Fünfte Scene.

[229] Herzog von Suffolk. Lord Guilford. Johanna.


SUFFOLK.

Ist dein Entschluss

Wie ihn die Pflicht und unsre Liebe wünschet,

So lass, Johanna, deinen alten Vater,

Und Guilford, der dein ganzes Herz verdient,

Die ersten seyn, die das erwünschte Ja

Von deinen Lippen hören! Wie? du zögerst noch?

Hat Guilfords Vater dich nicht rühren können?

Mein Kind, betrüge meine Hoffnung nicht!

Die Rettung deines armen Vaterlands

Sie hängt an deinem Ja! Du kennst, Johanna,

Die dringende Gefahr, worin wir schweben;

Der Staat, die Kirche, alle Frommen seufzen

Nach einer Fürstin, die das grosse Werk,

Das Edwards Frömmigkeit begann, vollende!

LADY JOHANNA.

Erlaube mir, mein Vater, eine Frage!

Ist wirklich sonst kein Weg zu Englands Rettung

Als dieser? –[230]

SUFFOLK.

Nein! Wofern der Himmel

Nicht Wunder thut, die wir von ihm zu fordern

Kein Recht, noch zu erwarten Hoffnung haben.

Es ist kein andrer Weg zu Englands Rettung!

LADY JOHANNA.

Und war es Edward selbst, der sterbend mich

Zur Königin erklärt'?

SUFFOLK.

Er war es selbst!

LADY JOHANNA.

Er selbst? – So wars in einer bangen Stunde,

Da sein Gemüth vom Todeskampf des Leibes

Entkräftet lag! – Er thats – vielleicht gezwungen.

SUFFOLK.

Ja! von der Liebe seines Volks gezwungen,

Vom Eifer, der in Seiner Engelsbrust

Für Gott und seine Wahrheit brannte!

Von einem Eifer, der die feigen Zweifel

Der falschen Klugheit dieser Welt verschmähte;

Der zwang ihn! – Fühltest du, was er empfand –[231]

LADY JOHANNA.

O könnt', o könnte doch, mein Blut dich retten,

Mein Vaterland! Wie froh, sollt es für dich

Aus jeder Ader sprudeln! – Du, Allwissender,

Du bist mein Zeuge! –

GUILFORD.

– Erlaube, Theureste,

Erlaube dem, dir deine Seele liebt,

Den rühmlichen Versuch, dich zu erbitten!

Doch nein! dein Guilford hasst, verschmäht den Zweifel

An deiner Grossmuth! Niemahls liebt ich dich

Mit tiefrer Ehrfurcht, niemahls schienst du mir

Bewundernswerther als in dieser grossen Stunde!

Aus Tugend weigerst du dich unsern Wünschen;

Nur eine Heldenseele, wie die deine,

Ist fähig, Kronen auszuschlagen! Aber itzt,

Geliebte, itzt ists grössre Tugend, itzt ists Pflicht

Sie anzunehmen! Lass nicht allzuzarte

Spizfindige Begriffe deinen Geist,

Zum Nachtheil deines reinen Herzens, täuschen;

Was einem ganzen Volke, was den Enkeln

Der Enkel nützt, wie könnten die Gesetze

Es Unrecht nennen? Ist das oberste Gesetz,[232]

Das einzige, das keine Ausnahm zulässt,

Johanna! – ist es nicht des, Volkes Wohlfahrt?

Komm! Überlass dich frey den schönen Trieben

Der Grossmuth, und dem sanften Zug der Liebe

Zum menschlichen Geschlecht! Verdiene

Die Freudenthränen des entzückten Danks

Von Myriaden, die nur dir ihr Leben,

Ihr Glück, und ihre Freyheit schuldig werden!

Wie wird die späte dankerfüllte Nachwelt

Noch mit Entzücken dein Gedächtniss segnen!

Die Mutter, mit dem Säugling an der Brust,

Der fromme Greis, der mit vergnügten Blicken

Die Enkel überzählt, die Gatten, die, wie wir,

Sich lieben, alle werden dich, Johanna,

Die Schöpferin von ihrem Glücke, segnen!

LADY JOHANNA.

Ach! Guilford! Guilford! –

GUILFORD.

Sieh dein Vaterland,

In mir zu deinen Füssen, Theures Mädchen!

Du kennst das Elend das auf alle wartet,

Auf alle, die die Fesseln Roms zerbrachen,

Auf alle Redlichen! – Ach! Kerker, Bande,[233]

Und Schwert und Flammen sind den Heiligen

Gedräut, den unbeweglichen Bekennern

Des Evangeliums! – Die Grausamkeit

Der Priester schont des schwächeren Geschlechts,

Der Kinder nicht! des zarten Säuglings nicht!

Erbarme dich des rahmenlosen Elends,

Das Rach' und Blutdurst deinem Volke dräut!

Erbarme dich –

SUFFOLK.

Soll dein Gemahl, dein Vater,

Dein Vaterland, soll Edward selbst vom Himmel

Vergeblich flehen?

JOHANNA.

Nein! mein theurer Lord!

Steh auf mein Guilford! Kniee nicht vor mir!

Mein Herz ersinket unter der Gewalt

Der Bitten, die von deinem holden Munde

So rührend schallen! – Nehmet mich, mein Vater;

Nimm, Guilford, mich, macht aus Johanna Gray

Was euch gefällt! –


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 4, Leipzig 1798, S. 229-234.
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