Vierte Scene.

[227] LADY JOHANNA allein.

Wie klopft mein Herz! Wie taumeln durch mein Haupt

In innerm Streit die zweifelnden Gedanken![227]

O! Edward, Edward! – Diese Augen sahen

Die deinen brechen! sahn das letzte Lächeln,

Das die beglückte Seel' im Scheiden noch

Auf deinem bleichen Angesicht zurückliess.

Bald folg ich dir! – Was ist mir eine Krone?

Des Hofes Pomp und seine eiteln Freuden?

Der Krone, die dein Haupt itzt unverwelklich schmückt,

Der werth zu seyn, ist alles was ich wünsche! –

Und doch entzückt der reitzende Gedanke

Mein, Innerstes, das Glück so vieler Menschen

Zu machen! – Ach! Wie oft, wie oft war diess,

Der Seufzer meines jugendlichen Herzens!

Um dieses nur, nur um die edle Macht

Den Menschen wohlzuthun, Gott nachzuahmen,

Beneidet' ich das Glück der Könige!

Wie! Sollt es wahr seyn? Riefe mich die Vorsicht

Zu diesem grossen, göttlichen Geschäfte? –

Wie gerne öffnet sich, mein willig Herz

Dem seligen Gedanken! Soll ich glauben,

Was Guilfords Vater, was der Mütter zärtlichste,

Was wie es scheint, die Weisesten und Besten

Des Rathes glauben, Edwards Wille sey

Des Himmels Schluss, den Gott dem Sterbenden[228]

Ins Herz gehaucht? – Zu rasche Hoffnung! Nein!

Du täuschest mich! Ein ungerechter Rath

Kann nicht vom Himmel kommen! – Aber wie?

Verdient die graue Weisheit meiner Väter,

Verdient der majestätische Senat

Brittanniens, die ungerechten Zweifel,

Die ich in ihre reifre Einsicht setze?

Wie, wenn sie besser als ein unerfahrnes Kind,

Was recht ist, wissen, was die grosse Pflicht

Fürs Vaterland und für die Nachwelt fordert? –

Wie ängstigt dieser zweifelhafte Stand

Mein ungewisses Herz! – Wer führet mich

Aus diesem Labyrinth? Wen kann ich fragen? – Alle

Sind wider mich! – O Himmel, leite du

Dein gleitendes Geschöpf! Dein Will' allein

Gebiete meinem Willen! – Soll ich nicht

Der leisen Warnung folgen, die mein Geist

Stets in sich hört, der Stimme des Gewissens,

Die mir verbeut zu thun, was ich als Unrecht fühle?

Ja! Ja! Ich folge dir! Du bist

Die Stimme Gottes! Kein Fantom der Sinnen,

Kein blendendes Gewebe falscher Schlüsse

Soll mich vom ebnen Pfad der Tugend weichen machen!


Sie sieht Suffolk und Guilford kommen.


O Himmel! stärke mich!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 4, Leipzig 1798, S. 227-229.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon