIO, BAPTISTA.

Wie es scheint, so warten wir vergebens.

Unsre Hoffnung, unsre Hoffnung ist zerstört.

Glauben kann man's kaum!

Tag meines Lebens hab ich so was nicht gehört.

KATHARINE aufspringend.

Wo mag der freche Tollkopf weilen?

Er vergaß gewiß das Fest!

BAPTISTA.

Mußt er noch die Hochzeit so beeilen,

Daß er jetzt uns warten läßt?

LUCENTIO.

Gott allein mag wissen,

Welche Fahrten jetzt der Bräutigam unternimmt,

Während seiner hier die Braut muß warten,

Ganz mit Recht seid ihr verstimmt.

KATHARINE.

Euer Beileid könnt ihr füglich sparen.

Geht's euch an, was Jener tut?

BAPTISTA.

Solche herbe Kränkung zu erfahren,

Brächte Engel selbst in Wut.

BIANCA, LUCENTIO, HORTENSIO, BAPTISTA.

Wie es scheint, so warten wir vergebens.

Unsre Hoffnung, unsre Hoffnung ist zerstört.

Glauben kann man's kaum!

Tag meines Lebens hab ich sowas nicht gehört.

BIANCA.

Und da kommen auch noch gar die Gäste,

Denn schon ist zur Tafel Zeit

KATHARINE.

Schnell forteilen will ich, 's ist das beste,

Mein Schmach, meine Schmach, sucht Einsamkeit.


Ab.

Gäste, Herren und Damen treten auf als Chor.


BAPTISTA.

Seid willkommen, hochverehrte Gäste!

Ach, wie ist es mir so leid,

Daß uns fehlen muß zum heutgen Feste

Eine große Kleinigkeit!

CHOR.

Ei! Was es auch immer wäre,

Wir vermissens sicher nicht,

Hier zu sein ist uns schon Ehre,

Macht es recht einfach drum und schlicht!

BAPTISTA.

Ach, zu sagen ist es gar zu schändlich,

Und doch muß es einmal sein.

Glaubt mir, ich bedaure ganz unendlich,

Ich bedaure ungemein.

Meine lieben, hochverehrten Gäste!

Alle fandet ihr euch ein,

Doch es fehlt zum frohen Feste

Uns der Bräutgam ganz allein.[21]

CHOR.

Ist es möglich? Ei! Das wäre!

Wir bedauern ungemein.

Das ist unliebsame Mähre,

Wie soll da denn Hochzeit sein?

LUCENTIO.

Das ist eine Rätselfrage,

Deren Lösung man verschweig!

Schrecklich, wenn am Hochzeitstage

Sich der Bräutgam nirgends zeigt!

CHOR.

Ohne Bräutigam Hochzeit machen,

Das ist freilich unerhört.

Soll man weinen, soll man lachen?

Dieses Fest ist ganz gestört.

BAPTISTA.

Ich bedaure, werte Gäste!

Wirklich ist es wie ihr sagt.

Wir stehn ab vom heutgen Feste,

Diese Hochzeit ist vertagt.

CHOR.

Ohne Bräut'gam Hochzeit machen

Wäre jedem Mädchen leid.

Ihr zum Weinen, uns zum Lachen

Dienet diese Neuigkeit.

Wahrlich einen Bräutgam wählend

Muß man schlau zu Werke gehn.

Ganz gehorsamst uns empfehlend,

Sagen wir: Auf Wiedersehn!

BAPTISTA.

Es ist, als hätte ich alles dies geahnt,

Als ich dem Ungestüm von Biancas Freiern wehrte.

Nein, nein! So lange Jene noch im Haus,

Ist's nichts damit.

Ihr Herren! Auf eure Posten!

Denn da's doch heute mit der Hochzeit nichts,

So wünscht ich, Bianca nütze euer Hiersein.

Ich gehe Käthchens Zorn mit Trost zu stillen,

Denn zürnt sie heut, ist's nicht aus Eigenwillen.


Ab.


Quelle:
Hermann Goetz: Der Widerspenstigen Zähmung, frei bearbeitet von Joseph Viktor Widmann, Zürich, Wien, München [ca. 1925], S. 21-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon